Glücksforscher im Interview: Wieso Geld nicht glücklich macht

Glücksbringer
Ob Schornsteinfeger, Marienkäfer oder Kleeblätter: Sie alle sollen Glück bringen. Foto: Gerten/Pleul/Nietfeld/Seeger

Zahlreiche Sprichwörter beschäftigen sich damit, und Menschen überall auf der Welt sind auf der Suche danach oder haben es bereits gefunden: das Glück. Sogar ein Tag ist diesem Gefühl gewidmet, das man sich für kein Geld der Welt kaufen kann: Am 20. März wird jedes Jahr der Internationale Tag des Glücks gefeiert, den die Vereinten Nationen 1992 beschlossen haben. Doch was macht ein glückliches Leben aus?

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Der große Lottogewinn oder doch eher eine erfüllte Partnerschaft? Und: Kann man das Glücklichsein eigentlich üben? Glücksforscher Prof. Dr. Karlheinz Ruckriegel kennt sich aus mit dem Glück. Hier das Interview im Wortlaut:

Was macht ein Glücksforscher?

Ich als Volkswirt beschäftige mich aus Sicht der Volkswirtschaft mit der Frage der Glücksforschung. Es geht um die grundsätzliche ökonomische Fragestellung, wie man mit knappen Ressourcen umgeht. In der Ökonomie hat man in den meisten Fällen knappe Ressourcen, und die Frage ist, wie man diese Ressourcen nutzt, um ein Höchstmaß an Output zu erhalten. Die Frage nach dem Glück ist die zentrale Ausgangsfrage. Die Menschen wollen mit dem, was sie haben, ein glückliches und zufriedenes Leben führen. Letztlich geht es nicht darum, Einkommen zu erzielen. Einkommen ist nur ein Mittel zum Zweck. Und Wirtschaftswachstum ist auch nur ein Mittel zum Zweck. Irgendwann nützt das nichts mehr. Nämlich dann, wenn die materiellen Grundbedürfnisse befriedigt sind. Irgendwann gewöhnt man sich auch einfach an dieses „Mehr“.

Warum beschäftigen Sie sich mit dem Glück?

Ich beschäftige mich seit 2005 mit dem Thema. Damals war die Glücksforschung noch ein Nischengebiet. Inzwischen ist sie zum Mainstream geworden. Ich habe also vor zehn Jahren das Buch „Die glückliche Gesellschaft“ von Richard Layard gelesen, einem bekannten britischen Ökonomen. Das hat mich so fasziniert, dass ich gesagt habe, genau in diese Richtung müssen wir gehen. Mittlerweile halte ich viele Vorträge und Workshops zu dem Thema.

Dr. Karlheinz Ruckriegel ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Technischen Universität Nürnberg. Er berät Politik, Unternehmen und Organisationen im Bereich der interdisziplinären Glücksforschung. Zudem beschäftigt er sich mit der Umsetzung der Erkenntnisse der interdisziplinären Glücksforschung in Politik und Wirtschaft/Unternehmen. Außerdem hält Ruckriegel Vorträge zum Thema Glücksforschung.
Dr. Karlheinz Ruckriegel ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Technischen Universität Nürnberg. Er berät Politik, Unternehmen und Organisationen im Bereich der interdisziplinären Glücksforschung. Zudem beschäftigt er sich mit der Umsetzung der Erkenntnisse der interdisziplinären Glücksforschung in Politik und Wirtschaft/Unternehmen. Außerdem hält Ruckriegel Vorträge zum Thema Glücksforschung.
Foto: Steffen Giersch

Wie definiert man Glück?

Glück ist in der deutschen Sprache ein schillernder Begriff. Im Deutschen hat das Wort Glück zwei Facetten. Einmal das Zufallsglück, zum Beispiel die Wahrscheinlichkeit eines Lottogewinns, also Glück haben, und zum anderen das Glücklichsein. Im Englischen gibt es einen Unterschied zwischen „luck“ und „happiness“. Bei uns gibt es das nicht. Deshalb muss erst mal geklärt werden, was mit Glück überhaupt gemeint ist. In der Glücksforschung geht es nicht um das Zufallsglück. Es geht um das Glücklichsein oder wissenschaftlich formuliert: um das subjektive Wohlbefinden. Dies hat zwei Ausprägungen. Einerseits das emotionale Wohlbefinden, da geht es um das Verhältnis von negativen zu positiven Gefühlen im Tagesdurchschnitt. Das ist im Endeffekt das Wohlbefinden, welches wir haben, während wir unser Leben leben. Das Verhältnis sollte bei drei zu eins liegen. Andererseits das kognitive Wohlbefinden, bei dem es darum geht, wie wir unser Leben bewerten. Vor dem Hintergrund der Ziele, Wünsche, Erwartungen, die wir haben. Man kann sich da natürlich solch unrealistische Ziele setzen, dass man nur noch frustriert ist. Man muss sehr vorsichtig und überlegt in seiner persönlichen Zielsetzung sein. Wenn ich mir jetzt mit meinen 57 Jahren etwa vornehme, noch Fußballprofi beim FC Bayern zu werden, dann wäre das ein Ziel, welches von Haus aus nicht zu erreichen ist.

Kann man Glück messen?

Ja, es gibt ein weltweites Standardverfahren. Beim emotionalen Wohlbefinden geht es darum, dass man abends festhält, welche positiven und negativen Gefühle man die vergangenen 24 Stunden hatte. Und daraus bildet man dann das Verhältnis, das eben drei zu eins oder mehr betragen sollte. Der andere Test für das kognitive Wohlempfinden ist noch einfacher und wird weltweit verwendet. Die Frage lautet: „Wie zufrieden sind Sie insgesamt mit Ihrem Leben?“ Das wird mithilfe eines Fragebogens ermittelt. Die Leute kreuzen auf einer Skala an, wie sehr sie mit ihrem Leben zufrieden sind. Aus dem ermittelten Werten kann man dann Rückschlüsse ziehen.

Für welche Institutionen sind die Ergebnisse der Glücksforschung bedeutsam?

In politischer Hinsicht wäre das zum Beispiel die Vereinten Nationen, die seit 2012 „World Happiness Reports“ herausgibt. Diese Berichte messen das Wohlempfinden der Menschen auf der Welt. Auch die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) beschäftigt sich in ihrem Better Life Index damit. Es geht darum, Regierungen so zu beraten, dass diese die Voraussetzungen für ein gelingendes Leben verbessern können. Dabei geht es nicht mehr primär um Wirtschaftsfaktoren. Letztes Jahr hat es von der OECD auch eine Empfehlung für die deutsche Regierung gegeben. Demnach müssen die Bildungsgerechtigkeit und Bildungsinvestitionen erhöht, faire Löhne gezahlt und ein faires Steuersystem geschaffen werden.

Parallel dazu gibt es das Programm „Beyond GDP“ der Europäischen Union, welches darauf abzielt, zur Messung des Wohlempfindens einer Nation das Bruttoinlandsprodukt durch weitere Indikatoren zu ergänzen. Die Bundesregierung beschäftigt sich damit, unter anderem auf der Basis der OECD-Ergebnisse ein Indikatorensystem zu entwickeln, mit dem das Wohlempfinden der Bevölkerung in Deutschland gemessen werden kann. Auch für die Unternehmen haben die Ergebnisse der Glücksforschung eine besondere Bedeutung: Zum einen bedingt der demografische Wandel einen Arbeitskräftemangel, zum anderen sind die Unternehmen durch die Einstellung der Generation Y, die ein ganzheitliches gelingendes Leben möchte, unter Druck gesetzt. Das ist ja das Ziel des Lebens: dass man zufrieden und glücklich ist und nicht dass man das Bruttoinlandsprodukt steigert. Diese Generation Y, das sind die zwischen 1980 und 1995 Geborenen, die eine ganzheitliche Sichtweise haben. Und diese ganzheitliche Sichtweise zusammen mit der demografischen Entwicklung zwingt die Unternehmen dazu, auf die Wünsche der Menschen einzugehen. Die Menschen wollen auch bei der Arbeit glücklich sein. Sie wollen eine sinnvolle Tätigkeit und sich einbringen können. Das Geld ist nicht das Wesentliche. Es muss fair sein, aber damit hat es sich auch schon. Aber auch der Einzelne interessiert sich für die Ergebnisse der Glücksforschung. Das merkt man daran, dass viele Zeitschriften das Thema Glück massiv vorantreiben. Ich habe auch noch niemanden getroffen, den das Thema nicht angesprochen hat.

Welche Dinge machen glücklich?

In der Glücksforschung spricht man von den sogenannten Glücksfaktoren. Der wesentliche Glücksfaktor sind gelingende soziale Beziehungen: Partnerschaft, Familie, Kinder, Nachbarschaft, Arbeitskollegen. Dann: psychische und physische Gesundheit. Eine bedeutende Rolle beim Glücklichsein spielen auch Engagement und eine erfüllende Tätigkeit. Das muss nicht zwangsläufig eine Erwerbstätigkeit sein. Außerdem geht es um persönliche Freiheit. Sie müssen das Gefühl haben, auf Ihr Leben Einfluss nehmen zu können. Eine Rolle spielt auch, was für eine Einstellung Sie haben: Sind Sie optimistisch oder nicht? Dann geht es darum, dass man genug hat, um die materiellen Grundbedürfnisse zu befriedigen und dass man finanzielle Sicherheit hat. Geld macht dann nicht mehr glücklich, wenn die materiellen Grundbedürfnisse abgedeckt sind. Bei uns in Deutschland sind die spätestens in den 70er-Jahren erfüllt gewesen.

In welchen Ländern sind die Menschen am glücklichsten?

Beim kognitiven Wohlbefinden liegen die skandinavischen Länder ziemlich weit vorn. Dort ist das Vertrauen in die Gesellschaft stark ausgeprägt, und es gibt auch nicht so große Einkommensunterschiede, das heißt, die Hierarchie in der Gesellschaft ist geringer. Das zeigt sich auch darin, dass sich die Menschen dort mit du ansprechen. Das kann man sich durchaus zum Vorbild nehmen. Die Skandinavier sind materiell auf demselben Niveau wie wir in Deutschland, haben aber eine deutlich höhere Zufriedenheit auf einer Skala von null bis zehn. Während wir einen Durchschnitt von sieben auf der Zufriedenheitsskala erreichen, liegen diese Länder bei mehr als acht. Das ist ein gravierender Unterschied. Das Problem bei uns in Deutschland ist, dass ein Drittel der Deutschen ihre Lebenszufriedenheit auf einer Skala von null bis zehn mit sechs oder weniger bewertet. Da muss man ansetzen. Das sind zum Teil Menschen, die eher in den unteren Einkommensschichten angesiedelt sind. Das hat aber weniger etwas mit der Höhe des Einkommens zu tun, sondern mehr mit der Perspektive, mit der Frage der Wertschätzung und der Stellung in der Gesellschaft. In Dänemark ist der Unterschied zwischen den obersten 20 Prozent und den untersten 20 Prozent nicht so groß wie in Deutschland. Außerdem ist die soziale Durchlässigkeit gegeben, was bei uns nicht der Fall ist.

Ändern sich eigentlich in Zeiten von Krisen die Werte, die glücklich machen?

In Krisenzeiten ist man vor allem auf gelingende soziale Beziehungen angewiesen. Auf Hilfe von anderen. In Kriegszeiten wird das Materielle wieder wichtiger. Wenn Sie von heute auf morgen nichts mehr zu essen haben, müssen Sie erst mal ihre Grundbedürfnisse befriedigen. Das heißt aber nicht, dass die sozialen Beziehungen deshalb nicht wichtig sind. Der Mensch ist das sozialste Wesen auf dieser Welt. Ohne soziale Beziehungen verarmen wir beziehungsweise werden depressiv.

Wie kann man glücklicher werden?

Man muss sich Ziele setzen. Wenn Sie das nicht machen, wissen Sie gar nicht, wie Sie sich bewerten sollen. Diese Ziele können ruhig ehrgeizig, müssen aber gleichzeitig auch realistisch, also erreichbar sein. Außerdem müssen diese Ziele sinnvoll oder werthaltig sein. Ziele, die auf die persönliche Entwicklung gerichtet sind, also zum Beispiel eine neue Sprache zu lernen, sind besonders werthaltig, weil sie unser psychisches Bedürfnis nach Zugehörigkeit, Autonomie und Kompetenz am besten befriedigen. Werthaltig sind auch Ziele, die auf eine Verbesserung und Vertiefung zwischenmenschlicher Beziehungen gerichtet sind und Beiträge zur Gesellschaft. Im Gegensatz dazu sind Ziele wie Geld, Schönheit oder Popularität relativ hohl. Wenn ich meine Ziele daran festmache, ist die Wahrscheinlichkeit, glücklich und zufrieden zu sein, sehr gering. Das sind zudem Ziele, mit denen man ständig im Vergleich zu anderen steht. Es gibt immer jemanden, der mehr Einkommen hat. Es gibt auch immer jemanden, der schöner ist.

Dankbarkeit ist auch wichtig, um glücklicher zu werden. Das Problem ist, wir nehmen eher die negativen Dinge auf und nicht die positiven. Dankbarkeit ist daher so wichtig, weil man dadurch eine neutralere Sichtweise auf das Leben bekommt. Das kann man üben, indem man sich zwei-, dreimal in der Woche abends überlegt, für welche Dinge oder Erlebnisse man in den vergangenen 24 Stunden dankbar ist. Wenn man das ein paar Monate macht, dann dreht sich die Sichtweise auf das Leben. Man nimmt die positiven Sachen deutlicher wahr als die negativen.

Es geht auch darum, Optimismus zu trainieren. Ist das Glas halb voll oder halb leer? Um was im Leben zu erreichen, darf man sich nicht beim geringsten Gegenwind vom Ziel abbringen lassen. Das ist aber bei einer „Halb leer“-Einstellung oft der Fall. Man sollte auch Grübeleien und soziale Vergleiche vermeiden. Sonst entwertet man seine Ziele im Lichte von anderen. Gut ist es auch, hilfsbereit zu sein und vergeben zu können. Man muss nämlich auch abschließen können, um glücklich zu sein. Wenn zum Beispiel eine Partnerschaft auseinandergegangen ist, dann kann man dieser ewig hinterhertrauern, aber das bringt nur negative Gefühle.

Wichtig ist es auch, im Hier und Jetzt zu leben. Wenn man ständig darüber nachdenkt, was gestern schiefgelaufen ist, kann man das Heute nicht genießen. Das heißt nicht, dass man nicht reflektieren sollte, was schiefgelaufen ist. Aber eben nicht den ganzen Tag lang. Dem Glück dienen auch sogenannte Flow-Effekte, das heißt, in dem, was man gerade tut, ganz aufzugehen. Auch Spiritualität oder Transzendenz kann dabei helfen, glücklich zu sein. Die Suche nach einem Sinn, der über die gesetzten Ziele hinausgeht. Sich damit zu beschäftigen, bringt auch Tiefgang im Leben. Schließlich sollte man auch auf seine Gesundheit achten.

Folgt auf das Glücksgefühl oft ein Tiefschlag – wie viele meinen?

Das stimmt nicht. Glück ist eine Frage der inneren Haltung. Wenn ich zufrieden und glücklich bin, bin ich insgesamt auch aufgeräumt und ausgeglichen. Ich habe ein gutes Gefühl in mir: „Mein Leben läuft rund.“ Wenn Sie einen Sechser im Lotto haben, freuen Sie sich zuerst natürlich darüber. Aber das ist nicht dauerhaft, weil Sie Ihre Bedürfnisse einfach dem neuen Kontostand anpassen. Viele dieser Sprichwörter beziehen sich auf solches Zufallsglück. Welches Sprichwort aber einen wahren Kern hat, ist „Jeder ist seines Glückes Schmied“. Das stimmt insofern, als dass man an seinem Glück arbeiten kann.

Das Interview führte Susanne Schneider