Berlin

Tradition und Schalttag: Wer in Irland Antrag ablehnt, muss zahlen

Es soll ein großes Fest werden. „Ich habe schließlich zwei Schnapszahlen zu feiern“, sagt Emma Hirt mit einem Augenzwinkern. Vor 88 Jahren wurde sie geboren – und zwar am 29. Februar, den es als Schalttag nur alle vier Jahre gibt. Streng genommen wird die Pensionärin in Stade bei Hamburg also erst 22 Jahre alt.

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Berlin. Es soll ein großes Fest werden. „Ich habe schließlich zwei Schnapszahlen zu feiern“, sagt Emma Hirt mit einem Augenzwinkern.

Vor 88 Jahren wurde sie geboren – und zwar am 29. Februar, den es als Schalttag nur alle vier Jahre gibt. Streng genommen wird die Pensionärin in Stade bei Hamburg also erst 22 Jahre alt. Nicht nur diese Rechnung gehört zu den Geschichten, Rätseln und Ritualen, die sich um den 29. Februar ranken.

Immer wenn die Wehen kamen

Schon tags zuvor ging ihre Mutter in die Klinik, doch Emma wollte und wollte nicht kommen. „Es war eine Quälerei“, erzählt die ehemalige Lehrerin aus den Familienerinnerungen. Die Hebamme wollte ihrer Mutter die Geburt erleichtern und tat das mit einem zweifelhaften „Medikament“: Immer, wenn die Wehen kamen, reichte sie ihr einen Schnaps. Als Emma dann endlich das Licht der Welt erblickte, war ihre Mutter betrunken – und der Kalender zeigte den 29. Februar.

Kein Tag wie jeder andere: Der Schalttag beflügelt die Fantasie der Menschen

Ein Tag, den Dichterfürst Johann Wolfgang von Goethe 1802 zu einem Rätsel an seinen Freund Friedrich Schiller inspirierte. „Ein Bruder ist's von vielen Brüdern, In allem ihnen völlig gleich, Ein nötig Glied von vielen Gliedern, In eines großen Vaters Reich“, reimte Goethe und sprach von einem „eingeschob'nen Kind“. Schiller antwortete stilgerecht in Versform und schloss mit den Worten: „Es ist der Schalttag, den du meinst.“

Schätzungsweise 55 000 Deutsche feiern heute

Schätzungsweise 55 000 Deutsche sind an dem rätselhaften Tag geboren. In diesem Jahr werden sie mit Glückwunschsendungen beispielsweise bei Radio Bremen oder Geburtstagsgottesdiensten etwa in der Wiesbadener Marktkirche gefeiert. „Auf der Orgel erklingt die 29. Kantate von Johann Sebastian Bach“, verspricht der Wiesbadener Pastor Jeffrey Myers, der auch Rituale zum Schalttag kennt.

Was man so alles vom 29. glaubt...

Etwa die irische Tradition, dass ein Mann, der an einem 29. Februar einen Heiratsantrag bekommt, einwilligen muss.

„Lehnt er ab, muss er zahlen – die Strafe reicht von einem Kuss über Handschuhe bis zum Stoff für ein neues Kleid“, amüsiert sich Myers und ergänzt: „Die Griechen glauben, dass es Unglück bringt, am Schalttag zu heiraten.“ Auch in Deutschland ist das Datum für das Jawort nicht sonderlich gefragt. „Normalerweise sind besondere Termine immer beliebt“, sagt Kerstin Godenschwege aus dem Standesamt in Hamburg-Altona. „Doch der 29. Februar ist da eine Ausnahme.“ Nur alle vier Jahre Hochzeitstag zu feiern, schreckt wohl ab.

Doch nicht nur für Geburtstagskinder wie Emma Hirt ist der 29. Februar ein Geschenk. Ein Werktag mehr fürs Geld – das freut die Wirtschaft

Auch der Wirtschaft kommt der Einschub im Kalender gerade recht, denn durch den zusätzlichen Werktag lockt ein Produktivitätsplus in Milliardenhöhe. Bloß: Den gewonnenen Tag wird wohl kaum jemand als solchen bemerken, meint der Soziologe und Zeitforscher Hartmut Rosa. „Die Logik des Schnell-noch-was-Erledigens hält sich nicht an definierte Zeitrahmen“, weiß der Professor der Universität in Jena. „Gib uns einen Tag mehr, und die Aufgaben werden uns finden. Der Zeitgewinn ist gleich null.“

Endlich mal groß feiern

Das ist dem Geburtstagskind Hirt herzlich egal. Und Cornelius Bauerochse in Heidelberg auch. Er wird Ende des Monats acht Jahre alt und will ebenfalls groß feiern. „Ich habe die Einladungen schon im Januar verschickt“, berichtet er aufgeregt. Selbst der Kuchenwunsch für die Feier steht schon: „Es soll Schoko-Sahne-Windbeutel geben und einen Marmorkuchen“, freut sich der Steppke, dem zusätzlich in der Schule ein großes Fest winkt. Einzelheiten? Da hüllt sich die Lehrerin in Schweigen.

Von Dieter Sell