Debatte: Gehört der Islam zu Deutschland?

Rund vier Millionen Menschen muslimischen Glaubens leben in Deutschland.
Rund vier Millionen Menschen muslimischen Glaubens leben in Deutschland. Foto: picture alliance

Die Ereignisse der vergangenen Wochen haben die Debatte über die Demokratiefähigkeit des Islams neu entfacht. In Dresden demonstrieren Tausende gegen eine befürchtete „Islamisierung“ Deutschlands.

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Von unserer Berlin-Korrespondentin Rena Lehmann

In Paris töten selbst ernannte Gotteskrieger im Namen einer Terrororganisation, die sich auf den Islam beruft, viele Menschen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wiederholt jetzt im Bundestag, dass der Islam zu Deutschland gehört. Der Satz hat eine lange Vorgeschichte. Er blieb bisher nie unwidersprochen.

Es war der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff (CDU), der ihn öffentlichkeitswirksam formulierte. Es ist einer dieser Sätze, die für immer mit einer Person verknüpft sind, in diesem Fall mit Wulff, die eine Debatte auslösen und die eine Gesellschaft verändern. Wulff sagte ihn bei seiner Rede zum Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober 2010. Seine Worte: „Das Christentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das Judentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das ist unsere christlich-jüdische Geschichte“, sagte Wulff. Dann fügt er hinzu: „Aber der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland.“ Wulff zitiert den Dichter Johann Wolfgang von Goethe: „Wer sich selbst und andere kennt, wird auch hier erkennen: Orient und Okzident sind nicht mehr zu trennen.“

Der damalige Bundespräsident ist nicht der Erste, der sich so deutlich zum Islam als Teil der deutschen Kultur bekennt. Der damalige Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) hat ihn erstmals gesagt, als er 2006 die Deutsche Islam Konferenz eröffnete. Schäuble hat mit der Islamkonferenz damals erstmals ein Gremium geschaffen, das über die Integration von Muslimen in die deutsche Gesellschaft debattiert – und zwar mit ihnen selbst.

Erstmals fanden darin die Vertreter der islamischen Verbände Gehör, wurden Vielfalt, aber auch Konflikte in Glaubensfragen zwischen den Gemeinschaften der rund vier Millionen Muslime sichtbar. Der Gesprächsbedarf ist auf allen Seiten groß.

Ob der Islam zu Deutschland gehört ist eine Debatte, die Bestand hat.
Ob der Islam zu Deutschland gehört ist eine Debatte, die Bestand hat.
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In der Folge der Anschläge vom 11. September 2001 fühlten sich gläubige Muslime unter Generalverdacht. Und die Politik nahm wahr, dass sie über muslimisches Leben in Deutschland wenig weiß. Schäuble sagt damals etwas distanzierter als Wulff später: „Der Islam ist Teil Deutschlands und Europas.“

Wulff sagt den Satz zu einer anderen Zeit. 2010 befindet sich das Land mitten in einer hitzig geführten Integrationsdebatte. Der Sozialdemokrat und Finanzexperte Thilo Sarrazin behauptet in seiner Polemik „Deutschland schafft sich ab“, die Bundesrepublik würde insbesondere durch den Zuzug muslimischer Zuwanderer dem wirtschaftlichen und kulturellen Bankrott entgegengehen. Viele integrationswillige Muslime sehen sich ausgegrenzt und beleidigt. Wulffs Satz hat in dieser Zeit große Wirkung, insbesondere unter den Migranten. Viele junge Muslime schreiben ihm damals begeistert, dass sie sich endlich willkommen fühlten. Der Bundespräsident wird in Windeseile zum bekanntesten Politiker unter Migranten, erhält Toleranzpreise, gilt als Hoffnungsträger. Viele Muslime trauern ihm nach, als er Anfang 2013 in der Folge einer Hauskauf-Affäre zurücktreten muss. Sein Satz, wonach der Islam zu Deutschland gehört, löst aber vor allem in der Union Widerspruch aus.

„Dass der Islam zu Deutschland gehört, ist eine Tatsache, die sich aus der Historie nirgendwo belegen lässt“, schimpft Hans-Peter Friedrich (CSU). „Die Leitkultur in Deutschland ist die christlich-jüdisch-abendländische Kultur, nicht die islamische“, sagt der CSU-Politiker. Ebenfalls nicht unterschreiben wollen den Satz des Bundespräsidenten Politiker wie der konservative Innenpolitiker Wolfgang Bosbach. Sie bestehen auf der Differenzierung zwischen dem Islam und den Muslimen, die in Deutschland leben. Für Bosbach ist „der Islam inzwischen Teil der Lebenswirklichkeit in Deutschland, aber zu uns gehört die christlich-jüdische Tradition“.

Auch Angela Merkel distanziert sich damals von Wulff, indem sie erklärt, er habe keineswegs den Islam als prägende Kraft für Deutschland mit Christentum und Judentum gleichgesetzt. Außerdem müsse Integration an Bedingungen geknüpft sein. In Deutschland gelte das Grundgesetz, nicht die islamische Scharia, erklärt die Bundeskanzlerin. Auch von den christlichen Kirchen kommt Kritik an Wulffs Satz.

Der ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Wolfgang Huber, erklärte, Toleranz gegenüber dem Islam höre auf, „wenn wir blind sind denen gegenüber, die die Voraussetzungen der Toleranz aufheben, weil sie selbst nicht die gleichen Rechte für Menschen anderer Überzeugungen anerkennen“. Aus den Äußerungen spricht ein deutliches Misstrauen gegenüber dem Islam im täglichen Miteinander der Demokratie.

Wulffs Nachfolger im Amt, Bundespräsident Joachim Gauck, ist mit Wulffs Satz ebenfalls nicht einverstanden. „Ich hätte einfach gesagt, die Muslime, die hier leben, gehören zu Deutschland“, erklärt Gauck zu Beginn seiner Amtszeit.

Anfang der Woche nun wiederholt die Bundeskanzlerin Wulffs Satz ohne Einschränkung. „Der Islam gehört zu Deutschland. Das ist so. Dieser Meinung bin ich auch“, sagt sie. In ihrer Regierungserklärung gestern im Bundestag zu den Anschlägen zitiert sie das gesamte Zitat von Christian Wulff. Sie äußert aber ihr Verständnis dafür, dass Menschen fragen, „wie man dem wieder und wieder gehörten Satz noch folgen kann, dass Mörder, die sich für ihre Taten auf den Islam berufen, nichts mit dem Islam zu tun haben sollen“. Sie bezeichnet die Klärung dieser Frage durch muslimische Geistliche als dringlich. Der Satz, wonach der Islam zu Deutschland gehört, wird von ihr damit an Bedingungen geknüpft: Nicht jede Art der Auslegung des Islams soll demnach zu Deutschland gehören.

Der Islamkritiker Hamed Abdel-Samad fordert die Bundeskanzlerin auf, den Bürgern zu erklären, was der Islam ist, bevor sie sich Wulffs Satz zu Eigen macht. „Es ist nicht die Aufgabe eines Politikers, eine Religion zu rehabilitieren oder zu bewerten“, kritisiert der Wissenschaftler sie scharf. Die Debatte geht weiter.