Depression: Langes Warten auf Therapie
„Fakt ist, dass wir bei Psychotherapeuten immer noch, wenn auch nicht flächendeckend, eine Unterversorgung haben. Ich halte die bisherige Einschätzung unserer Kammer, dass wir Wartezeiten von mehr als zwölf Wochen haben, für eher optimistisch. Ich kenne Praxen, die Wartezeiten von einem halben oder einem Jahr haben. Das ist einfach zu lang.“ Besonders betroffen seien Westerwald, Eifel und Hunsrück. „Einige meiner Patienten haben eine Anfahrt von bis zu 80 Kilometern. Das halte ich für nicht zumutbar“, sagt Brettle, der in Wittlich (Kreis Bernkastel-Wittlich) als Psychotherapeut arbeitet.
Laut einer allerdings nicht repräsentativen Umfrage der „Zeit“ unter ihren Lesern aus dem Jahr 2014 warten 36 Prozent der befragten Rheinland-Pfälzer länger als sechs Monate auf eine Therapie, bundesweit waren es 35 Prozent. 45 Prozent der Rheinland-Pfälzer müssen sich bis zu drei Monate gedulden (Bund: 50 Prozent), nur 21 Prozent (25 Prozent) können in einem Zeitraum von einem Monat mit der Behandlung beginnen.
Kurios: Rheinland-Pfalz gilt nach Worten Brettles laut der geltenden Bedarfsplanung größtenteils als überversorgt mit Psychotherapeuten. „Wir haben aber keine Überversorgung. Solange noch Patienten monatelang auf Therapien warten, kann das nicht stimmen.“ Hintergrund ist, dass sich die Bedarfsplanung laut Brettle bis heute im Wesentlichen an Zahlen aus dem Jahr 1999 orientiert. Zwar hat ein Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses im Jahr 2013 dafür gesorgt, dass sich in Eifel, Hunsrück und Westerwald 74 neue Therapeuten ansiedeln konnten. Dennoch betont Brettle: „Wir haben eine Bedarfsplanung, die die Realität nicht abbildet, das aber auch gar nicht kann, weil sie auf falschen Zahlen beruht.“
In Schieflage bringt die Planung zudem, dass die zunehmende Zahl an Therapeuten unberücksichtigt bleibt, die von Kassen nicht offiziell zugelassen sind, deren Patienten die Kosten für die Therapie aber über das Prinzip der Kostenerstattung von ihren Versicherungen zurückerstattet bekommen. Laut Brettle halten die Kassen die Daten über diese Psychotherapeuten und ihre Patienten hinterm Berg. „Hier würde ich mir verlässliche Daten von den Kassen wünschen. Dann könnte eine zielgenauere Bedarfsplanung erstellt werden.“
Derweil greifen Patienten offenbar immer häufiger zu Psychopharmaka: So wurden im Jahr 2015 laut Techniker Krankenkasse doppelt so viele Medikamente wie 2006 verordnet. Auch für die Betriebe wächst das Problem: Die Zahl der Arbeitsunfähigkeitstage wegen psychischer Leiden hat sich je TK-Versicherten in Rheinland-Pfalz von 1,46 Fehltagen im Jahr 2006 auf 2,74 Fehltagen im Jahr 2015 erhöht.