Rheinland-Pfalz

HIV positiv: Das Leben geht weiter

Als Anna L. erfährt, dass sie eventuell HIV-positiv sein könnte, wird ihr schlecht. „Aids, das hatte man mal gehört, auch in der Schule durchgenommen. Aber das hatte doch nichts mit mir zu tun!“ Und plötzlich doch. Der Test, den die 26-Jährige beim Gesundheitsamt macht, ist tatsächlich positiv.

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Von unserer Redakteurin Doris Schneider

Was man so positiv nennt. Das war im vergangenen Winter. „Danach kamen erst mal ein paar ganz heftige Wochen“, sagt die junge Frau. Nicht nur sie selbst musste die Diagnose verdauen, auch ihr Freund. „Das hat nicht so gut geklappt.“ Anna L. zuckt mit den Achseln.

Das Virus hat seinen Schrecken verloren – macht es dadurch aber nicht weniger gefährlich.
Das Virus hat seinen Schrecken verloren – macht es dadurch aber nicht weniger gefährlich.
Foto: DPA

„Wir waren noch nicht so lange zusammen, da war das noch nicht stabil genug. Ich kann's ihm auch nicht mal verdenken.“ Kein Einzelfall, sagen Hanna Jones und Gerhard Wermter von der Koblenzer Aids-Hilfe anlässlich des Welt- Aids-Tages am Sonntag.

„Bei Paaren, die schon lange zusammen sind, klappt es häufiger, dass die Krankheit sie nicht trennt, aber bei frischen Beziehungen ist das schwieriger. Die zerbrechen oft.“

Dann: Wie sag ich es meiner Familie? Anna L. wohnt in einem kleinen Dorf auf dem Hunsrück. Das Umfeld ist sehr konservativ. Da wird Aids noch als Krankheit der Schwulen, Huren und Drogenabhängigen eingeordnet. Und dann kommt plötzlich die Tochter, Enkelin, Nichte, Schwester und sagt, sie hat das auch.

„Das war ein Riesenschock.“ Aber irgendwie kommen alle damit klar. Was bleibt ihnen auch anderes übrig? Doch jetzt geht es erst einmal um die Behandlung. Anna wird in der Infektiologischen Ambulanz in Koblenz aufgenommen. Sie bekommt starke Medikamente, die das Virus unterdrücken. Und merkt erst jetzt, wie viel Glück sie eigentlich noch hatte: „Ich war körperlich echt fertig.“

Denn die junge Frau muss dasVirus schon einige Jahre in sich getragen haben, sagt der Arzt. Und in der Zeit hat sie vermutlich auch andere unwissentlich angesteckt. „Ein beschissenes Gefühl.“ Wäre die Krankheit bei Anna L. nicht erkannt worden, wäre sie wahrscheinlich schon gestorben. Vielleicht an einer Lungenentzündung, vielleicht an einer anderen Infektion. Auf HIV hätte ziemlich sicher niemand getippt.

Wie hoch die Dunkelziffer ist, kann naturgemäß niemand genau sagen. Rund 78 000 Menschen leben in Deutschland mit HIV, Experten gehen von weiteren rund 13 000 unerkannten Fällen aus. Fällen wie Anna also – bis vor einem Jahr. Die Medikamente legen sie anfangs total lahm. Und sie leidet nicht nur körperlich, sondern auch psychisch.

Eine Therapie hilft ihr. Und schnell ist Anna auch medikamentös gut eingestellt. Bald geht es ihr besser. So gut, dass sie ganz normal arbeiten geht, ganz normale Sachen einer ganz normalen jungen Frau unternimmt, ausgeht, sich mit Freunden trifft. Nur zwei von ihnen hat sie gesagt, dass sie HIV-positiv ist.

„Die geben mir auch total viel Unterstützung und Kraft, aber ich mag es nicht jedem erzählen.“ Auch die Kollegen und Chefs im Büro wissen es nicht. „Man kann auch ehrlich gesagt noch immer niemandem guten Gewissens zuraten, sich am Arbeitsplatz oder auch im Bekanntenkreis zu outen“, sagt Gerhard Wermter von der Aids-Hilfe.

Immer wieder hören die Berater von Fällen, wo jemand am Arbeitsplatz total gemobbt wird, wenn seine Infektion bekannt wird oder sich die Kollegen weigern, mit ihm zusammenzuarbeiten, sodass der Chef fast nicht anders kann, als den Betroffenen zu entlassen. „Ich finde es blöd, mich immer zu verstellen“, sagt Anna L.

„Aber im Moment sehe ich keine Alternative.“ Mittlerweile wird ihr Alltagsleben nicht mehr 100- prozentig von der Krankheit dominiert – wenn sie nicht jeden Tag Tabletten nehmen müsste. „Die Medikamente sind wirklich enorm gut geworden“, sagt Dr. Ansgar Rieke von der Infektiologischen Ambulanz in Koblenz.

Zwar haben sie Nebenwirkungen, aber im Vergleich zu der todbringenden Alternative ist das auszuhalten. Einen Wermutstropfen sieht der Arzt allerdings: „Durch die guten Medikamente hat die Krankheit ihren Schrecken verloren. Und da besteht die Gefahr, dass der Schutz vor Ansteckung in den Hintergrund gerät.“

Bei der Aids-Hilfe Koblenz besucht Anna ab und zu ein Frauenfrühstück. Die Begegnungen dort haben ihr Mut gemacht. Denn was früher undenkbar war, ist heute keine Illusion mehr: Auch HIV-Positive können nicht nur verhältnismäßig gesund alt werden, sie können oft auch eine Familie gründen.

Die Medikamente drücken die Zahl der Viren so sehr, dass ein ungeschützter Geschlechtsverkehr an den fruchtbaren Tagen „ein vertretbares Risiko“ darstellt, erklärt der Arzt. Anna hat eine Frau kennengelernt, die vier gesunde Kinder geboren hat. Das macht Mut.