Rheinland-Pfalz/Berlin

500.000 oder 1 Million? Lewentz rechnet mit deutlich mehr Flüchtlingen als die Bundesregierung

Roger Lewentz (SPD)
Der rheinland-pfälzische Innenminister Roger Lewentz (SPD). Foto: Fredrik von Erichsen/Archiv

Der rheinland-pfälzische Innenminister Roger Lewentz (SPD) rechnet damit, dass auch in diesem Jahr deutlich mehr als eine Million Flüchtlinge nach Deutschland kommen. 2015 waren es 1.091.846. Die Bundesregierung geht von 500.000 Menschen aus und hat diese Richtgröße dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vorgegeben.

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Von unserer Redakteurin Ursula Samary/dpa

Lewentz rechnet bei seiner Prognose aktuelle Ankunftszahlen hoch: Demnach kamen von Januar bis gestern 137.810 Menschen nach Deutschland. Rheinland-Pfalz hat 7212 von ihnen aufgenommen. 2015 waren es landesweit 52.846 Flüchtlinge – und damit „deutlich mehr, als Frankreich oder Großbritannien bereit sind, über mehrere Jahre aufzunehmen“, sagte Lewentz im Gespräch mit unserer Zeitung.

Vor diesem Hintergrund richtet Lewentz trotz widriger Vorzeichen in Europa den dramatischen Appell an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), in Brüssel einen Erfolg zu erzielen und auch über eine gerechte wie solidarische Lastenverteilung in den EU-Staaten die Flüchtlingszahlen in Deutschland 2016 spürbar und nachhaltig zu reduzieren. „Wir brauchen greifbare Ergebnisse.“ Da im Kanzleramt die Europapolitik und der Flüchtlingskoordinator angesiedelt sind, „muss Merkel das durchsetzen“, sagt der SPD-Landesvorsitzende Lewentz. Unwilligen EU-Staaten hält er vor, dass Deutschland nicht alle Flüchtlinge aufnehmen und gleichzeitig auch noch größtenteils die Töpfe für EU-Subventionen für die osteuropäischen Länder füllen könne.

Der Druck auf Merkel wächst, auch in den eigenen Reihen. In ihrer Regierungserklärung vor dem mit Spannung erwarteten Gipfel äußerte die Kanzlerin Hoffnung auf Fortschritte bei der Bewältigung historischer Herausforderungen. Das Treffen der Staats- und Regierungschefs könne eine weitere Etappe auf einem Weg werden, „der Europa bislang nach jeder Krise stärker werden ließ“, sagte sie. Andere EU-Spitzenpolitiker hatten zuvor von einer „dramatischen Lage“ und der Gefahr eines Bruchs in der EU gesprochen.

Gleichzeitig verteidigte die CDU-Vorsitzende ihre Entscheidung, die deutschen Grenzen nicht für Bürgerkriegsflüchtlinge zu schließen. „Abschottung – das kann nicht die europäische Antwort sein, jedenfalls nach meiner festen Überzeugung nicht“, sagte sie. Die Flüchtlingskrise bezeichnete sie als „historische Bewährungsprobe“ für die Europäische Union.

Unterdessen setzte Österreich am Mittwoch ein weiteres Signal der Abschottung innerhalb der EU. Von Freitag an will die Alpenrepublik an ihrer Südgrenze nur noch 80 Asylbewerber pro Tag ins Land lassen. Auch der südliche EU-Nachbar Slowenien will die Zahl der Flüchtlinge künftig begrenzen.

Merkel bekräftigte in ihrer Regierungserklärung: „Die, die Schutz brauchen und suchen, sollen Schutz bekommen.“ Die Kanzlerin machte aber auch deutlich, dass auch sie die bislang unkontrollierte und damit illegale Migration stoppen will. Dafür soll vor allem die EU-Außengrenze zwischen der Türkei und Griechenland besser gesichert werden. Ein entscheidender Akteur wird dabei allerdings fehlen. Der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu sagte am Rande des Gipfels geplante Gespräche nach einem Bombenanschlag in Ankara kurzfristig ab.

CSU-Chef Horst Seehofer stellte vor dem Gipfel seine Kritik an Merkel ein. „Jetzt hat die Regierungschefin eine faire Chance verdient, die Dinge in Europa zu diskutieren und zu verhandeln“, sagte der Parteivorsitzende. „Da steht jetzt die Union zu unserer Kanzlerin, dass sie hoffentlich Erfolg hat.“ An der Position der CSU hat sich aber nichts geändert: Seehofer fordert nationale Maßnahmen zur Reduzierung der Flüchtlingszahlen. Damit liegt er auf der politischen Linie Tschechiens, Polens, Ungarns und der Slowakei.

Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) betonte mit Blick auf den Gipfel die Notwendigkeit einer europäischen Lösung in der Flüchtlingskrise: „Europa muss jetzt zeigen, dass es handlungsfähig und zu kraftvollen gemeinsamen Lösungen fähig ist“, teilte Dreyer in Mainz mit. CDU-Landesvorsitzende Julia Klöckner hat vor dem EU-Gipfel für ihren Plan A2 als paralleles Vorgehen geworben. Wenn keine Lösung zustande komme, dürfe sich die Bundesrepublik nicht dauerhaft von der mangelnden Einigkeit unter EU-Mitgliedstaaten abhängig machen. In ihrem Plan schlägt sie Zentren an der deutschen Grenze und flexible Tageskontingente von Flüchtlingen vor.