YouTube-Stars lassen Fernsehen alt aussehen

Internetvideos sind bei Jugendlichen angesagt - für Neulinge ist der Umgangston eher gewöhnungsbedürftig.
Internetvideos sind bei Jugendlichen angesagt - für Neulinge ist der Umgangston eher gewöhnungsbedürftig. Foto: Svenja Wolf (Grafik)

Sie werden gefeiert wie Popstars. Wenn sie auftreten, wie zuletzt bei der Spielemesse Gamescom in Köln, johlen Tausende Jugendliche, als hätte gerade Lady Gaga persönlich die Bühne betreten. Sie nennen sich „Die Aussenseiter“, „Herr Tutorial“ oder „Coldmirror“, und ihre Welt ist die Videoplattform YouTube. In der breiten Öffentlichkeit sind sie kaum bekannt, doch die Menschen, die sich hinter diesen skurrilen Namen verbergen, werden den Fernsehstars von heute womöglich schon bald den Rang ablaufen.

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Sie werden gefeiert wie Popstars. Wenn sie auftreten, wie zuletzt bei der Spielemesse Gamescom in Köln, johlen Tausende Jugendliche, als hätte gerade Lady Gaga persönlich die Bühne betreten. Sie nennen sich „Die Aussenseiter“, „Herr Tutorial“ oder „Coldmirror“, und ihre Welt ist die Videoplattform YouTube. In der breiten Öffentlichkeit sind sie kaum bekannt, doch die Menschen, die sich hinter diesen skurrilen Namen verbergen, werden den Fernsehstars von heute womöglich schon bald den Rang ablaufen.

Ein junger Typ mit schwarz-grau geringeltem Pullover und überdimensionierter Sonnenbrille springt durch sein Wohnzimmer und quäkt mit grauenhaft verzerrter Stimme: „Ja! Ja! Ja! Ich habe mich verliebt! In ein Mädchen!“ Später haut er mehrmals seinen Kopf gegen eine Wand, redet mit ein paar nackten Füßen, die von der Decke hängen, um sich am Ende von 4 Minuten und 52 Sekunden Video fast mit einer Telefonschnur zu erwürgen. Das ist, grob skizziert, der Ablauf des meist geklickten Videos von Deutschlands erfolgreichsten YouTube-Stars. Mehr als sieben Millionen Zuschauer hat der Clip „Ich habe mich verliebt“ von den „Aussenseitern“ (sic!) bis jetzt.

Traumeinschaltquoten

Von dieser Einschaltquote träumen selbst aufwendig produzierte Comedyshows im Fernsehen nur. Und während eine Fernsehsendung einmal ihre Zuschauer erreicht und danach nie wieder, steigt die Quote der „Aussenseiter“ immer weiter: Der Clip wird nicht gelöscht und findet Tag für Tag mehr Zuschauer. Zugegeben: Für den normalen Zuschauer ist es kaum erträglich, überhaupt ein Video der beiden „Aussenseiter“ Dima und Sascha über die volle Länge anzusehen, geschweige denn mehrere davon hintereinander auszuhalten. Die meisten Menschen kennen die Videoseite eher als Bürospaß oder Zeitvertreib mit lustigen Clips der Marke „Pleiten, Pech und Pannen“ oder den unzähligen Musikvideos. Aber YouTube ist längst mehr als eine Spaßplattform. Die Webvideos sind auf dem Weg, unsere bekannten (Fern)-Sehgewohnheiten gehörig auf den Kopf zu stellen.

Es ist wohl das Wesen einer jeden Jugendkultur, dass Menschen eines bestimmten Alters diese irgendwann nicht mehr verstehen können. Die Gaga-Videos der Aussenseiter werden von mehr als 700 000 Fans regelmäßig verfolgt und millionenfach geklickt. Und sie sind nicht die einzigen, die sich auf YouTube eine große Fangemeinde aufgebaut haben. Ein „Herr Tutorial“, ein 21-jähriger mit der Ausstrahlung eines schwulen Friseurazubis, versorgt seine Fans regelmäßig mit Schönheitstipps und allgemeiner Lebenshilfe der Marke „Glaub an dich“. Ein Typ, der sich selbst „Gronkh“ nennt, filmt, wie er Videospiele zockt und dazu seinen Senf abgibt. Hunderttausende wollen das sehen. Es muss also was dran sein an dieser neuen Art von Internet-TV. Sonst könnten Aussenseiter, Herr Tutorial & Co. nicht ganz prima von ihren YouTube-Videos leben.

YouTube ist Teil des Konzernimperiums von Google. 2006 verleibte sich der Internetgigant die Videoplattform für 1,3 Milliarden Euro ein, die einer der großen Motoren des Internets ist. Laut der Studie eines US-Unternehmens entstehen 10 Prozent des globalen Webverkehrs allein bei der Google-Tochter. Im Jahr 2010 wurden nach Angaben von YouTube 48 Stunden Videomaterial auf der Plattform hochgeladen – pro Minute. Auf YouTube hat sich inzwischen ein Videoarchiv angesammelt, das das, was alle deutschen Fernsehsender seit ihrer Entstehungszeit produziert haben, locker in den Schatten stellen dürfte.

Natürlich will Google damit auch Geld verdienen. Wie üblich bei dem Konzern, läuft das über genau auf den Nutzer zugeschnittene Werbung, die im Umfeld der Videoclips platziert wird. Damit das funktioniert, ist YouTube darauf angewiesen, dass regelmäßig von den Nutzern selbst produzierte Videos hochgeladen werden, die viele Abrufe generieren. Wer dabei besonders erfolgreich ist, bekommt vom YouTube-Kuchen etwas ab. Partnerprogramm nennt sich das: Wer seine Videos von YouTube vermarkten lässt und sich damit einverstanden erklärt, dass vor seinen Clips ein kurzer Werbespot läuft oder zwischendrin Anzeigen eingeblendet werden, wird an den Werbeeinnahmen beteiligt. Wer mit seinen Videos Millionenabrufe erzeugt, kann schnell auf einen soliden Verdienst kommen.

Echtheit ist das Geheimnis

Auch Christoph Krachten verdient mit YouTube Geld. Krachten ist Moderator der Online-Talkshow „Clixoom“, und wenn YouTube Schlumpfhausen wäre, dann hätte Krachten eine rote Mütze auf und hieße Papa Schlumpf. Krachtens Show ist eine der wenigen YouTube-Programme, die mit seriösen Inhalten erfolgreich ist. Für Clixoom interviewt er Stars wie Anke Engelke, den Rapper Bushido oder David Hasselhoff. Immer wieder befragt Krachten auch andere, erfolgreiche YouTuber und hat es damit selbst zu großer Beliebtheit in der Videogemeinschaft gebracht. „Der Unterschied zum Fernsehen ist die Echtheit“, erklärt Krachten den Erfolg der YouTuber. „Im Fernsehen ist alles inszeniert. Auf YouTube habe ich das Gefühl, ich sehe die Menschen so, wie sie wirklich sind. Und ich kann jederzeit mit ihnen in Kontakt treten.“ Auch bei Clixoom lässt er immer wieder seine Zuschauer zu Wort kommen. Per Video dürfen sie eigene Fragen an die von Krachten interviewten Promis stellen.

Natürlich kann man die Plattform kritisieren. Die jugendliche Zuschauerschaft prägt auch den – vorsichtig formuliert – gewöhnungsbedürftigen Umgangston. In den Kommentaren zu den Videos sind Beleidigungen und Spam an der Tagesordnung. Dennoch glaubt Krachten an den Erfolg von YouTube. Er ist sich sicher: Leute wie die „Aussenseiter“ werden die Fernsehstars von morgen sein.

Diese Entwicklung hat bereits begonnen: Die erfolgreichste YouTuberin Deutschlands, Kathrin Fricke alias „Coldmirror“, läuft mit ihrer Show inzwischen nicht nur im Web, sondern auch beim ARD-Kultursender „Eins Festival“. Bekannt wurde sie mit Videos, in denen sie Songtexte absichtlich falsch versteht und umdichtet. Bei der Frauenfußball-WM waren diese falsch verstandenen Songtexte der Pausenfüller der ARD. Dass sie da ein Millionenpublikum erreichte, dürfte Kathrin Fricke aber nicht geschockt haben. Das kennt sie ja schon von YouTube.

Von unserem Reporter Moritz Meyer