Rheinland-Pfalz

Prämie: Mit Kinderbonus zum Babyboom?

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Symbolbild Foto: dpa

Ihre kleinen Schützlinge halten Petra Hansen und ihre Kolleginnen ordentlich auf Trab. 40 Kinder wuseln lautstark durch die Kindertagesstätte in Ellern (Rhein-Hunsrück-Kreis). Das Gebäude droht aus allen Nähten zu platzen. Von wegen tote Hose auf dem Land.

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Von unserem Redakteur Dirk Eberz

Ganz im Gegenteil: Fast hätte die Kitaleiterin zuletzt sogar Kinder abweisen müssen. „Es mussten zusätzliche Plätze geschaffen werden“, sagt die Erzieherin. Aber wenn es drinnen dann doch einmal zu eng werden sollte, gibt's gleich nebenan einen nagelneuen Spielplatz zum Austoben.So lebhaft ist es in der 890-Seelen-Gemeinde am Fuße des Soonwalds nicht immer zugegangen.

Noch kurz nach der Jahrtausendwende fürchtet der frühere Ortsbürgermeister Dietmar Tuldi (SPD), dass das Dorf langfristig vergreist. Wie andere Orte in Hunsrück, Westerwald und Eifel wird Ellern mit voller Wucht vom demografischen Wandel getroffen. Damals kennt die Kurve bei den Neugeborenen nur eine Richtung – steil nach unten. 2003 etwa erblicken gerade mal noch drei Babys das Licht der Welt. „Kein Ausreißer, sondern ein Trend“, betont Tuldi – und erfindet die Babyprämie. 2005 war das. Wohl eine Premiere im Land.

1000 Euro lässt die Gemeinde seither pro Kind springen. 500 Euro gibt's direkt aufs Sparbuch. Der Rest fließt in eine kinderfreundliche Infrastruktur. In den Genuss der Prämie kommen auch alle Kinder, die mit ihren Eltern ins Dorf ziehen. „Die Babyprämie wird immer wieder erwähnt, wenn Eltern zu mir kommen“, sagt Petra Hansen. 2005 sieht Tuldi darin vor allem eine Geste. „Wegen 1000 Euro bekommt ja niemand ein Kind.“ Dennoch springt die heimische Wirtschaft gleich auf den Babyexpress auf. Unternehmen steuern Obstbäumchen, Kinderstühle und Matratzen bei. Die kleine Lina-Charlotte ist 2005 die Erste, die das Ellerner Bonuspaket abstaubt.

Auch medial landet der Ortschef einen Volltreffer. Nachdem unsere Zeitung von dem Kinderbonus berichtet hat, rücken Journalisten aus der ganzen Welt im Soonwald an. Kaum auf der Welt, haben die Babys schon ein Mikro unter der Nase. „Eigentlich war alles da, was Rang und Namen hat“, erinnert sich Tuldi. ARD und ZDF berichten ebenso aus dem Hunsrück wie „Spiegel“, „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ und „Süddeutsche Zeitung“. Dazu viele Radiosender. Schließlich kommen sogar die französische „Libération“ und das „Wall Street Journal“ in die Hunsrücker Provinz. Tuldi, der Medienstar. Der Ortschef wird mit Hunderten E-Mails überschwemmt. Bis heute. Auch wenn er schon seit 2014 nicht mehr im Amt ist.

Aber genügen denn 1000 Euro, um die demografische Wende auf dem Land einzuläuten? Einen regelrechten Babyboom hat die Prämie jedenfalls nicht ausgelöst. Von zwei Ausreißern nach oben mit jeweils neun Geburten abgesehen, ist die Zahl der kleinen Neubürger nur leicht angestiegen. Aber immerhin. Tuldi hat zudem einen Mentalitätswandel im Dorf ausgemacht. „Wenn Sie sich heute in Ellern über Kinderlärm beschweren, bekommen Sie ein Problem.“

Und die Hunsrücker Willkommenskultur hat sich längst rumgesprochen. Rund 25 junge Familien sind in den vergangenen zehn Jahren nach Ellern gezogen. „Aus dem ganzen Land“, sagt Tuldi nicht ohne Stolz. „Und viele mit drei, vier Kindern.“ Bis zum Jahr 2014 hat Ellern die Babyprämie somit rund 80-mal ausgezahlt. Die Gemeinde kann das aus der Portokasse zahlen. „2014 hatten wir 1,5 Millionen Euro auf der hohen Kante“, sagt Tuldi. Einen Großteil spülen die Einnahmen aus den Windrädern in die Ortskasse, die sich im Soonwald drehen.

Für seine Idee erhielt Tuldi sogar Lob von höchster Stelle. Ex-Familienministerin Renate Schmidt beglückwünschte ihn für seine Vorreiterrolle. Aber Propheten leiden bekanntlich oft unter einer gewissen Heimschwäche. Der neue Ortsbürgermeister Friedhelm Dämgen von den Freien Wählern beispielsweise sieht in dem Konzept den Ortskern vernachlässigt, wie er in einem Medienbericht erklärt hat. Er erwägt deshalb, den Bonus umzuwidmen. Wird das Ellerner Aushängeschild also demnächst abgehängt oder umlackiert? „Wir haben im Gemeinderat beschlossen, uns gegenüber der Presse nicht mehr zur Babyprämie zu äußern“, erklärt Dämgen auf Nachfrage unserer Zeitung. „Fragen Sie doch mal in Mastershausen nach. Die haben auch eine Babyprämie.“ Werbung sieht irgendwie anders aus.

Na dann! Machen wir. Denn mittlerweile hat die Ellerner Nachwuchsoffensive längst Schule gemacht. Der Wettbewerb um junge Familien ist voll entbrannt. Vor allem auf dem Hunsrück. Beispiel Mastershausen. Nähe Flughafen Hahn. Die Einwohnerzahl ist auch hier kräftig eingebrochen – in 15 Jahren um fast ein Fünftel auf deutlich weniger als 1000. Die große Möbelfirma im Ort hat Hunderte Mitarbeiter entlassen müssen. Jugendliche ziehen weg. Seit 2009 gibt's deshalb auch in Mastershausen 1000 Euro Babyprämie pro Kopf. 500 Euro in bar. 500 als Einkaufsgutschein in örtlichen Geschäften. „Damit kann man keine Bocksprünge machen“, weiß Ortsbürgermeister Jürgen Schneiders. „Wir sehen das als ein Bonbon.“ Und als kleines Konjunkturpaket für die Geschäftsleute. Aber auch in Mastershausen sind die Geburten nicht durch die Decke geschossen.

Weitaus erfolgreicher ist die Gemeinde damit, leer stehende Gebäude im Ortskern an den Mann oder die Frau zu bringen. Bis zu 10 000 Euro gibt's für die Sanierung von Häusern, die vor 1945 erbaut worden sind. Die klassischen Ladenhüter auf dem ländlichen Immobilienmarkt. Nicht so in Mastershausen. „Wir hatten da zuletzt einen regelrechten Boom“, sagt Schneiders. Rund 15 Gebäude sind in kurzer Zeit verkauft und umgebaut worden. „Mittlerweile haben wir gar keine mehr.“ Und wer sind die Käufer? „Vor allem Niederländer und Engländer.“ Der Hahn macht's möglich. Finanziert werden die Zuschüsse vor allem über die Einnahmen der großen Fotovoltaikanlage und der Windräder.

In Wiebelsheim (Rhein-Hunsrück-Kreis) packt die Gemeinde ebenfalls noch was oben drauf. Bis zu 5000 Euro schießt die Kommune zum Erwerb erschlossener Grundstücke zu. Den gleichen Höchstbetrag gibt's für alle, die ihre Häuser sanieren oder leer stehende Gebäude im Ortskern kaufen und umbauen. 5000 Euro Bonus? Das ist doch mal ein handfestes Argument. „Wir haben bereits neun Anträge bewilligt“, sagt Ortsbürgermeister Stephan Doorn stolz. 20 000 Euro im Jahr sind im Haushalt eingeplant.

Aber das Paket „Junges Wiebelsheim“ greift noch weiter. So schießt die Kommune etwa bis zu 75 Euro pro Kind und Monat zu den Elternbeiträgen der unter Zweijährigen hinzu. Und für Schüler der Sekundarstufe II, die nach Simmern oder Kastellaun pendeln, gibt's auch noch einen Fahrtkostenzuschuss. 4500 Euro lässt sich Wiebelsheim das im Jahr kosten. Aber kleine Summen erhalten bekanntlich die Freundschaft.

Das denkt sich auch die Verbandsgemeinde Katzenelnbogen (Rhein-Lahn-Kreis). Neugeborene erhalten hier ein Handtuch als kleines Präsent, der regionale Handel steuert Gutscheine bei. Kördorf legt noch eine Schippe drauf. Familien, die in dem 540-Einwohner-Dorf einen Bauplatz erwerben, bekommen bis zu 8000 Euro an Vergünstigungen – 5000 Euro pro Paar – plus jeweils 1000 Euro für bis zu drei Kinder. Eine stolze Summe. Und doch ist der große Ansturm auf die zwölf freien Bauplätze bisher ausgeblieben. Gerade mal dreimal musste die Gemeinde seit 2011 zahlen. An mangelnden Anfragen an den Ortsbürgermeister liegt es nicht. „Aber wenn die hören, welche Internetverbindungen sie bei uns haben, hat sich das meist wieder erledigt“, klagt Bernhard Krugel. Ohne schnelles Netz nutzt offenbar der beste Kinderbonus nichts.