Kann Massentierhaltung artgerecht sein? Pro und Kontra

„Zu viel Ordnungsrecht führt zu einer Verlagerung der Ställe ins Ausland, wo die Haltungsstandards deutlich niedriger sind.“ Philipp Schulze Esking, studierter Agrar-wissenschaftler, bewirtschaftet einen Schweinemastbetrieb in Billerbeck (Nordrhein-Westfalen). Er ist Vizepräsident der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft und stellvertretender 
Vorsitzender der Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands.
„Zu viel Ordnungsrecht führt zu einer Verlagerung der Ställe ins Ausland, wo die Haltungsstandards deutlich niedriger sind.“ Philipp Schulze Esking, studierter Agrar-wissenschaftler, bewirtschaftet einen Schweinemastbetrieb in Billerbeck (Nordrhein-Westfalen). Er ist Vizepräsident der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft und stellvertretender 
Vorsitzender der Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands. Foto: frei

Es gibt Wege zu einer gesellschaftlich akzeptierten Massentierhaltung – und daran arbeiten wir. Allerdings ist der Weg, den wir Landwirte eingeschlagen haben nur teilweise deckungsgleich mit den Vorstellungen der „Agrarweisen“ des Wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik. Im Rahmen eines Gutachtens skizzieren die Wissenschaftler ihre Ideen zu einer gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhaltung. Kernforderung ist dabei eine Weiterentwicklung der Tierhaltung. Dieser Forderung stimme ich voll und ganz zu! Ich bin Landwirt und bewirtschafte einen Betrieb mit Schweinehaltung, der seit dem 12. Jahrhundert im Familienbesitz ist. Wir konnten unseren Betrieb nur erfolgreich weiterentwickeln, weil wir immer vor Augen hatten, dass wir ohne gesellschaftliche Akzeptanz keine Zukunft haben.

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PRO

Von Philipp Schulze Esking

Genauso hatten wir aber auch immer Blick, dass das, was wir tun, sich rechnen muss. Denn von gesellschaftlicher Akzeptanz allein kann kein Betrieb überleben. Das liegt vor allem daran, dass die Ansprüche der Verbraucher in Bezug auf mehr Tierwohl im Stall wesentlich höher sind als die Bereitschaft, das auch an der Ladentheke durch einen höheren Preis zu honorieren. Dass die Tierschutzgesetze und Haltungsanforderungen für Nutztiere in Deutschland weltweit mit zu den höchsten gehören, mag diese Einstellung der Verbraucher übrigens zusätzlich befördern. Daher kann ich der These nicht folgen, dass die derzeitigen Haltungssysteme vor dem Hintergrund von Tierschutzdefiziten und gesellschaftlichen Erwartungen in Bezug auf Tierwohl nicht zukunftsfähig sind. Indikatoren, die Tierwohl belastbar messbar machen, fehlen schlicht.

Wenn wir ein echtes Mehr an Tierwohl in den Ställen haben wollen, darf das nicht mit einem Weniger an Tierschutz einhergehen – verbesserte „Verhaltensoptionen“ können eben auch schädlich für die Tiergesundheit sein. Wir lehnen uns allerdings nicht zurück und sitzen die Sache nun aus. Im Gegenteil: Wir arbeiten mit Hochdruck an all den Themen, die im Fokus der gesellschaftlichen Diskussion stehen. Man schaue beispielsweise nur in die Kriterienliste der „Initiative für mehr Tierwohl“ der Wirtschaft. Da sind alle Themen drin, die die Wissenschaftler ansprechen – vom Antibiotikamonitoring, über das zusätzliche Platzangebot bis hin zu den nicht kurativen Eingriffen am Tier wie Ferkelkastration oder das Kupieren von Ringelschwänzen beim Schwein. Wir arbeiten innerhalb des Berufsstandes und zudem an diversen Runden Tierschutz-Tischen in den Bundesländern und auf Bundesebene bereits seit geraumer Zeit daran.

Es sind inhaltlich äußerst dicke Bretter, die zu bohren sind. Und es geht ja auch um etwas: Zusätzliches Tierwohl und die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe. Das eine schließt das andere keinesfalls aus, ohne Frage! Es erfordert jedoch viel Augenmaß, grundlegende Veränderungen an den heutigen Produktionsbedingungen vorzunehmen, während die Betriebe sich zeitgleich in einem hart umkämpften internationalen Markt behaupten müssen. Tierhalter sind schließlich landwirtschaftliche Unternehmern. Sie agieren am Markt ohne Netz und doppelten Boden. Oder anders formuliert: Nur wenn die Tierhalter am Markt bestehen, lässt sich mehr Tierwohl realisieren. Das kommt einer Operation am offenen Herzen gleich – während der Patient währenddessen weiter seiner Arbeit nachgeht wohlgemerkt!

Was mich als Betriebsleiter vor allem umtreibt, ist weniger das Ob sondern das Wie: Wie sollen wir alle Forderungen (oder vielmehr Ideen) in bestehenden Stallsystemen und über viele Jahren gewachsene Strukturen eines landwirtschaftlichen Familienbetriebes umsetzen, ohne wirtschaftlich buchstäblich unter die Räder zu kommen? Der Weg, den der Wissenschaftliche Beirat des Bundeslandwirtschaftsministeriums zur Lösung dieses Problems aufzeigt, ist viel zu theoretisch und für mich in der Praxis nicht gangbar. Die Wissenschaftler schlagen eine Kombination aus staatlichen Zahlungen, Branchenselbstverpflichtungen und zusätzlichen gesetzlichen Mindeststandards vor. Ich bin klar dagegen, das unternehmerische Handeln wieder an staatlichen Töpfen auszurichten. In einem liberalisierten EU-Markt ohne Schranken oder Handelsbarrieren kann das nicht funktionieren.

Zu den geforderten Gesetzesverschärfungen kann ich nur sagen: Deutschland gehört bereits heute zu den Ländern mit den höchsten Tierschutzstandards weltweit. Welche Tierhaltung wollen wir denn regulieren, wenn wir schlicht keine mehr haben? Zu viel Ordnungsrecht führt zu einer Verlagerung der Ställe ins Ausland, wo die Haltungsstandards deutlich niedriger sind. Immerhin: Privatwirtschaftliche Maßnahmen, wie die Brancheninitiative Tierwohl sind Teil der vorgeschlagenen Strategie der „Agrar-Weisen“. Gut so! Denn das ist der Weg, den wir Landwirte längst eingeschlagen haben. Die Initiative Tierwohl ist der beste Beleg für den Willen zur Weiterentwicklung seitens des Handels und der Landwirtschaft. Die enormen Anmeldezahlen von mehr 4500 Schweine haltenden Betrieben sind meiner Ansicht nach ein deutliches Zeichen für die Bereitschaft der Tierhalter, sich für mehr Tierwohl zu engagieren.

Wir brauchen ein staatliches Tierwohllabel und eine massive Aufstockung staatlicher Zahlungen für mehr Tierwohl.“ Harald Grethe leitet den Fachbereich Agrar- und Ernährungspolitik an der Universität Stuttgart-Hohenheim. Er ist Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft.
Wir brauchen ein staatliches Tierwohllabel und eine massive Aufstockung staatlicher Zahlungen für mehr Tierwohl.“ Harald Grethe leitet den Fachbereich Agrar- und Ernährungspolitik an der Universität Stuttgart-Hohenheim. Er ist Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft.
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Kontra

Von Harald Grethe

Die Vorschläge des Wissenschaftlichen Beirats zur Weiterentwicklung der Tierhaltung halten Landwirte für „zu theoretisch und in der Praxis nicht gangbar“. Ihr Grundproblem kann ich nachvollziehen, es ist auch Grundlage unseres Gutachtens: Es ist eine sehr große Herausforderung, gleichzeitig eine deutliche Erhöhung des Tierwohls zu erreichen und die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe zu erhalten. Es ist ja dem Tierschutz nicht geholfen, wenn die Tierhaltung aufgrund höherer Produktionskosten ins Ausland verlagert wird. Wir sind uns auch einig darüber, dass eine Erhöhung des Tierwohls Geld kostet – und dass die Tierhalter dieses Geld erwirtschaften können müssen. Eine ausschließliche Verschärfung des Ordnungsrechts wäre daher nicht sinnvoll. Deutliche Unterschiede gibt es allerdings in unserer Einschätzung des Ausmaßes der Problemlage und der Maßnahmen, die nötig sind, um das formulierte Ziel zu erreichen.

Zur Problemlage: Dass unsere Tierschutzgesetzgebung und die daraus resultierenden Haltungsanforderungen für Nutztiere im internationalen Vergleich hoch sind (allerdings nicht „die höchsten“!), ist völlig normal: Wir gehören weltweit zu den reichsten Ländern, und die Ansprüche an Tier- und Umweltschutz steigen mit den Einkommen. Allerdings stellen wir eine zunehmende Lücke zwischen den Ansprüchen an den Tierschutz und der Realität in vielen Bereichen der Nutztierhaltung, insbesondere der intensiven Mast, fest. Diese Haltungssysteme bieten zu wenig Platz und zu wenig Abwechslung in Bezug auf Bodenbeläge, Stallklima und Beschäftigungsmaterialien. Daraus resultiert zum Beispiel auch, dass wir Schweine durch das Kupieren von Schwänzen an diese Haltungssysteme anpassen müssen.

Ich halte die derzeitigen Haltungsbedingungen eines Großteils der Nutztiere für nicht zukunftsfähig. Diese Einschätzung wird von Fachwissenschaftlern wie Nutztierethologen und -physiologen geteilt. Und natürlich kann man das auch messen: etwa am Zustand der Schlachtkörper oder am beobachteten Tierverhalten. Diese „Messbarkeit“ von Tierwohl muss weiterentwickelt werden. Aber unser Kenntnisstand reicht aus, um notwendige Verbesserungen jetzt entschieden einzuleiten. Die Begriffe Tierwohl und Tierschutz als Gegensätze zu behandeln, halte ich nicht für sinnvoll. Tiergesundheit ist ein wesentlicher Bestandteil von Tierwohl – aber eben nicht der einzige.

Die Initiative Tierwohl der Privatwirtschaft ist ein Modell mit hohem Potenzial: Die Tatsache, dass sich mehr als doppelt so viele Schweinehalter angemeldet haben als aufgrund des beschränkten Budgets teilnehmen konnten, spricht für die große Bereitschaft, sich für mehr Tierwohl zu engagieren. Damit sind wir beim Kernproblem: Die Brancheninitiative ist unterfinanziert. Zurzeit führt der Lebensmitteleinzelhandel pro Kilo Geflügel- und Schweinefleisch 4 Cent ab – das ergibt 85 Millionen Euro jährlich. Eine dringend erforderliche Erhöhung des Budgets gestaltet sich zurzeit sehr schwierig. Wenn es gelänge, das Budget in den kommenden drei Jahren auf 300 bis 400 Millionen zu erhöhen, wäre das ein Riesenerfolg – und trotzdem nicht ausreichend.

Für eine deutliche Verbesserung des Tierwohls wären 3 bis 5 Milliarden Euro jährlich nötig. Zu diesem Volumen trägt die Brancheninitiative heute gut 2 Prozent bei. Es ist also naiv, dieses Modell als einziges Finanzierungsinstrument für mehr Tierwohl zu positionieren.

Wir brauchen dringend weitere Finanzierungsinstrumente: Erstens ein staatliches Tierwohllabel ähnlich dem Biosiegel. Damit ließe sich rund ein Viertel der Konsumenten an der Ladenkasse gewinnen. Gegenüber dem heutigen, zersplitterten Marktanteil solcher Produkte, der nur 1 Prozent beträgt, wäre das ein Riesenfortschritt. Aber wir müssen auch mit der Realität leben, dass wir drei Viertel der Verbraucher an der Ladenkasse nicht erreichen. Deshalb braucht es zusätzlich eine massive Aufstockung staatlicher Zahlungen für mehr Tierwohl. Deutschland könnte ab 2018 jährlich 530 Millionen Euro EU-Gelder zusätzlich für solche Maßnahmen verwenden, statt sie als pauschale Flächensubventionen weitgehend wirkungsfrei zu verschwenden. Zum Vergleich: Heute werden in Deutschland pro Jahr nur etwa 40 Millionen Euro an staatlichen Tierwohlprämien gezahlt, aber etwa 5 Milliarden Euro pauschale Flächensubventionen.

Ich verstehe, wenn Landwirte sich sorgen, ob solche Zahlungen langfristig verlässlich sind. Allerdings meine ich, dass Tierwohlzahlungen viel besser zu vermitteln sind als die heutigen Flächensubventionen, weil sie an einem gesellschaftlichen Ziel orientiert sind. Kurzum: Die Brancheninitiative ist nicht als „der Weg“ für mehr Tierwohl absehbar, sondern als ein wesentlicher Baustein. Die Herausforderung ist so groß, dass wir alle drei Finanzierungsinstrumente brauchen: Kennzeichnung, Brancheninitiative und staatliche Tierwohlprämien. Sie können sich hervorragend ergänzen.

Ja, das ist eine große Herausforderung – und alle Beteiligten müssen zum Gelingen dieser „Operation am offenen Herzen“ beitragen: Staat, Verbraucherinnen und Verbraucher, die Privatwirtschaft und die Wissenschaft. Aber wir müssen schneller und entschiedener operieren, sonst ist der Patient in Gefahr!