Über Iowa ins Weiße Haus: Vorwahl im Mittleren Westen ist mehr als ein Stimmungstest

Aufmacher TT Foto: aguavivadesigns

Es war eine rechte Moralpredigt für Donald Trump. Gehalten, das kommt noch dazu, von einer Frau. Pamela Saturnia, Pastorin der First Presbyterian Church im Provinznest Muscatine in Iowa schrieb dem Großstadtmenschen von der Kanzel aus hinter die Ohren, dass Jesus mit den Schwächsten ist. Und das seien im Moment unter anderem Flüchtlinge aus Syrien und Migranten aus Mexiko.

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Dem New Yorker Immobilienmilliardär Trump ist es vermutlich grundsätzlich vergleichsweise egal, was eine Dorfpfarrerin in Iowa über ihn und die Welt denkt, geschweige denn spricht. Wäre da nicht der 1. Februar, an dem in dem Bundesstaat im Mittleren Westen zum Auftakt ins Wahljahr 2016 geblasen wird. Weswegen Trump wiederum den Kirchgang in Muscatine als opportun angesehen hatte. Und hätte er in seinem Wahlkampf nicht ausgerechnet gegen Mexikaner und Syrer gewettert, wie einst Martin Luther gegen den Ablasshandel.

Die erste Vorwahl steht an, und die muss möglichst gewonnen werden. Bei den Republikanern lautet das Duell Ted Cruz gegen Trump. Und die Geschichte mit Pfarrerin Saturnia ist ein Beispiel dafür, wie skurril der Wahlkampf bereits geworden ist.

Bei den Demokraten hat Favoritin Hillary Clinton mit dem selbst ernannten Verfechter des „demokratischen Sozialismus“, Bernie Sanders, plötzlich ernstzunehmende Konkurrenz. Wie Trump setzt Sanders auf Soziale Medien – der 74-Jährige ist zwar der Älteste im Bewerberfeld, findet aber besonders beim jungen Publikum mit seinen Thesen von Verteilungsgerechtigkeit und Stärkung der Mittelschicht großen Anklang. Einige Umfragen sehen ihn in Iowa sogar deutlich vor Clinton.

Doch Umfragen zählen beim „Caucus“ in Iowa, einem basisdemokratischen Verfahren mit Mikro-Abstimmungen in Feuerwehrhäusern und Bauernküchen, nicht zwangsläufig viel. „Ein Klick im Internet reicht nicht, man muss da auch richtig hingehen, mindestens zwei Stunden Zeit aufbringen, sich mit Themen und Wahlsystem vertraut machen“, sagt Steffen Schmidt, deutschstämmiger Politikwissenschaftler an der University of Iowa und in dem Agrarstaat als „Mr. Politics“ bekannt. Das Wahlverfahren ist so kompliziert, dass Schmidt ein Online-Seminar für Interessierte angeboten hat – mit zahlreichen Teilnehmern aus den Wahlkampfteams.

Trump glaubt, dass Glauben gut ist für seine Wahlkampagne, zumindest in Iowa. Er gehe Weihnachten und Ostern regelmäßig in die Kirche, dazwischen auch bei wichtigen Ereignissen, ließ er verlauten. Die Vorwahl in Iowa ist ein wichtiges Ereignis, so hat es ihn am Sonntag ins Gotteshaus von Pfarrerin Saturnia gezogen, artig nahm er in der sechsten Bankreihe Platz, vielleicht wollte er nur der Geringste sein unter seinen Aposteln.

Dass Trump eine Presbyterian Church, eine vergleichsweise progressive Einrichtung gewählt hat, zeigt, wie kompliziert die Gemengelage in den USA und wie heikel der Punkt Religion im Wahlkampf ist. Viel wichtiger als die Presbyterer sind die konservativ-evangelikalen Kirchen, mit ihren stark bibeltreuen, teils archaischen Sichtweisen. Ein Viertel aller Amerikaner gehört einer dieser Kirchen an, 70 Prozent bezeichnen sich selbst als Christen. Wäre Trump aber in eine evangelikale Kirche gegangen, hätte er sich wegen früherer Beteuerungen, ein Presbyterer zu sein, unglaubwürdig gemacht.

So ist der Wahlkampf in den „frühen“ Staaten wie eine riesige Windfahne. Jeder Bewerber sagt das, wovon er glaubt, dass es die hören wollen, die er als Wähler am meisten braucht. Die Taktik regiert, Inhalte bleiben fast völlig auf der Strecke. In welches Fähnchen die Bauern und Kirchgänger von Iowa ihren Wind pusten, ist zahlenmäßig fast irrelevant. Die Delegiertenstimmen aus dem Staat mit nur gut drei Millionen Einwohnern machen beim Parteitag im Sommer den Kohl nicht fett. Aber in Iowa wird erstmals wirklich gewählt. Erstmals sind es nicht die Meinungsforscher, die das Material für mehr oder weniger schlüssige Schlüsse liefern, sondern echte Wähler. Michael Donhauser