Frontex soll helfen: EU will Grenzen dichter machen

Wo sind in Ungarn die Flüchtlinge geblieben? Foto: Jonathan Stutz -

Aufnehmen und integrieren, aber auch abgrenzen und stoppen – das ist die Antwort der EU auf die Flüchtlingskrise. „Wir müssen unsere Politik offener Türen und Fenster korrigieren“, fasste Ratspräsident und Gipfelchef Donald Tusk die sechsstündigen Beratungen der 28 Staatenlenker zusammen. „Das Chaos an unseren Außengrenzen muss ein Ende haben“, sagte der polnische Ministerpräsident.

Lesezeit: 2 Minuten
Anzeige

Abgesehen von der Verteilung von insgesamt 160.000 Flüchtlingen, die die Innenminister der Gemeinschaft schon am Dienstag beschlossen hatten, soll nun schnell Geld fließen: 1 Milliarde Euro für das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen, 1 Milliarde Euro an die Türkei, zusätzlich dreistellige Millionenbeträge für Hilfsorganisationen. Mit den Mitteln soll die Lage der fast fünf Millionen Menschen in den Auffanglagern rund um Syrien verbessert werden, damit sie sich nicht auch noch auf den Weg nach Europa machen.

Mit Syriens Assad reden

Die eigentliche Überraschung aber hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel parat, als sie in der Nacht auf die Bekämpfung der Fluchtursachen angesprochen wurde: „Es muss mit vielen Akteuren gesprochen werden, dazu gehört auch Assad.“ Dieses Zugehen des Westens auf den syrischen Diktator wäre eine radikale Kehrtwende der bisherigen europäischen Außenpolitik. Doch die Union weiß, dass sie ohne den inzwischen auch von Russland gestützten Machthaber keine Chance hat, eine Lösung für Syrien in Gang zu bringen. Der Iran, die Türkei und Saudi-Arabien sollen helfen. Bereits Anfang Oktober wird der türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan in Brüssel erwartet – und es scheint sicher, dass die Gespräche schwierig werden. Schließlich will die EU von Ankara nicht weniger als die Zusicherung, die eigenen Grenzen zu schließen und sich stärker gegen die Terror des Islamischen Staates (IS) zu engagieren. Dass sich Erdogan diese Zusammenarbeit nur durch Zusagen abkaufen lassen wird, ist absehbar.

Doch die außenpolitische Wende konnte die „außergewöhnlich aufgeladene“ Atmosphäre (Tusks Sprecher) zwischen den Vertretern der Mitgliedstaaten nicht überdecken. „Wir haben uns heute nicht zerfleischt“, bilanzierte der luxemburgische Premier Xavier Bettel zwar kurz nach Mitternacht. Der italienische Regierungschef Matteo Renzi meinte sogar erleichtert: „Zum ersten Mal ist die Migrationsfrage nicht das Problem eines Mitgliedsstaates. Es ist eine Frage aller Europäer.“

Energiegeladene Diskussion

Tatsächlich aber bestätigte Ratspräsident Tusk massive Meinungsverschiedenheiten hinter verschlossenen Türen: „Sie können sich vorstellen, dass die Diskussion zwischen dem ungarischen Premierminister und dem österreichischen Kanzler sehr energiegeladen war.“ Schließlich werfen Wien und Berlin Budapest vor, Flüchtlinge ohne Registrierung weiter zu schicken. Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán wiederum schob die Schuld an Griechenland weiter, wo „keinerlei Kontrollen“ stattfänden. Deshalb müsse die EU die Außengrenzen kontrollieren, wenn ein Mitgliedsland das nicht könne oder tue. Verständigt hat man sich auf eine Kompromissformel: Demnach soll die Grenzschutzagentur Frontex einspringen, wenn ein Staat mit der Grenzsicherung überfordert sei. Was auch immer das konkret heißt und wer das am Ende bezahlt – alles offene Fragen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel wiederum hielt Ungarn vor, Grenzzäune seien kein Mittel zur Lösung des Problems, was Orbán mit den Worten konterte: „Wenn der Zaun nicht gewollt wird, dann können wir die Flüchtlinge auch durchlassen Richtung Österreich und Deutschland.“ Merkel verteidigte die von den Innenministern beschlossene Aufteilung von Flüchtlingen auf die Mitgliedstaaten und stellte klar: „Es gibt keinen Anspruch auf ein bestimmtes Land.“ Am Ende befand der französische Staatspräsident François Hollande, die Spannungen seien zwar nicht verschwunden, aber sie hätten auch „keine so große Rolle“ gespielt. Ob das anhält, wird man sehen: In drei Wochen treffen sich Europas Staatenlenker wieder in Brüssel, dann zu einem turnusmäßigen Gipfel. Die Flüchtlingsfrage wird wohl auch dann wieder auf der Tagesordnung stehen.

Detlef Drewes