Berlin

Euro-Krise: Athen und Berlin auf Tuchfühlung

Wer hätte das gedacht: Bei ihrer Begegnung vor der Presse im Kanzleramt nimmt der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras die deutsche Kanzlerin ritterlich in Schutz. Ausgerechnet über den aktuellen „Spiegel“-Titel regt sich Tsipras auf. Darauf ist Merkel vor der Akropolis stehend, umringt von Nazi-Größen zu sehen. „Das heutige Deutschland hat nichts zu tun mit dem Deutschland des Dritten Reichs“, stellt Tsipras klar.

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Von unserer Berliner Korrespondentin Eva Quadbeck

Während der Pressekonferenz gestikuliert Tsipras immer wieder heftig. Er wendet sich mehrfach Merkel zu, als spreche er mit ihr und nicht gerade mit der Öffentlichkeit. Die Kanzlerin wiederum wirkt ein wenig steif. Sie ist auf der Hut, keinen Schulterschluss mit dem Mann der griechischen Partei Syriza zu zeigen, die der deutschen Linkspartei ähnelt.

Merkel und Tsipras
Bundeskanzlerin Merkel und der griechische Ministerpräsident Tsipras geben sich nach einer gemeinsamen Pressekonferenz im Bundeskanzleramt die Hand.
Foto: Bernd von Jutrczenka

Tsipras fordert, dass man die Stereotype übereinander ablegen soll. „Weder sind die Griechen Faulenzer, noch sind die Deutschen schuld an den Übeln und den Missständen in Griechenland“, sagt er. Auch Merkel will die Vorurteile zwischen Griechen und den Deutschen hinter sich lassen. „Die Stereotypen sind der Anfang einer sehr schwierigen Phase“, sagt sie und betont, es gebe nicht die Italiener, die Franzosen und eben auch nicht die Griechen.

Die Erwartungen von außen an Merkel, die Griechen zu retten, sind hoch. Mit ihrer Zähigkeit war es ihr gelungen, die brisante Ukraine-Krise in Verhandlungen mit dem russischen Staatspräsidenten Wladimir Putin zumindest einzudämmen. Warum sollte ihr also nicht noch einmal das Unmögliche glücken? Als am längsten amtierende europäische Regierungschefin, die eine vor ökonomischer Kraft strotzende Nation anführt, genießt sie hohe Autorität im Kreis der EU-Regierungschefs.

Obdachlose in Athens
Der harte Sparkurs in Griechenland verschärft die Armut im EU-Staat.
Foto: Orestis Panagiotou

Zugleich erwarten die USA und China inzwischen, dass sich die Deutschen um die Probleme in Europa kümmern. Ein Scheitern Griechenlands im Euro wäre also auch ein Scheitern Deutschlands.
Merkel mag solche Erwartungshaltungen nicht. Sie vermeidet es auch sorgfältig, als eine Art Chefin von Europa aufzutreten. Bei ihrem gemeinsamen Auftritt mit Tsipras stellt sie klar, dass die Entscheidungen über die griechische Liquidität in der Euro-Gruppe und nicht in Deutschland fallen.
Bei der Zusammenkunft Merkels und Tsipras' am Rande des EU-Gipfels in der vergangenen Woche mit dem französischen Präsidenten François Hollande, EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker, EZB-Chef Mario Draghi und dem Euro-Gruppen-Chef Jeroen Dijsselblom war es laut Teilnehmerkreisen Merkel, die moderierend eingriff. Auch Tsipras lobte: „Ich muss sagen, dass Frau Merkel zuhört und konstruktiv vorankommen möchte.“

Tsipras ist der Ernst der Lage trotz der freundlichen Tonlage im Kanzleramt offenbar sehr bewusst. Vor dem Treffen mit Merkel sickerten Details einer Reformliste durch. Demnach soll das Rentenalter wie in Deutschland auf 67 Jahre erhöht werden. Mit 62 Jahren sollen nur noch jene Arbeitnehmer in den Ruhestand gehen dürfen, die mindestens 40 Jahre gearbeitet haben. Auch die Schwarzgeldkonten griechischer Bürger im Ausland sollen endlich zur Sanierung des Staatshaushalts herangezogen werden. Laut Athener Finanzministerium schulden 3,7 Millionen Griechen und 447 000 Unternehmen dem Staat etwa 76 Milliarden Euro. Diese Liste soll im Gespräch mit Merkel eine wichtige Rolle spielen. Ob er diese Liste tatsächlich beim Abendessen mit Merkel besprechen will, lässt Tsipras allerdings offen.

Er geht auch nicht darauf ein, dass Athen laut mehrerer Berichte nach Ostern das Geld ausgehen könnte. Generell räumt er aber ein, es sei nichts Neues, dass Griechenland Liquiditätsprobleme habe. Die Bundesbank erklärt derweil, dass eine Staatspleite innerhalb der Währungsunion kein Tabu mehr sein darf. Eine Finanzierung Griechenlands durch die EZB sei ebenso verboten wie eine Gemeinschaftshaftung der Euro-Staaten. Deshalb müsse in der Währungsunion auch „der Extremfall einer Insolvenz eines Mitgliedstaates möglichst verkraftbar sein“.

Und der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, Martin Wansleben, warnt: „Die Unsicherheit über den Kurs der Regierung lähmt Griechenland. Investoren legen Projekte auf Eis. Das Vertrauen in den Standort Griechenland kann nur durch eine solide und berechenbare Wirtschaftspolitik zurückgewonnen werden.“ Dazu gehörten eine funktionierende Verwaltung und leistungsfähige Finanzämter.