Bombardierung 1945: Das Trauma in Dresden ist geblieben

In der zerstörerischen Feuersbrunst von Dresden verlor Erika damals sämtliche Papiere - bis auf ihren Schwesternausweis aus dem Jahr 1942, den sie immer eng bei sich trug.
In der zerstörerischen Feuersbrunst von Dresden verlor Erika damals sämtliche Papiere - bis auf ihren Schwesternausweis aus dem Jahr 1942, den sie immer eng bei sich trug. Foto: Gabi Novak-Oster

Sie hat lange geschwiegen. Über Jahre hinweg. Sieben Jahrzehnte. Und ihre Kinder haben zu wenig gefragt. Nur eines war sicher: An jedem 13. Februar die gleichen Worte: „Heute ist Dresden.“ Erika Novak erinnert sich an die Bombardierung Dresdens.

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Schmerzlich und schön zugleich ist das Wiedersehen mit der Elbmetropole Dresden, als Erika Novak im Alter von 86 Jahren vor der wiederaufgebauten Frauenkirche steht. Fotos: Gabi Novak-Oster
Schmerzlich und schön zugleich ist das Wiedersehen mit der Elbmetropole Dresden, als Erika Novak im Alter von 86 Jahren vor der wiederaufgebauten Frauenkirche steht. Fotos: Gabi Novak-Oster
Foto: Gabi Novak-Oster

Sie hat lange geschwiegen. Über Jahre hinweg. Sieben Jahrzehnte. Und ihre Kinder haben zu wenig gefragt. Nur eines war sicher: An jedem 13. Februar die gleichen Worte: „Heute ist Dresden.“ Im Tonfall verbittert, traurig und ein wenig vorwurfsvoll, weil andere nicht an das Datum gedacht hatten. Heute ist Dresden – längst vorbei und dennoch Gegenwart. Drei Worte für einen tödlichen Feuersturm, der sich nicht beschreiben lässt. Selbst von denen nicht, die Teil des Grauens waren. Wie Erika Novak, heute 90 Jahre alt und in Koblenz wohnhaft.

Der Angriff auf Dresden bleibt als eines der schrecklichsten Kapitel des Zweiten Weltkrieges in Erinnerung. Mit der Bombardierung in der Nacht vom 13. auf den 14. Februar 1945 zerstörten die Engländer eine Stadt und töteten 25.000 Menschen. Erika Novak überlebte, die Bilder der Feuersbrunst aber brannten sich in ihre Seele. Ein Trauma bis heute.

Schneeweißes, kurz geschnittenes Haar, das Gesicht ein wenig blass, die Hände in den Schoß gelegt, die ersten Sätze leise gesprochen. Immer wieder fällt ihr Blick auf ein Regal, in dem eine kleine Nachbildung der wiederaufgebauten Dresdner Frauenkirche steht, Erinnerung an einen Besuch in der Elbmetropole vor vier Jahren. Es hat gedauert, Erika Novak für das heutige Gespräch zu überzeugen. Zu Beginn dann auch Unsicherheit: „Ich habe Schlimmes erlebt, aber andere noch viel Schlimmeres.“ Kaum zu glauben in Anbetracht dessen, was schon jetzt bekannt ist und was in der nächsten Stunde erzählt wird.

Helfen wollen und nicht können

Der Rückblick: Erika wohnt mit ihren Eltern in ihrer Geburtsstadt Jauer in Schlesien, der Vater ist Lehrer, die Mutter Schneiderin. 1937 wird der Vater nach Glogau versetzt, die Familie zieht mit. Die Tochter möchte gern Ärztin werden. „Mädchen heiraten“, sagt der Vater. Erika ergreift zunächst einen kaufmännischen Beruf, beginnt aber abends eine Ausbildung zur Krankenschwester und ist 1942 ihrem Berufswunsch ein wenig näher. Ihren Ausweis hütet sie bis heute. Im Lazarett werden verwundete Soldaten versorgt, es sind die ersten Begegnungen mit dem Krieg und jenen, denen er fast das Leben genommen hat.

Als die Front näher rückt, wird Schwesternhelferin Erika gemeinsam mit ihrer zwei Jahre älteren Kollegin und Freundin Bärbel nach Görlitz evakuiert. Dort bleiben sie allerdings nur zwei Tage, dann kommt der „Befehl Dresden“. Die jungen Frauen müssen sich im St.-Joseph-Stift bei den Ordensschwestern melden. „Wir wurden zur Arbeit eingeteilt, auch zum Putzen. Für die verwundeten Soldaten, die meist von der Ostfront kamen, konnten wir nicht viel tun, es gab einfach kein Verbandszeug mehr.“ Helfen wollen und nicht helfen können, das schmerzt.

Der 13. Februar 1945, es ist Karnevalsdienstag, beginnt zunächst ruhig. „Wir haben im Krankenhaus Mittag gegessen und bekamen von den Ordensschwestern die Erlaubnis, die restlichen Kartoffeln zu Bärbels alten Verwandten am Neustädter Bahnhof zu bringen. Dort wollten wir zusammen Bratkartoffeln zubereiten.“ Mit der Straßenbahn erreichen die Schwesternhelferinnen am Abend ihr Ziel, doch zum Kochen kommen sie nicht mehr. „Um etwa 20 Uhr meldete das Radio feindliche Flugzeuge auf Westdeutschland, eine halbe Stunde später den Anflug auf Mitteldeutschland.“ Erika und Bärbel ahnen: „Wir müssen heim.“ Zum Glück fährt die Straßenbahn in Dresden noch.

Nahe ihrem Krankenhaus haben die Freundinnen eine Schlafstelle. „Wir haben hier nur übernachtet, nicht gewohnt. Kein Waschbecken, keine Toilette, aber wir waren ja auch zum Helfen da.“ In dem winzigen Zimmer stehen zwei kleine Koffer, einer von Erika, einer von Bärbel. „Wir hatten die notwendigsten Dinge drin, vor allem unsere Papiere.“ Das immer lautere Grollen schreckt die Schwestern auf. „Wir merkten, dass schon ziemlich nahe Bomben fallen.“

Um 21.45 Uhr wird in Dresden der 175. Fliegeralarm ausgelöst. Mit ihren Koffern in der Hand erreichen die beiden Frauen die Straße, werden sofort in einen Luftschutzkeller geschickt. Etwa 30 Personen, vor allem Frauen und Kinder, sitzen ängstlich im Dunkel. Als der Angriff vorbei ist, sind die Eingänge verschüttet, die Wand zum Nachbarkeller muss aufgestemmt werden. „Dann gab es einen gewaltigen Windstoß.“ Erika Novak stockt. Erstmals in diesem Gespräch beginnt sie zu weinen. Die Bilder von damals sind wieder so nah. „Ein Feuerstoß riss das Gepäck auseinander. Unsere Koffer waren plötzlich weg. Wir hatten nichts mehr.“ Wenigstens das Leben. Und den Rot-Kreuz-Ausweis im Mantel. Tränen.

Draußen erahnen die Menschen das Ausmaß der Bombardierung. „Es brannte alles. Wir konnten nichts erkennen, wussten nicht, wo Westen oder Osten ist, geschweige denn unser Lazarett.“ In 15 Minuten wurden drei Viertel der Dresdner Altstadt in Brand gesetzt. Erika und Bärbel schließen sich einer kleinen Karawane an, die über Trümmer hinweg mühsam ihren Weg in Richtung Elbe sucht. Tote und Verletzte säumen die Straße, die verzweifelten Rufe nach Vermissten werden übertönt vom Gebrüll der Feuerwalze.

Kaum Worte für das Inferno

„Vor mir lag plötzlich ein stark blutender Mann, der ein Kind bei sich hatte.“ Erika will helfen, aber hat kein Verbandsmaterial. Sie reißt sich ihre Schwesternschürze vom Leib und verbindet damit den Mann notdürftig. „Die Schürze ist Eigentum der Wehrmacht, die müssen Sie mir zurückgeben“, sagt sie dem Verwundeten noch und muss weiter um ihr eigenes Leben rennen. Menschen schreien vor Schmerzen, „und wir konnten ihnen nicht helfen“. Wie schlimm für eine Krankenschwester. „Wir sind umhergeirrt, völlig unkontrolliert. Vor uns, hinter uns, neben uns fünf bis sechs Meter hohe Flammen. Flammenwände und Qualm. Raus, raus, raus, hieß es nur. Unvorstellbar.“ Erika Novak scheint die schrecklichen Bilder in diesen Minuten vor Augen zu haben, in Worte fassen kann sie das Inferno kaum.

Auf dem Weg durch die Trümmer entdeckt Erika am Straßenrand einen leeren Handkarren. „Er stand halt da, und ich habe ihn einfach mitgenommen. Ich musste in diesem Moment das Gefühl haben, wieder etwas zu besitzen.“ Kurzes Innehalten. „Heute schäme ich mich für das, was ich getan habe.“ Am nächsten Morgen lässt Erika den Wagen stehen.

Wie brennende Fackeln

Nach der ersten großen Angriffswelle flüchten viele Dresdner auf die Elbwiesen und in den Großen Garten. Dort kommen schließlich auch Erika und Bärbel an, doch die scheinbare Rettung trügt. Um 1.23 Uhr starten die Briten ihren zweiten Angriff, werfen 650.000 Brandbomben ab. Es brennt überall. „Nie wieder habe ich solche Flammen gesehen.“ In der Hitze schmelzen Glas und Metall, die Schutzsuchenden ersticken in den Luftschutzkellern an Brandgasen oder sterben durch Hitzeschock. Der extreme Luftsog wirbelt Gegenstände und Menschen umher und zieht sie ins Feuer. „Brennend wie Fackeln sind die Flüchtenden über die Wiesen gelaufen und in die Elbe gesprungen“, erinnert sich Erika Novak an diese Momente und kann erneut ihre Tränen nicht zurückhalten.

Bärbel und Erika sind noch immer beisammen, ihr Lazarett finden sie nicht mehr. Sie werden in eine Kaserne geschickt, die am Hang liegt. Auf dem Weg dorthin entdecken sie ein Silo mit Äpfeln und greifen hungrig zu. „Vor der Kaserne haben uns wildfremde Menschen mit Kaffee versorgt.“ Dann endlich können sich die Flüchtlinge waschen und werden verpflegt. Sie haben die Schreckensnacht überlebt.

Die Stadt brennt vier Tage. Am Vormittag des 15. Februar stürzt die Frauenkirche ein. „Ja, das war Dresden“, sagt Erika Novak traurig. Sie kommt nach Greiz, arbeitet dort in einem Lazarett, sieht wieder unvorstellbares Elend. Bis Kriegsende muss sie – wie andere – aber auch „Egoist sein“, um zu überleben. „Du wolltest doch helfen, habe ich mir später oft vorgeworfen. Hoffentlich konnte ich es hier und da. Krankenschwester, das wäre heute noch mein Beruf“, sagt die 90-Jährige.

Mit ihrem Ehemann spricht sie andeutungsweise über das Erlebte. Franz ist schwer verwundet aus Stalingrad zurückgekommen und redet kein einziges Wort darüber. Das Schweigen einer traumatisierten Kriegsgeneration. Auch Erika Novak will verdrängen und vergessen – es geht nicht. „Heute ist Dresden“, wird es deshalb in diesem Jahr wieder heißen. 70 Jahre danach.

Gabi Novak-Oster

Chronik:

Die verheerende Nacht
Seit Herbst 1944 waren die Bewohner von Dresden und Umgebung immer häufiger von Luftangriffen betroffen. Karnevalsdienstag 1945 begann eine folgenschwere Angriffswelle auf die rund 630 000 Einwohner zählende Elbmetropole: Am 13. Februar, 21.45 Uhr, wurde in Dresden der 175. Fliegeralarm ausgelöst.

Um 22.03 Uhr leuchteten britische Lancaster-Bomber die Innenstadt mit Magnesium-Lichtkaskaden („Christbäumen“) aus. Wenige Minuten später fielen die ersten Bomben und setzten innerhalb von 15 Minuten drei Viertel der Altstadt in Brand. Die Feuer loderten mehrere Tage lang. Das erste Bombardement war die „Vorbereitung“ für die zweite Angriffswelle, die um 1.23 Uhr begann.

Bis 1.54 Uhr wurden 650.000 Brandbomben abgeworfen. Sie trafen auch die Elbwiesen und den Großen Garten, wohin viele Menschen geflüchtet waren.
In der Nacht zum 14. Februar starben in Dresden nach neuesten historischen Untersuchungen zwischen 22.000 und 25.000 Menschen. Die Luftangriffe durch 773 britische Bomber gelten als die verheerendsten auf eine Stadt im Zweiten Weltkrieg.


Am 15. Februar, etwa um 10.15 Uhr, stürzte die ausgebrannte Frauenkirche ein. Ihre Ruine wurde zum Symbol des zerstörten Dresden.