Rheinland-Pfalz

Halbe Milliarde Euro verloren: Ring-Drama wird zum SPD-Trauma

Vereint in einem Zukunftskonzept ohne Zukunft: Ex-Wirtschaftsminister Hendrik Hering (SPD) und Ex-Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) mit dem damaligen Ring-Pächter Jörg Lindner (von links).
Vereint in einem Zukunftskonzept ohne Zukunft: Ex-Wirtschaftsminister Hendrik Hering (SPD) und Ex-Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) mit dem damaligen Ring-Pächter Jörg Lindner (von links). Foto: dpa

Der Nürburgring hat gute Chancen, als langlebigster Skandal in die Geschichte der rheinland-pfälzischen Landespolitik einzugehen. Die Folgen der Ring-Pleite sind zum Mühlstein der rot-grünen Regierung geworden. Zentrale Fragen im Überblick.

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Von unserem Redakteur Dietmar Brück

Nach der massiven Kritik des Rechnungshofs am konzeptionellen Neustart des Eifelkurses und dem erwarteten negativen EU-Beihilfebescheid schlagen die politischen Wogen hoch.

Welche politischen Konsequenzen könnte der Bericht des Rechnungshofs haben?

Erste Rücktrittsforderungen gegen einzelne SPD-Politiker wurden bereits erhoben. Der Skandal um den Nürburgring wird neu befeuert, das schadet vor allem den regierenden Genossen. Die These, dass die Pleite am Ring entgegen den Aussagen der alten SPD-Landesregierung absehbar war, stand schon lange im Raum. Der Rechnungshof tritt nun als Kronzeuge auf. Das bringt die Landesregierung ins Schleudern und verhindert auf lange Zeit, dass sie mit positiven Initiativen durchdringt.

Welche Politiker sind aktuell betroffen?

Von dem früheren Ministerpräsidenten Kurt Beck abgesehen, sind das in erster Linie der frühere Wirtschaftsminister und jetzige SPD-Fraktionschef Hendrik Hering sowie der SPD-Finanzminister Carsten Kühl. Hering hat das kritisierte Zukunftskonzept zum Nürburgring 2009 und 2010 begleitet und verhandelt, Kühl hat es über einen 330-Millionen-Kredit der landeseigenen Förderbank ISB absichern lassen. Die eigentliche Konzeption stammt von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young.

Was wird den SPD-Politikern im Kern vorgeworfen, und wie verteidigen sie sich?

Der Generalvorwurf lautet auf massive Wählertäuschung vor der Landtagswahl 2011 – und geht vor allem an Kurt Beck. Aber auch Hering und Kühl stehen im Zentrum der Anwürfe. Der Rechnungshof hält das Zukunftskonzept zum Nürburgring für komplett unrealistisch. Die Kreditfinanzierung hätte seines Erachtens nie erfolgen dürfen, da sie ihm als riskant und wenig Erfolg versprechend erscheint. Hering verweist auf ein Gutachten von Ernst & Young, Kühl auf eine Prüfung der Kreditvergabe nach gängigen Verfahren. Beide geben an, dass sie damals unter Handlungsdruck standen und mit dem Konzept möglichst viel Steuergeld retten wollten.

Sind weitere Politiker involviert?

Die CDU glaubt, dass auch der jetzige Sozialminister und Ex-Wirtschaftsstaatssekretär Alexander Schweitzer (SPD) betroffen ist. Die Opposition wirft ihm vor, einen kritischen Vermerk zu den Ring-Kosten gestrichen zu haben, was er bestreitet. Auch der jetzige Vizechef der Staatskanzlei, Clemens Hoch (SPD), wird als vermeintlicher Verfechter der Neukonzeption angegriffen. Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) trägt die politische Gesamtverantwortung für die heutige Aufarbeitung der Ring-Pleite. Zudem saß sie in der Hochphase des Skandals am Kabinettstisch. Das macht auch sie angreifbar.

Kommt es zu einem Untersuchungsausschuss?

Das lässt die CDU offen. Sie gibt an, eine gründliche Aufarbeitung der Ereignisse zu wollen. Im Gegensatz zu Rot-Grün möchte sie das heikle Thema möglichst lange am Kochen halten. Es dürfte nach einer ersten Landtagsdebatte am heutigen Mittwoch noch auf der Tagesordnung zahlreicher Ausschusssitzungen stehen. Sollte das Skandalfeuer zu wenig Nahrung erhalten, dürfte es mit einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss neu entfacht werden.

Was bedeutet der erwartete negative Beihilfebescheid für den Steuerzahler?

486 Millionen Euro an staatlichen Nürburgring-Hilfen standen in dem Verdacht, unrechtmäßig gewährt worden zu sein. Nach einer jahrelangen Untersuchung hat die EU-Wettbewerbsbehörde diesen Verdacht für weit mehr als 400 Millionen Euro bestätigt. Dazu zählen etwa Gelder für den Bau des Freizeitparks oder Formel-1-Zuschüsse. Rein rechtlich muss Deutschland die beanstandete Summe samt Zinsen von der früheren nahezu landeseigenen Besitzgesellschaft, der Nürburgring GmbH, zurückfordern. Das Geld müsste zum Ursprungsort, dem Land, zurückfließen. Der angespannte Landeshaushalt wäre um einige Sorgen ärmer. Formal betrachtet, muss Deutschland als protokollarischer Ansprechpartner der Kommission in zwei Monaten die Berechnungen der genauen Beträge und Zinszahlungen vorlegen und den Beschluss in vier Monaten umsetzen.

Fließt wirklich Geld zurück an den Landeshaushalt?

Nicht viel. Denn die alte Nürburgring GmbH ist bekanntlich pleite. Sie hat viele Schulden – und kein Geld. Einnahmen konnte sie allenfalls durch den Verkauf von Rennstrecke und Freizeitpark erzielen. Dieser hat voraussichtlich 77 Millionen Euro eingebracht. Davon gehen aber Verfahrenskosten ab. Am Ende kann der rheinland-pfälzische Steuerzahler mit einer Summe zwischen maximal 45 und 50 Millionen Euro für den Landeshaushalt rechnen. Verloren sind nicht nur die beihilferelevanten Bestandteile, sondern nahezu die gesamten Investitionen, die inklusive Begleit- und Folgekosten bei rund einer halben Milliarde Euro liegen.

Welche Konsequenzen hat die erwartete EU-Entscheidung für das Unternehmen Capricorn?

Die Insolvenzverwalter und Firmenchef Robertino Wild können erst einmal aufatmen. Folgt die EU-Kommission der Vorlage, wird grünes Licht für den Verkauf des Rings an das Düsseldorfer Unternehmen erteilt. Das wäre ein Erfolg für die Insolvenzverwalter Jens Lieser und Thomas Schmidt.

Gibt es Kritik an dieser Entscheidung?

Der EU-Abgeordnete Werner Langen (CDU) glaubt, dass der Verkaufsprozess gravierende Mängel aufweist – etwa die Capricorn-Finanzierung über die Deutsche Bank. Dass der Verkauf möglicherweise dennoch für rechtens erklärt wird, führt er auf eine Kungelei zwischen deutscher und rheinland-pfälzischer SPD sowie dem sozialistischen Wettbewerbskommissar Joaquín Almunia zurück. Langen zu unserer Zeitung: „Almunia ist auf den letzten Metern seiner Amtszeit vom objektiven Wettbewerbskommissar zum Schmalspur-Genossen mutiert, der die eigenen Leute schützt.“

Sind Klagen der unterlegenen Bieter zu befürchten?

Ja. Ein Anwalt des US-Unternehmens Nexovation sagte unserer Zeitung, dass die Technologiefirma „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ gegen die EU-Entscheidung vor einem europäischen Gericht klagen wird. Capricorn habe am 10. März nur eine „Finanzierungsbestätigung“ der Deutschen Bank gehabt, heißt es. Nexovation sieht sich benachteiligt. Ein Rechtsstreit könnte sich über Jahre hinziehen. Zumal auch die Investmentgesellschaft H.I.G und der Verein „Ja zum Nürburgring“ intensiv darüber nachdenken, den Klageweg zu beschreiten. Die Insolvenzverwalter betonten stets, dass der Investorenprozess sauber ablief. Sollte die Rechtsgültigkeit des Verkaufs durch eine Klage blockiert werden, führt Capricorn den Ring für eine Übergangszeit als Pächter, was Nexovation ebenfalls beanstandet.