Luther: Feiern – oder was? Gespräch über das beginnende Reformationsjubiläum

Mit dem Reformationstag starten die Protestanten in ihr großes Jubiläumsjahr. Welche Auswirkungen hat der Jahrestag auf die beiden Kirchen? Wir sprachen mit Vertretern von Protestanten und Katholiken über das, was die Konfessionen trennt – und was sie miteinander verbindet.
Mit dem Reformationstag starten die Protestanten in ihr großes Jubiläumsjahr. Welche Auswirkungen hat der Jahrestag auf die beiden Kirchen? Wir sprachen mit Vertretern von Protestanten und Katholiken über das, was die Konfessionen trennt – und was sie miteinander verbindet. Foto: Fotolia

Ist es ein Fest? Ein Gedenkjahr? Wird gefeiert? Oder eher wegen der Kirchentrennung getrauert? 500 Jahre Reformation – am Reformationstag wird der Startschuss zum Jubiläumsjahr gegeben.

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Unser Kirchenexperte Michael Defrancesco (links) hatte Rolf Stahl, Superintendent des evangelischen Kirchenkreises Koblenz (rechts), und Thomas Hüsch, katholischer Dechant im Dekanat Koblenz (Mitte), zum Gespräch eingeladen. Gemeinsam philosophierten sie über die Bedeutung des Reformationsjubiläums. Foto: Anna Rup
Unser Kirchenexperte Michael Defrancesco (links) hatte Rolf Stahl, Superintendent des evangelischen Kirchenkreises Koblenz (rechts), und Thomas Hüsch, katholischer Dechant im Dekanat Koblenz (Mitte), zum Gespräch eingeladen. Gemeinsam philosophierten sie über die Bedeutung des Reformationsjubiläums.
Foto: Anna Rup

Wir sprechen mit Rolf Stahl, Superintendent des evangelischen Kirchenkreises Koblenz, und Thomas Hüsch, katholischer Dechant des Dekanats Koblenz, über ein nicht ganz einfaches Fest.

Wie starten Sie ins Jubiläumsjahr?

Rolf Stahl: Bei uns in Koblenz wird es nichts Spezielles geben. Wir haben abends in der Florinskirche einen Gottesdienst. Wir laden keinen Festprediger ein, sondern gestalten den Gottesdienst selbst. Ein Abendmahl feiern wir nicht. Es wird festlich, aber nicht spektakulär. Wir verteilen anschließend noch Lutherbonbons, das ist unser Gegenentwurf zu Halloween.

Herr Hüsch, wenn die Katholiken ein Jubeljahr beginnen, dann läuten sie die Glocken, öffnen Türen, hängen Fahnen auf. Was sagen Sie zur evangelischen Feiervariante?

Thomas Hüsch: Die evangelische Kirche hat ihre Traditionen, wir haben unsere Traditionen. Ich kann dieser nüchternen Art aber durchaus etwas abgewinnen.

Brauchen wir ein Lutherjahr?

Stahl: Die Reformation ist nicht Luther – er spielte eine wesentliche Rolle, aber nicht die ausschließliche. Wir brauchen ein Jahr, in dem wir uns erinnern – und es ist schon im Vorfeld viel Reflexion passiert. Wir müssen auch noch viel lernen, zum Beispiel auch, wie wir mit Festen umgehen. Dieses Jahr bietet die Möglichkeit, einiges neu zu bedenken. Insofern tut es uns gut. Zum Überleben brauchen wir es hingegen nicht, da bin ich dann doch eher asketisch-evangelisch. Wir werden viele Veranstaltungen gemeinsam mit der katholischen und anderen Kirchen haben. Vielleicht werden uns spätere Generationen vorwerfen, dass wir das Fest hergegeben haben, nicht richtig begangen haben. Aber für unsere heutige Zeit finde ich es so passend, wie wir vorgehen.

Herr Hüsch, Sie als Katholik: Werden Sie nächstes Jahr feiern? Gedenken? Trauern?

Hüsch: Es ist schön, dass wir so weit in unserem ökumenischen Miteinander sind, dass wir gemeinsame Akzente setzen können. Natürlich hat die Reformation für uns eine andere Bedeutung als für die evangelische Kirche. Aber die Reformation brachte auch viele positive Impulse in unsere Kirche! Wir sehen uns allerdings in diesem Jahr als Gäste, es ist das Jahr der evangelischen Kirche.

Gibt es eine Angst in der evangelischen Kirche, nicht zu fest zu feiern, um die Katholiken nicht zu verärgern?

Stahl: Bewusst nicht. Das Feiern gelingt uns aber nicht so automatisch. Manche wollen feiern, es gibt auch schöne Ideen! Aber es gibt keine automatisierten gemeinsamen Formen. Wir haben ein anderes Kirchenbild als die Katholiken: Bei uns kann sich ein Gedanke nicht geradlinig von oben nach unten auf alle Ebenen fortsetzen. Wir haben eine große Vielfalt, und das ist manchmal schlecht zu koordinieren. Da kann man sich drüber ärgern – das tun auch viele. Aber das ist eben unsere evangelische Kirche. Ich möchte übrigens noch einmal auf den Begriff „Lutherjahr“ kommen. Der macht uns kirre hier im Westen Deutschlands.

Wie nennen Sie es?

Stahl: „Reformationsjubiläum“. Wenn man ganz ökumenisch sensibel sein will, dann sagt man „Reformationsgedenken“. Unsere Synoden haben über die Diktion hitzig diskutiert und kamen zu keiner gemeinsamen Entscheidung. Die rheinische Kirche ist nicht lutherisch geprägt, deshalb positionieren wir uns gegen die Zuspitzung auf Luther. Das hat historische Gründe. Natürlich wäre die Reformation ohne Luther nicht möglich gewesen. Wie auch immer: Vielleicht lernen wir das Feiern ja noch, und die Ökumene hat auch einen schönen Effekt für uns. Wir können von den Katholiken ein Stück weit Unbeschwertheit lernen. Wissen Sie, die Reformation hat schon viele Menschen verwirrt und Verunsicherung gebracht. Das ist tief ins Selbstbewusstsein der Kirchen eingedrungen. Im katholischen Selbstbild gibt es viele Selbstverständlichkeiten, die es auf evangelischer Seite nicht gibt. Und das führt zu vielen internen Diskussionen. Manche vertreten bei uns eine Art Konkurrenz-Ökumene: „Auf, denen zeigen wir's, dass wir auch feiern können.“ Das sind aber Einzelstimmen.

Wie selbstbewusst gehen Sie auf Ihr Fest zu?

Stahl: Es gehört zu unserem Selbstbewusstsein, dass wir die ökumenischen Kollegen auch um Rat fragen. Wir möchten mit unserem Fest keinen verletzen. In den vergangenen Jahren kristallisierte sich in der Vorbereitung der englische Begriff „healing memories“ heraus. Es geht um das Heilen von Erinnerungen. Es gab viele Verletzungen, die wir uns gegenseitig zugefügt haben. Das kann man auch auf die Freikirchen und Sekten ausweiten. Unser Verhältnis hat sich da immer noch zu verbessern. Und das ist Selbstbewusstsein!

Haben Sie als Katholik das Gefühl, dass Sie Inhalte des evangelischen Festes abnicken?

Hüsch: Ich bin da persönlich nicht involviert, da gibt es Verantwortlichkeiten beim Bistum. Hier in Koblenz handeln wir stets in großem gegenseitigen Respekt. Da kommen wir menschlich sehr gut auf einen Nenner. Wir müssen hier nicht mehr auf Eiern gehen, da ist viel Vertrauen gewachsen. Deshalb haben wir es wahrscheinlich leichter als Vertreter, die auf der überregionalen Ebene zusammenarbeiten müssen und sich persönlich nicht so gut kennen.

In den Vorbereitungsgesprächen fragten viele: „Wird der Papst nach Deutschland kommen?“ Nach aktuellem Stand sieht es so aus, dass er nicht kommt, sondern lediglich im schwedischen Lund das Reformationsjahr eröffnet.

Stahl: Diese Lösung finde ich gut. So rückt Schweden auch in den Fokus der Öffentlichkeit, und der internationale Aspekt der Reformation wird deutlich. Es ist wichtig, dass wir in Deutschland nicht alles für uns vereinnahmen. Dass der Papst nicht kommt, finde ich entlastend. Franziskus konzentriert auf sich viel Aufmerksamkeit. Die päpstliche Wertschätzung unserer Kirche hat sich ja schon beim Besuch von Benedikt XVI. in Deutschland gezeigt, als er mit Präses Nikolaus Schneider zusammengetroffen ist. Die Schilderungen von Schneider haben mich damals sehr bewegt, und da spürt man schon ein starkes Wohlwollen. Ich glaube deshalb, dass uns Franziskus einen Gefallen tut, wenn er nicht kommt. Nicht weil ich ihn nicht schätze. Aber sein Besuch würde eine neue Fokussierung bedeuten, und ich glaube, dass der Papst selbst das nicht will.

Hüsch: Das denke ich auch. Wenn der Papst käme, stünde er bei diesem Fest plötzlich im Mittelpunkt, allein durch seine Person. Er würde das Fest in den Hintergrund rücken. Dass Franziskus nicht kommt, ist auf keinen Fall mangelnde Wertschätzung der evangelischen Kirche gegenüber.

Manfred Rekowski, der Präses der EKIR, der Evangelischen Kirche im Rheinland, sagte einmal, dass es zahlreiche Eintritte in die evangelische Kirche gibt, weil die Leute Franziskus so toll finden.

Hüsch: (lacht) Ja, das ist herrlich, wir sitzen einfach im selben Boot. Es gibt auch den umgekehrten Fall, dass evangelische Christen aus ihrer Kirche ausgetreten sind, weil sie mit dem Papst nicht zufrieden waren. Weite Teile der Öffentlichkeit scheinen unsere beiden Kirchen als eine gemeinsame zu sehen. Das ist ja grundsätzlich nicht negativ. Wir für uns wissen ja um unsere Eigenständigkeit. Aber es ist schön, wenn man uns als Einheit sieht.

Stahl: Sollte ja eigentlich auch so sein.

Beide Kirchen sind ja auch durch die Probleme vereint: Beide haben Mangel an Hauptamtlichen, beide sind sehr auf die Ehrenamtlichen angewiesen.

Stahl: Da sitzen wir tatsächlich im ähnlichen Boot. Nicht im selben Boot, das ist mir wichtig. Die Schwäche unserer evangelischen Kirche mag die Dauerhaftigkeit sein. Aber dafür sind wir im Bereich der Anpassungsfähigkeit besser und schneller. Unsere Nachwuchsförderungsprogramme laufen so gut an, dass es jetzt schon erste Stimmen gibt, die davor warnen, was wir mit all den Hauptamtlichen in 30 Jahren tun werden. Man kann unseren aktuellen Mangel an Hauptamtlichen nur bedingt mit dem Priestermangel der katholischen Kirche vergleichen – bei uns geht es mehr darum, Menschen dazu zu bewegen, ein theologisches Studium aufzunehmen. Es gibt ja nicht die katholische Priesterweihe bei uns. Gleichzeitig beobachten wir die katholische Kirche sehr genau, wie sie mit dem Strukturwandel klarkommt, den wir ja auch angehen müssen. Da erschrecken wir vor der Dramatik und Gründlichkeit, mit der katholische Strukturen verändert werden. Das läuft bei uns so nicht. Vielleicht nicht, weil es noch nicht sein muss. Aber auch, weil unser Verhältnis zu unserer Kirche ein anderes ist. Wir schauen mit großem Interesse an, was Sie Katholiken nach Ihrer Synode umsetzen. Aber das können wir uns für uns aktuell nicht vorstellen.

Ja, die katholische Kirche hat die Synode für sich entdeckt!

Stahl: Wir sind indessen eher synodenmüde geworden. Viele sind es leid, dass ständig in Synoden die Meinungsbildung stattfinden muss. Die katholische Kirche ist da gerade so voller Begeisterung! Als Bischof Stephan Ackermann bei einem Treffen mit solchem Feuer von seiner katholischen Synode erzählte, sagte ich: „Das nehme ich jetzt mit nach Hause, ich möchte gern so ein Feuer auch wieder bei unseren Synoden empfinden.“ Was uns sehr gefreut hat: Viele Teilnehmer der Trierer Synode haben gesagt, dass sie diese Methode von uns abgeschaut haben. Diese Wertschätzung tut uns gut. Gerade hier im Rheinland sind die evangelischen Synoden sehr mächtig und entscheidend, da ist es wichtig, sie auch gern zu besuchen.

Hüsch: Ich kann mich an die Situation erinnern. Herr Stahl erzählte unserem Trierer Bischof, dass bei vielen evangelischen Christen die Synodenbegeisterung eingeschlafen sei. Und dann meinte Stephan Ackermann: „Ich gebe Ihnen einen Tipp: Machen Sie es nur alle 50 Jahre, so wie wir.“ (lacht)

Wenn wir ein wenig in die Zukunft blicken: Was erwarten Sie im lokalen Bereich von den normalen Gläubigen vom kommenden Jahr, Herr Stahl?

Stahl: Ich möchte meine Kirchengemeinde auf einen Weg mitnehmen, die Ziele der Reformation neu für sich zu entdecken. Ich denke an den Bezug zur Schrift, zur Gnade, zum Glauben. Christus soll ein Wort sein, das man leichter und selbstverständlicher ausspricht. Ich denke an ein neues Bewusstsein, nicht im konfessionalistischen Sinn, sondern dass man sich mit der Reformation beschäftigt. Auch mit Luther! Seine Lieder sind uns ja im Gesangbuch überliefert. Und diese kann man mehr würdigen als bisher. Eine große Hilfe wird sein, dass wir eine neue Bibelübersetzung haben. Das passt wunderbar! Für die Gemeinden kommt diese neue Bibel genau zur rechten Zeit. Ich denke, dass es wichtig ist zu wissen: Was ist evangelisch? Und dazu gehört unser „sola scriptura“: Wenn ich eine Frage habe und etwas wissen will, muss ich mit der Bibel leben können. Also wünsche ich mir, dass unsere Gläubigen auch einen neuen Zugang zur Bibel bekommen und damit auch in ihrer Identität gestärkt werden.

Was erwarten Sie von katholischer Seite an Effekten für Ihre Pfarreien, Herr Hüsch?

Hüsch: Ich wünsche mir, dass dieses Jubiläumsjahr unsere Gemeinden näher zusammenbringt. Wir verstehen uns schon in vielen Fällen gut, aber natürlich gibt es auch noch Betonköpfe auf beiden Seiten. Das ökumenische Bewusstsein in unseren Gemeinden könnte sich weiterentwickeln. Ich kann auch sehr gut mitgehen, wenn Herr Stahl sagt, dass sie das Jubiläum zur Identitätsstärkung nutzen wollen. Das kann ich für unsere Kirche nicht sagen, so intensiv werden wir uns wohl nicht mit dem Gedenkjahr auseinandersetzen.

Gibt es Empfehlungen an die katholischen Pfarrer, zum Lutherjahr zu predigen?

Hüsch: Es wäre auf jeden Fall sinnvoll, das Jubiläum in der Verkündigung zu berücksichtigen. Es bietet einfach eine große Chance, zum gegenseitigen Verständnis beizutragen. Es ist auch wichtig zu verstehen, warum es immer noch Unterschiede gibt, warum zum Beispiel ein gemeinsames Abendmahl nicht möglich ist. Das soll ja keine Ausgrenzung sein, sondern es sind schlicht theologische Fragen.

Gehen wir in die nächsthöhere Ebene, EKIR und Bistum. Was sind Ihre Erwartungen?

Stahl: Da habe ich recht selbstbewusste Hoffnungen. Ich hoffe, dass es uns gelingt, unsere positiven ökumenischen Erfahrungen, die wir im Trierer Gebiet gemacht haben, im Bereich unserer Landeskirche besser vermitteln zu können. Wir haben evangelische Kirchenkreise, die aufgrund ihrer Geschichte und ihrer Erfahrungen anders positioniert sind als wir, und das macht es innerkirchlich oft sehr schwer. Stichwort: Christuswallfahrt nach Trier. Da gab es heftige Diskussionen, ob man als evangelischer Christ an dieser Wallfahrt teilnehmen darf. Das sind Diskussionen, die unsere Zeit nicht braucht. Die braucht sie in der Tiefe, aber nach außen hin müssen wir der Gesellschaft das Signal geben, dass wir zwei Kirchen trotz aller Diversität – die wir ja wohl auch weiterhin haben werden – eine verbindliche Gemeinschaft haben. Die ist nicht harmonistisch um jeden Preis, aber wir sollten zusammenkommen können. Und da leben wir hier im Kirchenkreis Koblenz in paradiesischen ökumenischen Verhältnissen. Es gibt ja hier die Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen – und die schafft es sehr gut, die Parität der Großen und Kleinen abzubilden. Vielleicht nicht in die Gesellschaft hinein, dafür ist das Netzwerk zu informell. Aber die Absicht ist da – und das freut mich. Und da wünsche ich mir, dass wir im Bereich Südrhein in der evangelischen Kirche dem Nordrhein auch etwas mitgeben können.

Hüsch: Das war ja auch mein Verdacht, dass es nicht überall so gut funktioniert wie bei uns. Das hat mich gleich gefreut, als ich das Dechantenamt übernommen habe, dass es hier überall offene Türen gab. Wir sind uns aber auch bewusst, wo Grenzen sind. Gleichmacherisch zu sein, ist ja auch nicht sinnvoll. Die Unterschiedlichkeit als Wert zu sehen, setzt sich auch nach und nach durch. Früher bedeutete Ökumene ja, dass man auf Teufel komm raus zusammenkommen wollte. Heute sieht man die Entwicklungen in den beiden großen Kirchen auch als gegenseitigen Reichtum und Chance. Nehmen wir allein das Liedgut: Da haben wir inzwischen auch Lieder von Luther und aus dem evangelischen Bereich ins katholische Gotteslob übernommen.

Blicken wir auf die höchste Ebene: Was erwarten Sie von Papst Franziskus und von der EKD-Leitung?

Stahl: Ich möchte sehr persönlich antworten: Ich habe keine Erwartungen. Nicht, weil ich enttäuscht bin, sondern weil bereits viel passiert ist. Ich denke an die Rücknahme der Verwerfungen aus der Reformationszeit. Die Erlaubnis zum gemeinsamen Abendmahl erwarte ich nicht. Das wäre mir auch viel zu menschlich und zu schnell dahinentschieden. Ich glaube, ich würde mich sogar schwer damit tun, wenn Franziskus dies quasi als Geschenk zum Jubiläum mitbringen würde. Durch die katholische Familiensynode ist ohnehin viel aufgebrochen, und auch das kritische Familienpapier der EKD zeigt, dass viel passiert. Ich erwarte da von den Kirchenoberen nichts. Das wäre auch nicht protestantisch! Wenn Obere jetzt zum Jubiläum hin irgendetwas entscheiden würden, was jetzt gelten soll – das würde eher zu Misstrauen als zu Akzeptanz führen.

Hüsch: Man glaubt immer, die katholische Kirche wäre streng hierarchisch und dass der Papst alles entscheiden könnte, was er will. Das stimmt ja auch nicht. Der Papst muss – selbst wenn er etwas inhaltlich will – viele Rücksichten nehmen. Auch bei uns funktioniert das nicht ganz so einfach.

Stahl: Ach, das habe ich immer gedacht.

Hüsch: Nein, darum hat ja der Trierer Bischof auch seine Synode einberufen. Weil es auch menschlich gesehen nicht immer leicht ist, persönlich die Verantwortung für alles zu übernehmen. Da will man sich auch gern beraten lassen und zuhören.

Zum Abschluss würde ich Ihnen beiden gern die Gelegenheit geben, im Sinne der Ökumene dem anderen Kirchenvertreter eine Frage zu stellen, was Sie schon immer mal von der anderen Kirche wissen wollten.

Stahl: Mich würde wirklich interessieren, wie Sie als katholischer Priester mit den Reformprozessen zurechtkommen, die derzeit bei Ihnen laufen. Wie geht es Ihnen damit? Wie kommen Sie mit Ihrer Kirche zurecht, die sich doch so verändert?

Hüsch: Es ist ein gewaltiger Umbruch im Gange, das stimmt. Ich tue mich damit nicht ganz so schwer. Eine zentrale Frage ist ja die Rolle der Priester in Zukunft. Es gibt nicht mehr so viele von uns, und die Frage wird sein, welche Aufgaben wir in Zukunft haben werden. Ich persönlich bin nicht Priester geworden, weil ich mein Leben lang Pfarrer sein wollte mit allen Pflichten und Aufgaben. Priestersein bedeutete für mich immer mehr, als eine Pfarrei zu leiten. Aber da muss sich bei vielen Priestern auch innerlich viel bewegen: Ich muss nicht bei allem dabei sein. Ich muss nicht alles im Griff haben. Genau das ist ja immer von uns erwartet worden! Da jetzt loszulassen, fällt nicht immer leicht. Die größte Schwierigkeit ist aber, dass die Menschen diesen Weg mitgehen. Wir haben unsere Gläubigen jahrhundertelang sehr auf die Priester zentriert und ausgerichtet. Und jetzt von ihnen zu verlangen, dass sie auf einmal den Schalter umlegen, das ist schwer. Die Priester werden weiter eine wichtige Rolle haben, aber es wird vieles ohne sie laufen müssen. Und da habe ich Bauchschmerzen. Ich merke, dass es schwierig wird, dies den Gläubigen zu vermitteln.

Ich habe auch eine Frage an den Kollegen. Ich war kürzlich bei Ihrer Kreissynode und habe das mit großem Interesse verfolgt. Das synodale Prinzip soll ja auch bei uns verankert werden, unter Umständen auch im Dekanat. Ich habe mir die Frage gestellt, ob es nicht manchmal auch sehr anstrengend in der evangelischen Kirche ist. Ich stelle es mir teilweise mühsam vor, alles über Synoden klären zu müssen. Wie behalten Sie da den Spaß?

Stahl: Es ist total mühsam, anstrengend und sehr oft sogar richtig ärgerlich. Aber es gibt auch immer wieder synodale Höhepunkte, und davon lebt man. Wenn sich eine Synode ganz klar hinter eine Sache stellt, dann ist das ein starkes Votum, dann ist das ein Rücken, der belastbar ist. Das habe ich auch immer wieder erlebt, auch wenn es derzeit wenige Themen gab, wo das so passiert ist. Als die Anschläge in Paris zu beklagen waren, da sagte die Synode: „Gerade jetzt gemeinsam!“ und sprach sich für eine unbedingte Fortsetzung des christlich-muslimischen Dialogs aus. Da habe ich Gänsehaut gespürt. Es wurde klar: Trotz aller Unterschiedlichkeit gibt es Situationen, in denen eine Synode eine gemeinsame und klare Position bezieht. Aber diese Höhepunkte hat man nicht ohne das andere – und das ist wahnsinnig anstrengend, allein, wenn man es leiten muss. Wir haben ja den kirchenrechtlichen Begriff der Einmütigkeit – unsere Entscheidungen sollen einmütig getroffen sein. Das heißt, dass wir nicht in Kampfabstimmungen gehen wollen – die Erfahrung zeigt, dass dies nicht tragen würde. Und das ist mühsam. Das bedeutet immer, dass man von den Dingen, die einem selbst wichtig sind, auch etwas abgeben muss. Synodale Ergebnisse sind meist Vergleiche. Und ehrlich: Manchmal bräuchte ich das nicht. Evangelische Kirchenleitung kann sehr anstrengend sein. Man muss immer im Gespräch sein. Aber das ist so gewollt!

Hüsch: Das ist sehr wichtig zu hören. Dieses synodale Prinzip lernen wir Katholiken ja erst noch. Es ist immer noch ungewohnt, wenn der Bischof den Rat der regionalen Gremien einholt. Ich glaube, da können wir viel von Ihnen lernen, auch wenn es anstrengend ist. Aber das andere Prinzip ist ja auch nicht unanstrengend. Wenn Einzelpersonen ständig die Letztverantwortung tragen müssen, ist das auch schwer. Uns Priestern wird ja immer mehr aufgeladen, sodass wir auch merken: Es geht einfach nicht mehr so.

Das Gespräch führte unser Kirchenexperte Michael Defrancesco