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Ring-Käufer im Interview: Formel 1 hat erste Priorität

Der Pharmaunternehmer Viktor Kharitonin und die übrigen Aktionäre der NR Holding AG wollen das Kerngeschäft am Nürburgring stärken. Das sagte Aufsichtsratschef Michael Lemler unserer Zeitung.

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Die NR Holding AG hat die Mehrheit in der Nürburgring Besitzgesellschaft übernommen. Was hat die Aktionäre dazu bewogen?

Der Nürburgring hat einen hohen Bekanntheitsgrad, das hat der internationale Investorenprozess gezeigt. Genauso wichtig ist das Faszinosum Nürburgring mit seiner legendären Geschichte. Bei den Aktionären der Holding kommen Benzin im Blut und die Liebe zu historischen Fahrzeugen hinzu. Sie sehen den Nürburgring auch als Marke, deren Kern es wert ist, gepflegt und ausgebaut zu werden. Renditeerwartungen standen bei der Kaufentscheidung nicht im Vordergrund.

Wer verbirgt sich hinter der NR Holding AG?

An der NR Holding AG sind mehrere Aktionäre beteiligt, die alle ein Faible für Motorsport und historische Fahrzeuge haben. Unter ihnen ist auch der russische Unternehmer Viktor Kharitonin. Unter den Aktionären ist weder eine Investmentgesellschaft noch ein Hedgefonds. Es handelt sich vielmehr um Privatpersonen. Die NR Holding AG ist international zusammengesetzt.

Können Sie Namen nennen?

Nur den von Viktor Kharitonin. Herr Kharitonin ist ein Unternehmer mit großem sozialen Verantwortungsbewusstsein. Er hat aus eigenen Mitteln in der Nähe von Moskau den internationalen Wissenschaftscampus Generium im Bereich der Gesundheitsforschung aufgebaut. Dort leben und arbeiten die Wissenschaftler mit ihren Familien aus vielen Ländern der Welt und forschen an neuen Verfahren und Produkten der Biotechnologie. Er hat auch zahlreiche Krankenhäuser privat finanziert, die für alle Patienten offen stehen. Die Unternehmen von Herrn Kharitonin pflegen enge internationale Verbindungen, auch mit Deutschland, insbesondere mit den Unternehmen Merck in Darmstadt, der Heidelberg Pharma in Ladenburg oder der co.don AG in Teltow bei Berlin.

Warum zeigen nicht auch die anderen Aktionäre ihr Gesicht? Transparenz schafft Vertrauen.

Nicht jeder Aktionär möchte öffentlich genannt werden. Richtig: Transparenz schafft Vertrauen. Deshalb werden wir die Öffentlichkeit über alle wichtigen Schritte informieren und einbinden. Unser Bekenntnis zum Ring und zur Region ist keine Einbahnstraße, sondern ein Dialog.

Es wird viel über den russischen Oligarchen Roman Abramowitsch spekuliert. Befindet er sich unter den Aktionären der NR Holding AG?

Nein, befindet er sich nicht.

Was hat einen russischen Oligarchen wie den Pharmaunternehmer Viktor Kharitonin motiviert, am Nürburgring einzusteigen?

Herr Kharitonin ist ein begeisterter Fan des Rennsports. Hinzu kommt sein Steckenpferd, die Oldtimer. Herr Kharitonin sammelt historische Fahrzeuge und hat schon an vielen Rallyes teilgenommen. An der langfristigen Entwicklung eines solchen Projektes teilzunehmen, ist eine besonders attraktive Aufgabe für jeden Menschen mit Benzin im Blut und der Liebe zu schnellen und historischen Automobilen. Privat ist Herr Kharitonin übrigens nicht nur dem Motorsport verbunden, sondern auch selbst aktiver Sportler – bis hin zu seiner Beteiligung an Marathonläufen.

Waren er und die übrigen Aktionäre schon mal am Nürburgring?

Das waren sie.

Mehrfach?

Sie beobachten die Entwicklung schon länger.

Was hat die NR Holding mit dem Ring vor?

Die Frage stellt sich eher indirekt. Schließlich hat die Besitzgesellschaft einen weiteren Gesellschafter. Die Holding wünscht sich eine Stärkung des Kerngeschäftes. Das heißt: 1. Der Ring als Arena für den Motorsport. 2. Der Ring als Teststrecke für Autohersteller und -zulieferer. 3. Der Ring als Ort großartiger Veranstaltungen. 4. Der Ring als Angebot für Privatfahrer. 5. Der Ring als Refugium für die Pflege historischer Fahrzeuge.

Und der Ring als Ort eines großen Musikfestivals?

In diese Thematik arbeiten wir uns ein.

Bleibt die strategische Partnerschaft mit dem Musikveranstalter DEAG bestehen?

Wir sehen derzeit keinen Grund, an dieser Partnerschaft etwas zu ändern.

Planen Sie neue Veranstaltungsformate am Ring?

Die NR Holding AG ist gerade mal eine Woche operativ tätig. Wir werden die aktuelle Lage sorgfältig analysieren und prüfen. Schnellschüsse dürfen Sie von uns nicht erwarten. Wir wollen uns langfristig am Nürburgring engagieren. Daher planen wir, zusammen mit allen Beteiligten ein gesichertes und realistisches Konzept fortzuschreiben, weiterzuentwickeln und letztlich umzusetzen.

Was ist mit Freizeitpark, Achterbahn und Feriendorf?

All das wird bedacht. Aber wie gesagt: Wir wollen nicht vorschnell aus den Boxen starten.

Wie wichtig ist Ihnen die Formel 1 am Nürburgring?

Die Formel 1 steht für die NR Holding ganz oben auf der Prioritätenliste. Alles Weitere wird sich finden. Jetzt herrscht Planungssicherheit am Ring. Das ist eine stabile Grundlage für Gespräche, die zu Vertragsabschlüssen führen sollten.

Der frühere Ring-Eigentümer Robertino Wild hat angeblich von Formel-1-Chefvermarkter Bernie Ecclestone Signale über einen angestrebten Fünf-Jahres-Vertrag erhalten. Greift die NR Holding das Thema auf?

Dazu können wir derzeit nichts sagen.

Sollen Teile des Ring-Komplexes verkauft werden, etwa der unrentable Freizeitpark?

Wie gesagt, wir planen, alle Aspekte genau zu prüfen. Wir werden uns mit Ursachen und Lösungen auseinandersetzen und schauen, was das Beste für den Ring und die Region ist.

Was ist mit den Arbeitsplätzen am Nürburgring?

Wir wollen eine nachhaltige Entwicklung aller wirtschaftlichen Tätigkeiten. Unser Engagement ist auch ein Bekenntnis zur Region, das ist uns durchaus bewusst. Wir sind daran interessiert, die Arbeitsplätze zu erhalten und nach Möglichkeit neue zu schaffen. Da es nur einen Wechsel auf der Gesellschafterebene der Besitzgesellschaft gegeben hat, wirkt sich dieser auf die beschäftigungsrelevanten Vorgaben des ursprünglichen Kaufvertrags ohnehin nicht aus.

Bleibt Carsten Schumacher, der Geschäftsführer der Betriebsgesellschaft CNG, im Boot?

Wie bereits erwähnt, hat es nur einen Wechsel auf der Ebene der Gesellschafter der Besitzgesellschaft gegeben. An dem bisherigen operativen Geschäft ändert sich dadurch nichts. Wir wollen offensichtlich gut laufende Prozesse nicht ändern.

Bleibt die Partnerschaft mit Minderheitsgesellschafter Axel Heinemann bestehen?

An der Partnerschaft zu Herrn Heinemann gibt es nichts zu rütteln.

Ergeben sich wirtschaftliche Perspektiven über die internationale Pharmabranche, in der Viktor Kharitonin eine führende Rolle spielt?

Das Engagement der NR Holding AG bezieht sich allein auf das Betriebsgeschehen am Nürburgring. Die beruflichen Tätigkeiten der Aktionäre sind davon völlig unabhängig.

Alteigentümer Robertino Wild wird Vize-Aufsichtsratsvorsitzender der NR Holding AG. Wird er auch, wie von ihm angekündigt, Geschäftsführer der eigentlichen Besitzgesellschaft Capricorn Nürburgring Besitzgesellschaft mbH (CNBG)?

Herr Robertino Wild ist Mitglied des Aufsichtsrates der NR Holding AG. Weiterführende Gespräche hierzu laufen gerade.

Welche Kontakte gab es oder gibt es zur rot-grünen Landesregierung?

Wir sind erst seit wenigen Tagen neue Gesellschafter der CNBG. Sie dürfen sicher sein, dass wir an einem guten Verhältnis zur Landesregierung interessiert sind – ganz unabhängig von der politischen Farbenlehre.

Gibt es eine Verständigung mit den unterlegenen Bietern H.I.G. und Nexovation? Beide wollen gegen den Verkaufsprozess klagen.

Die NR Holding AG hat das Geschäft mit dem Treuhänder abgeschlossen und steht als Gesellschafterin naturgemäß auch mit den Verwaltern im Gespräch. Doch Beziehungen zu unterlegenen Bietern in einem Verfahren, an dem wir nicht beteiligt waren, sind nicht unsere Sache.

Auch die Verkaufsgegner – etwa der Verein „Ja zum Nürburgring“ – erwägen eine Klage. Wollen Sie auch mit den Kritikern reden?

Wir wollen das Vertrauen aller Menschen in der Region gewinnen. Gerade deshalb wollen wir das Gespräch mit allen beteiligten Gruppen suchen und stehen auch für entsprechende Gespräche zur Verfügung. In welcher Form dies geschieht, in Form von Einzelgesprächen, einem runden Tisch oder einem möglichen Beirat, muss man mit den Beteiligten abstimmen.

Wie will der neue Eigentümer Vertrauen in der Ring-Region aufbauen?

Die NR Holding ist nicht Eigentümerin des Rings. Sie ist Gesellschafterin der Besitzgesellschaft. Als solche wird sie ihre Kraft darauf verwenden, die in den vergangenen Jahren entstandene Unruhe zusammen mit den Interessengruppen vor Ort zu beenden. Unser erstes Ziel ist es, stabile Verhältnisse herzustellen.

Sind Sie sicher, dass der Kaufvertrag und der jetzt erfolgte Gesellschafterwechsel einer gerichtlichen Überprüfung standhalten?

Wir haben keine Veranlassung, an der Gültigkeit des Verkaufs und des Gesellschafterwechsels zu zweifeln. Der Kaufvertrag steht.

Sie wollen zusätzliche 10 Millionen Euro in die Besitzgesellschaft investieren. Warum?

Nach den Analysen und derzeitigen Prognosen der hier tätigen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften hat sich ergeben, dass für die weitere operative Tätigkeit des Rings zusätzliches Kapital erforderlich ist. Es ist sichergestellt, dass dieses Kapital zusätzlich zur zweiten und dritten Kaufpreisrate zur Verfügung steht. Das Kapital hilft damit der Betriebsgesellschaft des Rings, auf eine stabile finanzielle Grundlage zurückgreifen zu können.

Wie gestaltet sich die Begleichung des 77-Millionen-Euro-Kaufpreises?

Es ist sichergestellt, dass alle absehbaren vertraglichen finanziellen Verpflichtungen vertragsgemäß erfüllt werden. Über weitere Inhalte des Kaufvertrages können wir keine Auskunft geben.

Zahlen Sie sofort, oder gehen Sie auf ein Pachtmodell, falls die Rechtssicherheit des Kaufvertrags aufgrund von Klagen zunächst offen bleibt?

Wir werden mit der Regelung arbeiten, die uns im Rahmen des Kaufprozesses vorgegeben wurde. An diese Regelungen müssen sich alle Parteien halten.

Das Gespräch führte unser Landeskorrespondent Dietmar Brück