Schiersteiner Brücke: Erste Hilfe an der Großbaustelle

Aufmacher Foto: Dupuis

Es gibt Wetterlagen, die passen einfach zum Thema. Eisig zieht die feuchte Luft in die Kleidung, als der rheinland-pfälzische Infrastrukturminister Roger Lewentz (SPD) gemeinsam mit dem technischen Geschäftsführer des Landesbetriebs Mobilität (LBM), Bernd Hölzgen, über den Fortgang der Arbeiten an der Schiersteiner Brücke spricht.

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Von unserem Redakteur Volker Boch

Es gibt Wetterlagen, die passen einfach zum Thema. Eisig zieht die feuchte Luft in die Kleidung, als der rheinland-pfälzische Infrastrukturminister Roger Lewentz (SPD) gemeinsam mit dem technischen Geschäftsführer des Landesbetriebs Mobilität (LBM), Bernd Hölzgen, über den Fortgang der Arbeiten an der Schiersteiner Brücke spricht. Es zieht unter der Brücke, beim Schreiben frieren die Finger ein, und das, was es zu notieren gilt, ist alles andere als ein Gute-Laune-Thema. Für Hölzgen und Lewentz ist die Situation eine technische, infrastrukturelle und auch politische Herausforderung.

Die Gruppe aus Journalisten, Ministeriumsmitarbeitern und Experten des LBM hat ausgerechnet dort Schutz gesucht, wo sich die Risse im Stahlbeton des Bauwerks am besten begutachten lassen: unter der Brücke. Auf ängstlichere Gemüter mag der etwa zehn Meter lange Hauptriss auf der Richtung Wiesbaden führenden Fahrbahnseite bedrohlich wirken, aber die Aussicht auf die Witterung abseits der Brücke ist kaum besser. Schneeregen deckt das Umfeld ein, die Arbeiter auf der riesigen Baustelle wirken froh, an diesem kalten Morgen bald eine Frühstückspause einlegen zu können.

Volllast-Montag ohne großes Chaos

„Wir wollen vor Ort zeigen, was passiert ist“, erklärt der Minister, der an diesem Morgen den Pendlern dankt. Zehntausende sind früher aufgestanden, um am ersten Volllast-Montag den erwarteten Staus zu entgehen. Auf der Anfahrt zur Baustelle ist in der Radiodurchsage noch von 15 Kilometer langen Staus zu hören. Zum Ortstermin um 9 Uhr ist die Strecke dann aber überraschend frei. „Das ganz große Chaos ist ausgeblieben“, sagt Lewentz. Der verstärkte Fähreinsatz, der Ausbau im öffentlichen Nahverkehr und die Besonnenheit der Pendler haben dazu geführt, dass es keine extremen Probleme gab. In den kommenden Wochen wird es jedoch Routine bleiben, längere oder frühere Fahrtzeiten in Kauf zu nehmen.

„Das ist der ominöse Pfeiler“, sagt Hölzgen und weist auf eine von zwei massiven Betonsäulen, die das Bauwerk in diesem Bereich der Vorlandbrücke tragen. Es ist die breiteste Stelle auf der linksrheinischen Seite – 32 Meter misst die Brücke hier zwischen den Außenbegrenzungen. „Beide Pfeiler stehen seit 1961“, erklärt der Ingenieur. Am Dienstag vor zwei Wochen habe es dann gegen 22 Uhr einen Schlag gegeben, das viel beschriebene Brückenlager fiel zu Boden, die Lasten verlagerten sich, der betroffene Pfeiler neigte sich um 10 bis 20 Zentimeter, und die Brücke sackte ab.

Durch den Unfall sind die Arbeiten am Neubau der Rheinbrücke vorübergehend an die zweite Stelle der Prioritätenliste gerückt. Das Team der ausführenden Firmengruppe Max Bögl ist derzeit damit beschäftigt, die beschädigte Pfeilersituation zu regulieren. Normalerweise würden jetzt am Neubau Stahlarmierungen geflochten und Verschalungen gebaut. Dies ruht jedoch, rund ein Dutzend Mitarbeiter des in Pfalz angesiedelten Unternehmens sind damit beschäftigt, den Schaden zu reparieren. Zwischen Brücke und dem betroffenen Pfeiler wurde, wie Hölzgen erläutert, an der Stelle des fehlenden Lagers eine Kantholzkonstruktion zur Unterfütterung angebracht. Der zweite Pfeiler wurde ebenfalls vorsorglich mit einer solchen Holzkonstruktion gestützt. „Die Sofortmaßnahmen sind erledigt“, sagt Hölzgen.

In den kommenden Wochen werden vier Hilfspfeiler mit einem Durchmesser von jeweils 30 Zentimetern neben den bestehenden Pfeilern errichtet. Diese sollen den Brückenkörper künftig tragen, während der beschädigte Pfeiler aus der Belastung genommen wird. Wenn diese aus verpresstem Beton und Zementmilch gefertigten Pfeiler stehen, kommt der laut Hölzgen kritische Teil der Sicherung – das Anheben der Brücke. Mittels hydraulischer Pressen wird die Fahrbahn angehoben, bevor an den vier Pfeilern Lager eingesetzt werden. Die Risse im Beton werden mit Zementmilch oder Epoxidharz wieder verschlossen. Begleitet wird der gesamte Ablauf permanent von statischen Berechnungen und Vermessungen. Läuft alles nach Plan, wird die Brücke Ende März wieder befahrbar sein, zumindest für Pkw.

Provisorisches Holzkonstrukt

Wie es dazu kommen konnte, dass die Brücke abgesackt ist, können die Experten noch nicht sagen. Fest steht lediglich, dass zu diesem Zeitpunkt Verpressungen im Boden vorgenommen worden sind. Es kann lange dauern, bis die Gutachten zum Unfall vorliegen.

Die Dimension des, wie Hölzgen sagt, „Bauunfalls“ lässt sich aus der Froschperspektive schwer erkennen. Es sind lediglich Indizien des Ausmaßes zu erkennen: Unmittelbar neben dem Pfeiler führt eine Fußgängertreppe auf die Brücke. Sie ist gesperrt, da durch den Ruck die Aufhängung der Wendeltreppe verschoben ist. Wasserleitungen, die Regenwasser von der Brückenoberfläche an den beiden Pfeilern herableiten, sind abgerissen, laut plätschert Wasser zu Boden. Dazu verlieren sich mehrere Risse im Beton, davon ein großer in nächster Nähe des Pfeilers.

Die Holzkonstruktion, die das Ganze nun stützt, ähnelt dem Provisorium eines Zahnarztes und zieht auch in diesem Fall eine größere Sanierung nach sich. Denn sobald die neue Rheinbrücke zwischen Mainz und Wiesbaden fertig ist, könnte ein Neubau des jetzt beschädigten Teilstücks beginnen. Dies sollte 2019 der Fall sein. Bis dahin dürfte fraglich bleiben, ob Schwerlastverkehr die Brücke befahren kann. „Schlimm für eine Brücke sind Lkw“, sagt Hölzgen. Aber auch Pendler müssen sich mittelfristig damit auseinandersetzen, dass es keine schnelle Passage der Schiersteiner Brücke geben wird. Wenn die neue Rheinbrücke fertig sein wird, ist nach derzeitigem Stand auf Mainzer Seite eine Fahrbahnschwenkung von drei auf zwei Spuren angedacht – hier gilt eine Tempobeschränkung auf 60 km/h als sinnvoll. Volker Boch