Rheinland-Pfalz

Wolfs Revier: Isegrim erobert Deutschland zurück

Naturschützer sagen voraus, dass Wolfsrudel ganz Deutschland besiedeln. Die Population hat sich innerhalb von zwei Jahren verdoppelt. Der Landesjagdverband hält Rheinland-Pfalz aber für ungeeignet für sesshafte Rudel. Foto: dpa
Naturschützer sagen voraus, dass Wolfsrudel ganz Deutschland besiedeln. Die Population hat sich innerhalb von zwei Jahren verdoppelt. Der Landesjagdverband hält Rheinland-Pfalz aber für ungeeignet für sesshafte Rudel. Foto: dpa

Sein Pfotenabdruck ist oft schon da – und bis zum Jahr 2030 werden Wolfsrudel in ganz Deutschland leben. So lautet die jüngste Prognose des Naturschutzbundes Deutschland (Nabu). Was vor 15 Jahren in der Lausitz mit ein paar Welpen begann, klang damals noch wie im Märchen: Der Wolf ist wieder da. Nun macht er immer weiter rüber in den Westen – und das viel schneller als gedacht, heißt es in der Bilanz des Nabu.

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Von Ulrike von Leszczynski und Stefan Hantzschmann

Doch nach den jüngsten Sichtungen eines Wolfes in Niedersachsen, der offenbar jede Scheu vor dem Menschen verloren hat, ist auch eine Diskussion über den Umgang mit den Tieren entstanden. In Niedersachsen wurde ein Wolf gesehen und fotografiert, der durch ein Wohngebiet streunte.

Wölfe ohne Scheu untypisch

„Jetzt muss man untersuchen, was das für ein Wolf ist. Ist sein Verhalten überhaupt ungewöhnlich, oder ist es nur natürliche Neugier von Jungtieren? Vielleicht wurde er auch angefüttert. Wenn Futter ausgelegt wird und damit Menschengeruch annimmt, können Wölfe die Erfahrung machen, dass Menschennähe gleichzeitig Nahrung bedeutet. Dann verlieren die Wölfe ihre natürliche Scheu“, sagt die Wolfsexpertin des Nabu Rheinland-Pfalz, Cosima Lindemann. Tollwut hält sie für ausgeschlossen. „Deutschland gilt als frei von terrestrischer Tollwut. Außerdem ist mir nicht bekannt, dass die Wölfe in Niedersachsen ein aggressives Verhalten gezeigt haben.“ Tollwütige Tiere zeigen häufig eine erhöhte Aggressivität.

Eine Prognose, wann auch in Rheinland-Pfalz Wölfe auftauchen, will Lindemann nicht wagen. „Es ist gut möglich, dass Wölfe längst durch Rheinland-Pfalz wandern und wir es nur nicht merken“, sagt sie und ergänzt: „Fakt ist: Er steht vor der Haustür. Auch in Frankreich gibt es in Grenznähe Wölfe. Die Lebensräume in Rheinland-Pfalz sind da, zumal der Wolf sehr anpassungsfähig ist.“

Dieser Wolf wurde aus einem Auto heraus fotografiert, als er durch ein Wohngebiet in Niedersachsen streunte. Videos von Wolfsbegegnungen finden Sie im Internet unter <a href=
Dieser Wolf wurde aus einem Auto heraus fotografiert, als er durch ein Wohngebiet in Niedersachsen streunte. Videos von Wolfsbegegnungen finden Sie im Internet unter www.ku-rz.de/wolf
Foto: dpa

Fakt ist auch, dass sich der Wolf schneller ausbreitet als erwartet. Auch Naturschützer hätten es nicht für möglich gehalten, dass sich das Wildtier so schnell aufmacht, ein ganzes Land zurückzuerobern. In nur zwei Jahren hat sich die deutsche Wolfspopulation zuletzt verdoppelt, und das könnte so weitergehen. 31 Rudel gibt es nach Angaben des Nabu schon, die meisten in Ostdeutschland – aber nicht nur. Die Tiere breiten sich nach Norden und Westen aus, bis nach Dänemark und in die Niederlande sind sie schon gekommen. 200 Rudel in Deutschland hält der Nabu in Zukunft für möglich.

Zusammenleben verlernt

Was im Osten aber schon fast normal ist, müssen Mensch und Wolf im Westen der Republik erst wieder lernen: ein möglichst konfliktfreies Zusammenleben. Die Wölfe wurden in Deutschland vor 150 Jahren ausgerottet. Das Wissen über sie ist verloren gegangen, wird romantisiert oder von Mythen und Märchen beherrscht. „Der Wolf ist weder ein Kuscheltier noch ein gnadenloser Räuber“, sagt Nabu-Präsident Olaf Tschimpke. Es gehe darum, die falschen Bilder aus „Rotkäppchen“ zu korrigieren und Ängste zu nehmen – aber ohne zu verharmlosen.

„Bisher hat es in Deutschland noch keine Konflikte zwischen Mensch und Wolf gegeben“, ergänzt Tschimpke. „Aber für die Zukunft ist das nicht gänzlich auszuschließen.“ Genauso wie es heute schon Begegnungen und Unfälle mit Wildschweinen im Wald gibt, ist das auch für Wölfe möglich. Der Umgang mit wild lebenden Tieren bleibt eben Tschimpkes Meinung nach eine Herausforderung.

Sachsen ist aus Sicht der Naturschützer Vorreiter eines vorbildlichen Wolfsmanagements. Die Tiere werden beobachtet und gezählt. Wenn ein Wolf Verhaltensauffälligkeiten zeigt, greifen Maßnahmen. Gibt es eine Futterquelle nahe Wohngebieten? Dann weg damit. Und falls das nichts hilft, haben auch Naturschützer im Einzelfall nichts gegen Gummigeschosse. Ein solches Wolfsmonitoring und Management wünscht sich nicht nur der Nabu für ganz Deutschland. Auch der niedersächsische Umweltminister Stefan Wenzel (Grüne) hat sich schon dafür ausgesprochen. Manche Jäger hätten dagegen lieber wieder eine Jagderlaubnis – oder zumindest die Diskussion darüber. Auch sie finden manchmal Unterstützung in der Landespolitik.

In Rheinland-Pfalz wurde vor Kurzem ein Wolfsmanagementplan erarbeitet. Cosima Lindemann bezeichnet ihn als „ausbaufähig“. „Er ist bewusst als ein lernendes System angelegt. Natürlich ist Sachsen das Land mit den meisten Wolfsrudeln, da personell besser aufgestellt, aber damit können wir in Rheinland-Pfalz auch noch warten, bis der Wolf tatsächlich da ist“, sagt sie.

Jedes Land hat eigene Regeln

Naturschutz ist in Deutschland Ländersache – samt Wolf. In Sachsen, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen leben heute schon Rudel. Auf 70 erwachsene Tiere schätzt der Nabu die Gesamtzahl der Wölfe in Deutschland derzeit. Jedes Rudel besteht aus durchschnittlich acht Tieren. Jungwölfe ziehen aus, um neue Familien zu gründen. Dabei laufen sie Hunderte Kilometer.

Schon beim Schutz von Schafherden sind die Bestimmungen in den Bundesländern unterschiedlich. In Brandenburg müssen die Zäune 1,06 Meter hoch sein, in Sachsen 90 Zentimeter, berichtet Markus Bathen, Leiter des Nabu-Projektbüros Wolf im brandenburgischem Spremberg. Dabei ist es seiner Meinung nach wichtiger, dass unten am Zaun schwach Strom fließt. „Dann kriegt der Wolf im Zweifelsfall eins auf die Nase“, ergänzt er. Elterntiere geben diese Warnung an ihre Jungen weiter. In Sachsen sind auf diese Weise von 15 000 Schafen und Ziegen nur 0,3 Prozent vom Wolf gerissen worden.

Menschen sollten Wölfe nicht füttern, nicht anfassen, und sie sollten nicht weglaufen. Stattdessen ist es ratsam, zur Warnung in die Hände zu klatschen – oder sich langsam zurückzuziehen.

Der Wolf kommt nicht nur von Osten. Aus Italien und der Schweiz wird er nach Einschätzung des Nabu bald auch von Süden dauerhaft einwandern. Die einzigen Bundesländer, in denen es bisher noch keine Spuren gibt, sind nur das Saarland und Baden-Württemberg – Stadtstaaten und Ballungsgebiete ausgenommen. Denn der Wolf liebt Wälder. In Italien lebt er schon immer, wo es keine große Industrie, keine reine Landwirtschaft und keine Großstädte gibt.

Eine ähnliche Entwicklung hält der Nabu auch in Deutschland für möglich. Der Wolf könnte vom Tiefland aus die Mittelgebirge erobern. „Es gibt viele Regionen in Deutschland, in denen der Wolf leben kann. Aber das wird sicher nicht flächendeckend passieren“, sagt Bathen. In Berlin ist das zum Beispiel eher unwahrscheinlich.