Nach den französischen Wahlen: Rechtsruck in Europa alarmiert

Angst geht um in Europa. Erst die Flüchtlinge, dann die Terroranschläge von Paris und anderswo. Zuvor waren es – und sind es zum Teil noch – die Finanzkrise, der drohende Zerfall der Euro-Zone, das Scheitern Griechenlands, die hohe Jugendarbeitslosigkeit. Wie nie zuvor hat der rechte Front National bei den Regionalwahlen in Frankreich nun von dieser trüben Stimmungslage profitiert. Und Deutschland ist längst umzingelt von Ländern, in denen rechte Parteien Wahlerfolge feiern. Abwegig ist dieses Szenario auch hierzulande längst nicht mehr.

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Ob Polen oder Österreich, Dänemark oder die Niederlande, die Schweiz oder eben Frankreich: Seit Jahren haben dort rechte Parteien Zulauf, lange bevor die Flüchtlingskrise kam und lange vor den Terroranschlägen dieses Jahres. Erst vor Kurzem hatten sich die Dänen bei einer Volksabstimmung gegen die Übernahme der EU-Justiz- und Innenpolitik ausgesprochen – ein Referendum, das die neue Regierung der rechtsliberalen Partei „Venstre“ initiiert hatte. Zwar sitzen die Vertreter der rechten Dänischen Volkspartei nicht mehr mit am Kabinettstisch, doch diese Gruppierung bleibt im Parlament die drittstärkste Kraft. Experten sehen das Aufblühen rechter, rechtsextremer und rechtsradikaler Strömungen als eines der Ergebnisse der Zuwanderungsbewegung aus den Kriegsgebieten.

Rechte Parteien sind europaweit auf dem Vormarsch (von oben links im Uhrzeigersinn): Nationalpartei (Slowakei), Goldene Morgenröte (Griechenland), Lega Nord (Italien), PiS (Polen), Ataka (Bulgarien), Freiheitspartei (Niederlande), Venstre (Dänemark), Jobbik (Ungarn), FPÖ (Österreich), AfD (Deutschland), Schwedische Demokraten, Vlaams Belang (Belgien), Front National, Die Finnen (PerusS).
Rechte Parteien sind europaweit auf dem Vormarsch (von oben links im Uhrzeigersinn): Nationalpartei (Slowakei), Goldene Morgenröte (Griechenland), Lega Nord (Italien), PiS (Polen), Ataka (Bulgarien), Freiheitspartei (Niederlande), Venstre (Dänemark), Jobbik (Ungarn), FPÖ (Österreich), AfD (Deutschland), Schwedische Demokraten, Vlaams Belang (Belgien), Front National, Die Finnen (PerusS).
Foto: Svenja Wolf

Frankreich zieht tatsächlich nur nach. In anderen Ländern sind solche Strömungen längst etabliert. Das gilt für die Niederlande, wo der Rechtspopulist Geert Wilder mit seiner „Freiheitspartei“ (PVV) seit Jahren radikalen Islamhass predigt. Das ist in Österreich nicht anders, wo der Chef der „Freiheitlichen“ (FPÖ), Heinz-Christian Strache, wegen der massiven Immigration immer mehr Rückhalt gewinnt. Und das betrifft auch Belgien, wo der „Vlaams Belang“ zumindest im flämischen Landesteil nach wie vor stark ist – trotz einiger Dämpfer.

An die Leine gelegt

In Italien gehörte die Lega Nord lange zur Regierung von Silvio Berlusconi. Die „Schwedischen Demokraten“ haben die Konservativen in dem skandinavischen Land an die Leine gelegt, sie gelten derzeit als die stärkste Partei in dem Land. Gleich nebenan konnten die „Wahren Finnen“ (sie firmieren inzwischen nur als „Die Finnen“) nach der jüngsten Wahl aus dem Vierer-Regierungsbündnis herausgehalten werden. In den östlichen EU-Mitgliedsländern gehören rechte und rechtslastige Parteigruppierungen wie Jobbik (Ungarn) oder Ataka (Bulgarien) seit Langem zum politischen Alltag. In Polen kann die nationalkonservative PiS seit den jüngsten Wahlen die Regierung stellen. Die slowakische Nationalpartei holt regelmäßig zweistellige Ergebnisse.

Es fällt dennoch schwer, diese unterschiedlichen Gruppierungen alle über einen Kamm zu scheren. Das Spektrum reicht vom französischen Front National, den Parteichefin Marine Le Pen durch Verzicht auf offenen Rassismus wieder gesellschaftsfähig gemacht hat, bis hin zur extremistisch agierenden „Goldenen Morgenröte“ aus Griechenland. „Rechts ist nicht gleich rechts“, betont man in Brüssel, auch wenn hinter mancher nationalkonservativen Fassade letztlich die gleichen Anliegen stecken: eine klare Absage an Ausländer, Zuwanderung und Öffnung in Richtung Europa. Dort hat die rechte Fraktion im Europäischen Parlament zwar nach mehreren Anläufen wieder einen Fraktionsstatus, fällt aber nicht durch konzertierte Aktionen auf.

Das liegt wohl auch daran, dass sich die beiden Führungsfiguren Le Pen und Wilders eigentlich nicht leiden können. Wilders hält Le Pen für eine Französin ohne weitergehende Ambitionen, die Front-National-Chefin verachtet den offenen Islamhass des Niederländers. So bleiben die Rechten in Brüssel und in Straßburg eher eine Randerscheinung, was nicht zuletzt damit zu tun hat, dass die starken europaskeptischen Blöcke, denen sich auch die deutsche AfD oder die britische Ukip angeschlossen haben, mit den Rechtspopulisten nichts zu tun haben wollen.

Regierungschefs und Hilfsorganisationen werden nicht müde zu erklären, dass es keinen direkten Zusammenhang zwischen Schutzsuchenden aus Syrien und islamistischen Selbstmordattentätern gibt, dennoch glauben viele Menschen anscheinend genau das. Rationale Gründe dafür gibt es kaum. Der Grünen-Europapolitiker Daniel Cohn-Bendit betont, dass Frankreich abgesehen von ein paar Tausend Menschen um Calais kein relevantes Flüchtlingsproblem hat.

Ein besonders schwerer Fall

Dabei ist Frankreich allerdings aus anderen Gründen ein besonders schwerer Fall. Dazu gehört, wie die Politologin Prof. Ursula Münch von der Akademie für Politische Bildung in Tutzing erklärt, eine gescheiterte Integrationspolitik, aber auch die eher düstere wirtschaftliche Lage. Rutscht Frankreich weiter in die Krise, dann wird das Drama um Griechenland nur als Vorspiel eines viel größeren Desasters in Erinnerung bleiben.

Ob damit die Zukunft der europäischen Integration gerettet werden kann, wird von vielen bezweifelt. Die Parallelen sind unübersehbar. Wie Marine Le Pens französische Rechte erst mit Anti-Europa-Parolen und dann mit der Angst vor Flüchtlingen Wähler gewinnt, hat sich auch die Alternative für Deutschland (AfD) erst mit dem einen und dann mit dem anderen Thema profiliert. „Natürlich gibt es Gemeinsamkeiten“, sagte der Berliner Parteienforscher und AfD-Experte Prof. Oskar Niedermayer. Kernthema für AfD wie Front National sei die Migrationspolitik. Allerdings sei die französische Rechte schon lange Teil des Parteiensystems, die AfD nicht. Auch inhaltliche Unterschiede sieht Niedermayer. Der Front National sei eine rechtsextreme Partei. „Die AfD dagegen deckt ein breiteres Spektrum ab von rechtsextrem bis nationalkonservativ.“

Das Erfolgsrezept beider Parteien bestehe darin, einfache Lösungen anzubieten. Viele Menschen seien enttäuscht, wenn etablierte Parteien ihre Versprechungen nicht einhielten. „Dann ist dieser Frust für einige Leute das Signal, aus Protest solche Parteien zu wählen, obwohl sie sich selbst gar nicht als Rechte einschätzen.“

Nicht nur Frankreich macht sich Sorgen. „Das ist ein Alarmsignal für ganz Europa“, sagt der Chef der konservativen EVP im Europaparlament, Manfred Weber (CSU). SPD-Chef Sigmar Gabriel spricht in der „Bild“ von einem „Schock“ und einem „Weckruf für alle Demokraten in Europa“. 2017 wird in Frankreich der Präsident gewählt, in Deutschland der Bundestag. Noch ist also Zeit aufzuwachen.

Thomas Lanig/Detlef Drewes