Berlin/Hannover

Schröder: Altkanzler mit Einschränkung

Altkanzler Gerhard Schröder (SPD) zeigte sich gern mit Zigarre im Kreis der Mächtigen. Seine Kritiker gaben ihm deshalb den Beinamen "Genosse der Bosse". Heute feiert er seinen 70. Geburtstag.  Foto: dpa
Altkanzler Gerhard Schröder (SPD) zeigte sich gern mit Zigarre im Kreis der Mächtigen. Seine Kritiker gaben ihm deshalb den Beinamen "Genosse der Bosse". Heute feiert er seinen 70. Geburtstag. Foto: dpa

Um seine Verdienste wird vor allem in seiner eigenen Partei bis heute gestritten. Vor einem Jahr, als die SPD in ihrer Geburtsstadt Leipzig ihr 150-jähriges Bestehen feiert, ist es der französische Präsident und Sozialist François Hollande, der sich zutiefst anerkennend über den Mut Gerhard Schröders für die Agenda-Reformen äußert. Von Sozialdemokraten hört man solche Lobeshymnen öffentlich selten. In der Großen Koalition will man manche Reform des Altkanzlers sogar lieber korrigieren. Schröder fasziniert – so umstritten wie schillernd er ist.

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Er hat die Republik nach langer Kohl-Ära 1998 entstaubt, aber auch beschleunigt, er hat Politik amerikanisiert und mediatisiert. Die Pflege des Dreiklangs von „Bild, BamS und Glotze“ hielt er für Erfolgsgaranten seines Machterhalts. Sein Umgang mit Journalisten brachte ihm den zweifelhaften Titel „Medienkanzler“ ein. Schröder ist aber auch der leibhaftige Beweis für die Erfüllung des sozialdemokratischen Aufstiegstraums. Einer, der es von ganz unten nach ganz oben geschafft hat. Trotzdem genießt er an seinem heutigen 70. Geburtstag nicht die Autorität eines „Elder Statesman“ wie Helmut Schmidt.

Siegesgewiss bis zuletzt

Schuld daran ist vor allem sein unglücklicher Abgang. Schröder selbst hatte nach sieben Jahren Regierungszeit in einer rot-grünen Koalition 2005 die Vertrauensfrage gestellt und damit Neuwahlen herbeigeführt. Noch am Wahlabend verblüfft er die Fernsehzuschauer, weil er selbstgewiss davon ausgeht, Kanzler zu bleiben und eine Koalition mit der insgesamt stärkeren Union strikt ablehnt. Die damalige Oppositionsführerin Angela Merkel (CDU) düpiert er mit Blick auf ihre mögliche Kanzlerschaft mit den Worten: „Wir müssen die Kirche mal im Dorf lassen.“ Der machtbewusste Kanzler hat den Blick für die Realität verloren. Das Ende seiner politischen Karriere kommt für ihn verfrüht.

Er ist mit Anfang 60 zu jung, um sich ganz zurückzuziehen und den weisen Beobachter zu geben. Auf Unverständnis stößt sein rascher Wechsel vom Kanzleramt in die Wirtschaft trotzdem, bis heute. Kurz nach dem Machtverlust lässt er wissen, dass er fortan als Aufsichtsratsvorsitzender der Nord Stream AG tätig sein wird, dem Gasprojekt, das mehrheitlich dem russischen Konzern Gazprom gehört. Schröder, der sich schon in seiner Amtszeit gern mit Zigarre im Gespräch mit der Wirtschaft zeigt, was ihm den Beinamen „Genosse der Bosse“ einbringt, hat einen neuen Job mit „Geschmäckle“. Man vermutet mindestens Kumpanei, viele sprechen von Amtsbeschädigung. Von einem früheren Regierungschef wünscht man sich Unabhängigkeit.

Putin, ein lupenreiner Demokrat?

Schröder schreckt die Kritik nicht. In seinem Buch „Klare Worte“ räumt er nun zwar erstmals ein, er könne „manche Kritik, die sich auf die Schnelligkeit des Wechsels bezieht, verstehen“. Inhaltlich kann er sie nicht nachvollziehen. Seine Tätigkeit wird auch im Zusammenhang mit seiner Freundschaft zum russischen Präsidenten Wladimir Putin gesehen. Schröder hat Putin einst als „lupenreinen Demokraten“ bezeichnet. Das hängt ihm nach, distanziert hat er sich davon nie. In der Krim-Krise äußert er Verständnis für Putins „Einkreiseängste“.

Schröder hat auch als Kanzler die nötige Unverfrorenheit für den eigenen Weg. Seine Lebenserfahrung dient ihm als Kompass. Der Vater im Krieg gefallen, die Mutter alleinerziehend mit zwei Kindern, wuchs er in einem ostwestfälischen Dorf in Armut auf. „Wir waren die Asozialen“, sagt er selbst. Ihm gelingt der Aufstieg durch Bildung, er verkörpert die sozialdemokratische Erzählung. Schröder wird Einzelhandelskaufmann, holt in der Abendschule erst die mittlere Reife, dann das Abitur nach, arbeitet sich hoch. Es folgt ein Jurastudium, dann die steile Politkarriere. 1990 bis 1998 regiert er Niedersachsen als Ministerpräsident. Schröder verfolgt höhere Ziele, doch ein erster Anlauf für den Parteivorsitz in der Bundes-SPD 1993 scheitert. Nach dem zweiten fulminanten Wahlsieg für die SPD in Niedersachsen allerdings wird er Kanzlerkandidat. Viele im linken Parteiflügel wissen da schon, dass Schröder knallharter Sanierer sein kann. Andrea Nahles wird ihn später wütend „Abrissbirne der deutschen Sozialdemokratie“ nennen. Die erste rot-grüne Koalition hat einen schweren Start. 1999 tritt Oskar Lafontaine als Wirtschaftsminister und von allen weiteren Ämtern zurück. Er ist fortan erbitterter Kritiker von Schröders Kurs.

Fundament zu Merkels Erfolg gelegt?

Deutschland gilt Anfang des neuen Jahrtausends als „kranker Mann Europas“. Die Arbeitslosenzahlen bewegen sich auf die Fünf-Millionen-Marke zu, die Wirtschaft lahmt. Doch zunächst kann auch Schröder das Blatt nicht wenden. Bei der Bundestagswahl 2002 sieht es kurz danach aus, als würde das rot-grüne Bündnis seine Mehrheit verlieren. Erst Schröders entschiedenes Nein zu einer deutschen Beteiligung am Irakkrieg der Amerikaner und sein zupackendes Auftreten bei der großen Oderflut lassen die Stimmung noch einmal kippen. 2004 bringt er die Hartz-IV-Reformen gegen heftige Widerstände aus der SPD auf den Weg. Sozial- und Arbeitslosenhilfe werden zusammengelegt, das Prinzip „Fördern und Fordern“ hält Einzug in die Arbeitsmarktpolitik. Schröder selbst kostet sein größtes Projekt die Kanzlerschaft, seine Partei hätte es fast zerrissen. Nicht wenige sagen heute, dass Angela Merkels Erfolg auf seinen Reformen gründet.

Kein „Elder Statesman“

Ein „Elder Statesman“ kann er dennoch nicht sein. Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt sagt, man spüre, dass der erste rot-grüne Kanzler noch immer ein aktiver Politiker sein möchte. Bei einem Auftritt in Berlin sagt er kürzlich, dass er am liebsten „Gerd Schröder“ genannt werden will. Die Anrede „Herr Bundeskanzler“, die für Altkanzler gilt, könnte man gern weglassen. Die Rolle des „Elder Statesman“ – vielleicht will er sie am Ende gar nicht?

Passen würde auch das. Schröders Rolle in der Geschichte ist zwiespältig. Er hatte Rückhalt und Durchsetzungskraft für harte Einschnitte wie die Agenda 2010. Seine Partei möchte diesen Teil ihrer Geschichte trotzdem gern streichen. Zum 70. hat sie ihm einen Empfang in Berlin ausgerichtet, immerhin. Ganz lupenrein wird das Verhältnis aber nicht mehr werden.