Berlin

No Spy – die Lügen der Bundesregierung

Angela Merkels Ticket zur Wiederwahl ist ihre überragende Glaubwürdigkeit. Sie gibt den Menschen das Gefühl, den richtigen Weg durch die komplizierten Wirrnisse der Weltpolitik zu nehmen und sie dabei vor allem nie zu belügen. Deshalb treffen Noch-Koalitionspartner SPD und Opposition den Nerv von Merkels Kanzlerschaft, wenn sie in der deutsch-amerikanischen Spionage-Zusammenarbeit hinterfragen, ob Merkel und ihr Team ehrlich gewesen sind.

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Von unserem Berliner Korrespondenten Gregor Mayntz

Im Kern geht es um den scheinbar wunderbaren Ausweg, den die Kanzlerin, ihr Innenminister und ihr Regierungssprecher auf dem Höhepunkt des Bundestagswahlkampfes 2013 gefunden hatten, um eine von Edward Snowdens Enthüllungen erschreckte Öffentlichkeit zu beruhigen. Auch wenn die Amerikaner weltweit Daten sammelten, auf deutschem Boden seien deutsche Bürger durch deutsches Recht geschützt, und daran hielten sich auch die Amerikaner. Es gebe keinen Grund, an dieser Beteuerung des Partners zu zweifeln.

Obendrein konnte die Merkel-Regierung kurz vor den Wahlen auch noch von dem „Angebot“ der Amerikaner berichten, mit Deutschland ein No-Spy-Abkommen („Wir hören uns gegenseitig nicht ab“) zu schließen. Darüber seien die Amerikaner zu verhandeln „bereit“, sagte selbst die Kanzlerin im Schlussspurt des Wahlkampfes. Und Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) beschleunigte sogar das Tempo: „Wir haben die Zusage, dass ein solches Abkommen bald geschlossen werden kann“, sagte er unserer Zeitung. Genau diese Äußerung führte bei den Amerikanern zu heftigen Irritationen, wie sich dem vertraulichen deutsch-amerikanischen Regierungs-Mailverkehr entnehmen lässt, der dem NSA-Untersuchungsausschuss zuging.

Kanzleramt nervt US-Regierung

Aus diesen E-Mails, die vor allem zwischen dem Weißen Haus und dem Kanzleramt ausgetauscht wurden, ist der immer verzweifelter werdende Versuch von Merkels außenpolitischem Berater Christoph Heusgen abzulesen, verbindliche Zusagen zu bekommen. Tatsächlich hatte US-Geheimdienstchef James Clapper die Bildung einer Arbeitsgruppe angeboten, die sich nach dem Vorbild der Vereinbarungen zur Abhöranlage in Bad Aibling an die Formulierung eines Abkommens setzen könne, das für ganz Deutschland gelten solle und in dem es um die Achtung deutscher Gesetze gehe.

Freilich: Clapper hatte zugleich ans Weiße Haus verwiesen, weil dies dort zu entscheiden sei. Doch je mehr Heusgen dort auf klare Signale drängte, desto klarer ließ ihn sein Gegenpart, Präsidentenberaterin Karen Donfried, abblitzen. Bis sie es im Januar 2014 in beinahe genervtem Ton auf den Punkt bringt: Es werde kein No-Spy-Abkommen geben, und das habe die US-Seite auch schon die ganze Zeit zum Ausdruck gebracht. Drei Monate später kassierte Regierungssprecher Steffen Seibert die „No Spy“-Erwartungshaltung auch öffentlich ein.

Obama hält deutsche Dienste nur für beschränkt tauglich

Das geschah sicherlich auch vor dem Hintergrund von Begegnungen Merkels mit Obama. Dabei soll er sie an die in Deutschland unentdeckt gebliebenen Attentatsvorbereitungen vor dem 11. September 2001 erinnert und ihr vorgehalten haben, dass die deutschen Dienste nicht alle gefährlichen Islamisten im Blick hätten. Tatsächlich hatte Deutschland offenbar mindestens fünf Anschläge nur wegen US-Hinweisen verhindern können. Insofern kann es Merkel kaum überrascht haben, dass die USA zu einem No-Spy-Abkommen auf Distanz gingen.

Zwei Aspekte sind entscheidend dafür, ob die Teflonschicht um Merkels Kanzlerschaft tiefe Kratzer bekommt. Erstens: War es gerechtfertigt, die unverbindliche Idee des US-Geheimdienstchefs zu einem verbindlichen „Angebot der USA“ hochzustilisieren, obwohl das Weiße Haus der Kanzlerin 2013 nicht einmal den erbetenen Gefallen tat, zur sommerlichen Pressekonferenz ein Signal zu senden, dass die USA deutsches Recht beachten wollten? Und zweitens: Wie stark war Merkel selbst in diese Vorgänge eingebunden? Sie hat zwar mehrere Brandmauern zwischen dem ihr unterstehenden Geheimdienst und ihrem Büro eingebaut (Abteilungsleiter, Geheimdienstkoordinator, Staatssekretär, Kanzleramtsminister). Und damit ist sie über jeden Verdacht erhaben, etwa selbst operativ mit der Frage befasst gewesen zu sein, welche NSA-Suchbegriffe („Selektoren“) nun in den Satelliten-Kommunikations-Staubsauger in Bad Aibling eingestellt werden und welche nicht.

Aber sie achtet sehr genau auf das „Wording“, also die Wortwahl bei aktuellem Regierungshandeln. Was Kanzleramtsminister Ronald Pofalla und Seibert in Sachen „No Spy“ im Namen der Regierung verkündeten, war mit ihr sicherlich bis ins Detail abgesprochen.

In zehn Kanzlerjahren hat sich Angela Merkel eine doppelte Wahrnehmung angeeignet: Aufmerksam verfolgt sie mit dem Kopf die Aufgeregtheiten im politischen Berlin, die sie mal anstößt, mal auffängt, mal ohne Reaktion laufen lässt. Welche Option infrage kommt, entscheidet sie aufgrund ihres Bauchgefühls für die Wertungen der Menschen außerhalb der Berliner „Käseglocke“. Und da hatte sie im Wahlkampf die zutreffende Einschätzung, dass die NSA-Spionage in Deutschland ihr so lange ihren Ruf beim Wähler nicht ramponiert, solange die Menschen das Gefühl haben, dass alles mit rechten Dingen zugeht und sie am Ende besser vor Terror geschützt sind.

Geheime Chefsache

Das brachte sie bis an den Rand der absoluten Mehrheit. Doch nun fängt sie an, sich selbst mehr um die Details zu kümmern. Erster Schritt: Die öffentliche Mitteilung, dass beim BND „technische und organisatorische Defizite“ identifiziert worden seien. Zweiter Schritt: Ihr öffentliches Relativieren ihres eigenen Satzes vom Oktober 2013 „Ausspähen unter Freunden – das geht gar nicht“. Sie hat ihn ersetzt durch die Feststellung „Ausspähen unter Freunden – das sollte nicht passieren.“ Ihre damalige Formulierung sei „anspruchsvoller, als ich mir das dachte“, erläuterte sie. Kenner Merkels ahnen, dass noch mehr im Busch sein könnte.