Rheinland-Pfalz

NSU: Die Spur nach Koblenz

Es ist ein Zettel mit fünf Namen, handschriftlich notiert, eine Liste mit Postadressen und Telefonnummern. Asservat 59.72.7 der Staatsanwaltschaft Gera ist auch fast 16 Jahre nach dem Fund eines der vielen ungelösten Rätsel der Ermittlungen gegen das rechtsextreme Netzwerk Nationalsozialistischer Untergrund (NSU).

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Gefunden wurde die Liste am 26. Januar 1998 von Beamten der Staatsanwaltschaft Jena in einer Garage in Unterlagen von Uwe Mundlos. Wenig später soll er mit Uwe Böhnhardt und vermutlich Beate Zschäpe eine Spur des Terrors durch Deutschland ziehen. Drei dieser fünf Personen haben damals eine Adresse in Rheinland-Pfalz: Norbert F. aus Koblenz, Erich N. aus Andernach (beide Namen geändert) und die Mainzerin Ursula Müller, eine der bekanntesten Neonazis aus dem Land.

Neonazis in Gefängnissen unterstützt

Fest steht: Alle gehörten der „Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige“ (HNG) an. Die rechtsextreme Organisation versorgte jahrzehntelang Neonazis in Gefängnissen mit Briefmarken, Geld und politischer Literatur und kümmerte sich darum, dass sie der Szene auch in Haft treu blieben. Die HNG galt als eine der profiliertesten rechtsextremen Organisationen in Deutschland mit mehr als 600 Mitgliedern.

Vieles spricht dafür, dass die HNG dem NSU-Trio näher gestanden hat, als bisher angenommen. Ursula Müller aus Gonsenheim führte die HNG seit 1991. Auf dem Grundstück Müllers fanden Sonnwendfeier und Hitler-Geburtstagsfeiern statt. Erst 2011 wurde die Organisation verboten. Ein weiteres ehemaliges Vorstandsmitglied der HNG (auch sie steht auf der Kontaktliste, lebte aber nicht in der Region) soll mit Mundlos sogar in direktem Kontakt gestanden haben. Deren Mann war wiederum der Herausgeber der Zeitschrift „Der weiße Wolf“. Das Blatt war den Ermittlern aufgefallen, da sich die Redaktion für eine Spende beim NSU-Trio bedankte („Es hat Früchte getragen“). Zudem hatten die Ermittler offenbar zumindest Hinweise, dass Zschäpe 2005 bei Müller in Mainz übernachtet haben soll. Müller wurde dazu befragt, sie stritt dies aber in den Zeugenvernehmungen ab.

Wegen Volksverhetzung verurteilt

Die beiden anderen Namen sind hingegen heute selbst Rechtsextremismusexperten kaum mehr ein Begriff. Aus den Vernehmungsprotokollen der Ermittler geht hervor, dass der Andernacher Erich N. Anfang de 90er-Jahre Mitglied bei der HNG wurde. Er gab an, dass er bei Übersetzungen in Englisch und Französisch half. In jungen Jahren war er den Behörden bereits zweimal aufgefallen. 1995 beteiligte er sich an einer Flugblattaktion gegen V-Leute im Verfassungsschutz, im März 1997 verurteilte ihn das Amtsgericht in Andernach wegen Volksverhetzung. Zudem war ein Totschläger in seinem Wagen gefunden worden. Der Name taucht auch in einem Beitrag des „Weißen Wolfs“ im Jahr 1996 auf. Der Schreiber echauffiert sich über Rechtsradikale, die immer wieder betrunken anzutreffen sind. Es ist nicht mit Sicherheit festzustellen, ob es dieselbe Person ist.

Es sind die Jahre, in denen sich der Andernacher auch mit dem Skinhead Norbert F. aus Koblenz immer wieder trifft. Dies ist der zweite Name aus Rheinland-Pfalz auf der Kontaktliste. Auch Norbert F. ist HNG-Mitglied. Er soll selbst von der HNG in Haft einmal Briefmarken erhalten haben. Der Andernacher und der Koblenzer wurden offenbar Freunde, immer wieder trafen sie sich auf ein Bier, heißt es in den Vernehmungen.

Koblenzer steht auf Adressenliste

Norbert F. war zumindest in den 90er-Jahren offenbar stadtbekannt. 1993 schreibt das Antifa-Blatt „Alabanda“: „Am 27. Mai wurden Faschos aus der Vorstadt vertrieben, unter anderem Norbert F.“ Er besucht ein Konzert der rechtsextremen schwedischen Band Ultima Thule, einmal wird er auf einer Demo in den Niederlanden festgenommen. In Aschaffenburg gerät er in eine Schlägerei mit Linken. Und immer wieder fährt er auch zu Unabhängigkeitsfesten der Flamen. Sein Name taucht noch einmal im Zusammenhang mit dem NSU auf: In der Garage sollen Ermittler Unterlagen zur Gründung eines politischen Vereins gefunden haben. Es geht um das Nationale Politische Forum (NPF). Auf einer weiteren Adressenliste taucht der Koblenzer Norbert F. in diesem Zusammenhang auf. Unklar ist, ob die Personen angesprochen wurden – oder ob dies bei dem Plan blieb.

Mit dem Andernacher engagiert er sich offenbar in einer obskuren „Interessengemeinschaft Volksstaat“, die sich offenbar für die Weißen in Südafrika einsetzt. Sie trafen sich meist in Mönchengladbach. Ende der 90er-Jahre wurde die Gruppe aufgelöst. Die Gruppe soll aus einem guten halben Dutzend Mitgliedern bestanden haben. Ein weiterer, damals in Koblenz wohnhafter Neonazi taucht in diesem Umfeld auf.

Schlägerei in einer Kneipe

Dann trennen sich die Wege der beiden. Im Jahr 2000 zieht Erich N. aus Andernach nach Bayern. Dort bekommt er noch einmal Besuch von Norbert F.. Dann kommt es offenbar zum Bruch: Norbert F. soll so betrunken gewesen sein, dass Erich N. Ärger mit seiner Vermieterin bekam. Auch zu einer Schlägerei in einer Szenekneipe soll es gekommen sein, heißt es bei Vernehmungen. Danach bricht der Kontakt wahrscheinlich ab. Beide fallen später auch nicht mehr in der Szene auf. Wie sie auf die Liste kamen, konnten oder wollten sie auch bei den Vernehmungen nicht erklären. Bei den Befragungen gaben beide an, dass sie mit der rechtsextremen Szene abgeschlossen haben. Tatsächlich registrieren die Behörden keine Auffälligkeiten der beiden mehr, auch auf Veranstaltungen werden sie nicht mehr gesehen. Nur Ursula Müller, die „Mutter“ der Szene, wie sie Norbert F. bei einer Vernehmung einmal nennt, blieb der Szene auf jeden Fall treu.