Dagegen: Andrea Nahles (SPD)

Im Grunde verstehe ich jede und jeden, die teilweise aus persönlicher Betroffenheit verärgert oder verzweifelt fragen, warum ich mich öffentlich für ein Verbot der Präimplantationsdiagnostik (PID) ausspreche.

Lesezeit: 3 Minuten
Anzeige

Von Andrea Nahles

Im Grunde verstehe ich jede und jeden, die teilweise aus persönlicher Betroffenheit verärgert oder verzweifelt fragen, warum ich mich öffentlich für ein Verbot der Präimplantationsdiagnostik (PID) ausspreche. Manche schreiben mir und sprechen offen an, dass gerade ich – selbst glücklich schwanger – doch verstehen müsse, wie bedeutsam der Wunsch nach einem gesunden Kind ist. Es könne so viel Leid vermieden werden gerade für die, die es schon oft vergeblich versucht haben und medizinische Hilfe brauchen, um überhaupt schwanger werden zu können. Weiß Gott, das lässt mich nicht unberührt. Wer will schon Leid in Kauf nehmen, wenn es nicht sein muss. Die Frage, was ist richtig, was ist falsch, ist dennoch nicht so leicht zu beantworten.

Worum geht es? Warum erregt ein medizinisches Verfahren, die PID, derart die Gemüter? Es ist nur eine kleine Gruppe, 100 bis 200 Paare pro Jahr, die je nach Indikation betroffen sein dürften. PID ist ein diagnostisches Verfahren, angesiedelt zwischen Fortpflanzungsmedizin und einer genetischen Begutachtung der Erbkrankheiten von Embryonen. Tatsächlich jedoch ist es keine rein diagnostische oder medizinische Frage, die im Parlament und in der breiten Öffentlichkeit diskutiert wird. Es geht um eine genetische Beurteilung von Leben. Das ist eine zutiefst ethische Frage.

Erst 2002 hatte der Bundestag ein Verbot der PID beschlossen. Aufgrund eines Urteils des Bundesverfassungsgerichtes, das die gezielte Auswahl von Embryonen im Reagenzglas grundsätzlich erlaubt hat, muss nun neu entschieden werden. Als Abgeordnete stehen wir im Frühjahr daher vor einer schwierigen Entscheidung: Sollen wir die PID generell verbieten oder das umstrittene Verfahren in einzelnen Fällen zulassen?

Es haben sich bisher drei interfraktionelle Abgeordnetengruppen zusammengeschlossen, die über die Parteigrenzen hinweg Gesetzentwürfe vorlegen wollen. Eine Gruppe steht für eine weitgehende Freigabe der PID. Eine andere will in streng begrenzten Fällen, so bei Totgeburten oder wenn erwartet wird, dass das Kind früh stirbt, eine Aussonderung dieser Embryonen zulassen. Andere wie ich selbst wollen die Beibehaltung des Verbotes.

Was soll die PID leisten? Bei einer künstlichen Befruchtung wird ein Embryo ausgewählt, der keine schwerwiegenden oder gar todbringenden Erbkrankheiten hat. Der „erfolgversprechendste“ Embryo soll eingepflanzt werden. Es wird überlegt, dass eine Ethikkommission im Einzelfall entscheidet, was erlaubt ist und was nicht. Es wird aber auch eine Liste vorgeschlagen von wenigen Erbkrankheiten, in welchen Fällen eine solche Auswahl erlaubt sein soll. Insgesamt sind die künstliche Befruchtung und PID belastende und schwierige medizinische Verfahren für die Frauen und ihre Partner.

Warum bin ich nun gegen einen derartigen genetischen Check-up im Reagenzglas? Es müssen immer mehr Embryonen erzeugt werden, als eingepflanzt werden können. Was passiert aber mit den überzähligen Embryonen? Die Frage ist bis heute vollkommen unbeantwortet. Vielleicht will das aber auch niemand so genau wissen.

Derzeit können medizinisch 120 Erbkrankheiten unterschiedlichen Schweregrades nachgewiesen werden. Ob eine solche Erbkrankheit tatsächlich im späteren Leben ausbricht, ist in vielen Fällen völlig offen. Wir wissen es schlicht nicht, wenn im Labor darüber entschieden wird. Derzeit reden wir nur über die wenigen Fälle von schweren Erbkrankheiten. Wer sagt aber, dass es dabei bleibt? Ich bin pessimistisch.

Heute sind wir uns im Parlament weitgehend einig, dass es nur wenige Ausnahmen geben soll. Es ist jedoch ein zutiefst menschlicher Wunsch, ein Kind nach eigenen Vorstellungen zu haben. Ein gesundes Kind. Wenn etwas geht, dann wird es gemacht. Das lehrt uns die Geschichte der Menschheit. Sind wir uns also sicher, dass wir verantwortlich handeln und das auch in Zukunft, wenn wir jetzt Ausnahmen legitimieren? Bisher gibt es eine klare Grenze.

Ich sehe es letztlich wie Erzbischof Robert Zollitsch. Hier droht ein „Dammbruch“. Ein Dammbruch, den ich nur schwer erträglich finde. Denn letztlich steht hier die Frage im Raum: Welches Leben ist lebenswert? Wer entscheidet darüber?

Tatsache ist, dass die verbreitete vorgeburtliche Diagnostik bereits ihre Wirkung entfaltet: Eine Freundin von mir hat ein Kind mit einer kleinen körperlichen Fehlbildung, die in mehreren OPs korrigiert wurde. Der Kleine ist ansonsten munter. Als sie ihr zweites Kind bekam und es dieselbe Fehlbildung hatte, wurde sie von einer jungen Ärztin gefragt: Ja, aber haben sie sich denn nicht genetisch beraten lassen? Wenn etwas möglich ist, wird es nicht nur gemacht, sondern es wird unterschwellig verlangt beziehungsweise zur neuen Norm.

Kann ich mit diesen Abwägungen auf das Leid der Menschen, die betroffen sind und unser Verständnis suchen, eine zufriedenstellende Antwort geben? Nein. Umgekehrt ist die Frage ehrlich zu beantworten, ob wir es Frauen beziehungsweise Paaren überlassen dürfen oder sollen, welches Leben lebenswert ist und welches nicht. Meine Antwort: Wir sollten in aller Freiheit des aufgeklärten Geistes ethische Grenzen des menschlichen Handelns anerkennen.