Franz Müntefering im RZ-INTERVIEW: Keine Angst vor dem Älterwerden

Erst allmählich entdeckt die Politik die älter werdende Gesellschaft als drängendes Zukunftsthema. Heute verabschiedet die Bundesregierung eine erste Strategie zur Bewältigung des sogenannten demografischen Wandels. Der 72-jährige frühere SPD-Chef Franz Müntefering hält das Konzept für unzureichend. Im Interview spricht der heutige Demografie-Beauftragte der Sozialdemokraten über das Älterwerden in Deutschland:

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Herr Müntefering, was haben Sie als junger Mensch von Älteren gelernt?

Dass jede Generation ihre eigenen Erfahrungen macht. Als ich jung war, in der Nachkriegszeit, hatten wir die Gewissheit, dass es bergauf gehen würde. Deutschland war bald im Aufschwung, wir haben Demokratie gewonnen und Zuversicht in die Gestaltbarkeit der Zukunft. Vieles davon ist heute ins Wanken geraten. Deshalb ist Entschlossenheit nötig, so wichtige Fragen wie den demografischen Wandel anzugehen.

Können Sie heute etwas von Jüngeren lernen?

Ich halte nichts davon, Menschen nach ihrem Alter zu bewerten. Es gibt kluge Alte, aber auch kluge Junge. Für mich spielt das Alter keine Rolle. Ich kann Jüngeren zuhören und dabei viel lernen. Umgekehrt tun sie das hoffentlich auch. Alter ist nicht automatisch gleichzusetzen mit Weisheit und Klugheit. Die Generationen sind aber aufeinander angewiesen. Was die Älteren heute in die jüngere Generation investieren, ist entscheidend für die Wohlfahrt des Landes auf Dauer.

Wenn das Thema alternde Gesellschaft so wichtig ist: Warum geht es die Politik nicht längst an?

In einzelnen Bereichen passiert doch etwas, siehe Ganztagsschulen, vorschulische Einrichtungen. Das ist im Interesse der Kinder, befördert aber auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Auch beim Renteneintrittsalter wird sich etwas ändern. Es gibt steuerliche Zuschüsse für barrierefreie Wohnungen. Die Pflege ist in der Debatte.

Dann ist ja alles bestens ….

Leider nein. Es gibt bisher kein Gesamtkonzept, das ist unsere Kritik an der Bundesregierung. Vor allen Dingen ist das Verhältnis zwischen Stadt und Land ungeklärt, zwischen den gewinnenden und den verlierenden Regionen. Es ist nicht so, dass es kein Bewusstsein für das Problem gibt, aber es passiert zu wenig. Die Kommunen müssen gestärkt werden. Dort muss eine Gesellschaft vorbereitet werden, in der die Zahl der zu Pflegenden doppelt so hoch sein wird wie heute und in der Fachkräfte fehlen. Das wird Konsequenzen haben für alle Lebensbereiche. Es kann nicht sein, dass Bund und Länder den Kommunen die Umsetzung aufladen.

Was heißt das konkret?

Ohne konzertierte Regional- und Stadtentwicklung geht’s nicht. Zubau, Umbau, Rückbau werden nötig. Das Programm „Soziale Stadt“ braucht neuen Schwung. Verantwortung vor Ort, aber auch die Kraft und das Geld dafür.

Kein Politiker möchte in seinem Wahlkreis verkünden, dass Schulen geschlossen werden. Ist das Thema schlicht zu unbeliebt?

Der demografische Wandel hat ja nicht nur schwierige Folgen. Junge Menschen werden in den nächsten Jahren viel besser einen Ausbildungsplatz finden. Sie haben gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt, die Löhne werden steigen. Darüber spricht sich leichter. Aber Probleme zu verschweigen, löst sie nicht.

Die SPD hat sich schon schwer damit getan, eine Rente mit 67 auf den Weg zu bringen …

Sie wird kommen. Aber die Älteren müssen auch die Chance auf dem Arbeitsmarkt haben. Die Voraussetzungen dafür sind besser als jemals zuvor. Es gibt im Moment eine große Chance für Ältere, in Arbeit zu bleiben. Die Frühverrentung der 80er- und 90er-Jahre wird es nicht mehr geben. Natürlich wird es weiter die Erwerbsminderungsrente und die Altersteilzeit geben für Menschen, die nicht so lange arbeiten können. Aber wenn wir so viel länger leben und so viel länger Rente gezahlt werden muss, dann können wir es uns nicht mehr leisten, früher mit dem Arbeiten aufzuhören. Wir werden bald im Schnitt für jeden 22 Jahre Rente zahlen statt wie heute noch 18 Jahre, oder 10 bis 12 Jahre um 1960.

Wie sieht Ihre Demografiestrategie aus?

Wir wollen einen Demografiepakt, bei dem Bund, Länder und Gemeinden gemeinsam handeln. Es hilft nicht, wenn jede Ebene vor sich hinwurschtelt. Kommunen müssen Aufgaben weiter auf hohem Niveau erfüllen und auch bezahlen können. Deshalb muss das Konzept vom Bund her gedacht und organisiert werden, aber mit Ländern und Kommunen und der Gesellschaft insgesamt diskutiert und praktiziert werden. Die Bundesregierung bietet ein Sammelsurium, kein Konzept.

Wollen Sie Ihr Konzept nach der Bundestagwahl 2013 als Minister durchsetzen?

Ich persönlich nicht, nein. Ich bin in einem Alter, wo man der nachfolgenden Generation solche Aufgaben überlassen sollte. Ich glaube aber, dass man das Thema in Regierung und Parlament anders organisieren muss. Ob in Ministerium und Ausschuss, ist zu klären. Es muss jedenfalls ein Pakt werden, an dem alle mitwirken.

Das Gespräch führte Rena Lehmann