Vallendar

150 Milliarden Belastung für Deutschland? WHU-Rektor warnt vor Grexit

Fahnen in Athen
Die Fahnen von Griechenland und der EU.   Foto: Simela Pantzartzi

Ein Grexit wäre nach wie vor gefährlich, warnt Prof. Markus Rudolf. Bis zu 700 Milliarden Euro müssten abgeschrieben werden, sagt der Rektor der WHU – Otto Beisheim School of Management in Vallendar. Deutschland könnte mit rund 150 Milliarden Euro belastet werden. Das Interview im Wortlaut:

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Das griechische Volk hat Sparauflagen abgelehnt, die Geldgeber hatten aber ultimativ verlangt, dass diese eingehalten werden. Gibt es da noch etwas zu verhandeln?
Das Programm mit Hilfen aus dem vorübergehenden Rettungsfonds EFSF ist mit dem Nein definitiv ausgelaufen. Aber die Griechen können jetzt Hilfen beim ständigen Rettungsfonds ESM beantragen – also ein drittes Rettungspaket.

Aber ist es nicht auch da schwer vorstellbar, dass die Geldgeber auf harte Sparauflagen verzichten?
Schwer zu sagen, was vorstellbar ist. Auch die europäischen Partner haben eine ganze Menge zu verlieren. Wenn Griechenland die Euro-Zone verlässt, werden alle Schulden sofort fällig. Nicht nur die 320 Milliarden Euro Staatsschulden, sondern beispielsweise auch die ELA-Kredite, mit denen die EZB die Banken über Wasser hält. Von daher ist der Wille zur Einigung auf europäischer Seite groß. Und Griechenland würde wirklich in eine humanitäre Katastrophe abgleiten. Die Bürger könnten ihre Lebensmittel nicht mehr bezahlen.

Der ESM darf nur einspringen, wenn der Euro als Währung insgesamt bedroht ist. Ist das denn noch so? Zuletzt hieß es, ein Grexit sei keine Gefahr für den Euro.
Die Politiker versuchen, die Gemüter zu beruhigen. Aber von Griechenland geht durchaus eine Gefahr für den Euro aus. Erstens geht es eben um viel Geld. Zweitens begann auch die ursprüngliche Finanzkrise damit, dass ein ganz kleines Land im Norden – Island – gewackelt hat. Ein Land, das nicht mal in der EU oder gar im Euro war. Und trotzdem gab es riesige Ansteckungseffekte. Müssen jetzt die Garantien für Griechenland-Schulden gezogen werden, kann das andere Staaten in Schwierigkeiten bringen. Italien würde hart an den Rand seiner Belastungsgrenzen kommen.

Am Freitag muss Athen kurzfristige Staatsanleihen im Volumen von 2 Milliarden Euro ablösen. Wenn das nicht gelingt – wird das Land dann für zahlungsunfähig erklärt?
Ja, die Ratingagenturen würden Griechenland wohl auf D herabstufen. Das heißt Default, Zahlungsausfall.

Beim IWF ist Athen schon im Verzug. Ist das Ganze eine Art Insolvenzverschleppung?
Dieser Begriff stammt aus dem Privatrecht und bezieht sich nicht auf Staaten. Staaten sind grundsätzlich nie insolvent, es sei denn, sie wollen es sein und erklären sich für insolvent. Denn Staaten verfügen ja über jede Menge Vermögen wie beispielsweise Immobilien, das man prinzipiell flüssig machen könnte. Der IWF kann nun aber den Zahlungsausfall feststellen – möglicherweise schon binnen Wochen -, und das hat harsche Konsequenzen: Griechenland hat dann keinen Zugriff mehr auf IWF-Programme.

Kann ein weiterer Schuldenschnitt helfen?
Ich meine nicht, auch wenn die Griechen das immer sagen. Der Schuldendienst wurde ja schon bis 2023 gestreckt. Und die Regierungen vor Tsipras waren in der Lage, das zu bedienen. Auch Tsipras hätte bei einer Einigung die IWF-Rate aus dem zweiten Hilfspaket bedienen können, da war ja noch Geld übrig. Und ein Default 2023 ist besser als einer im Jahr 2015.

Manche sagen allerdings: Lieber ein Ende mit Schrecken jetzt als ein Schrecken ohne Ende.
Das hängt immer davon ab, wie groß der Schrecken ist. Es geht hier in der Summe um 600, vielleicht 700 Milliarden Euro, wenn man die ELA-Notkredite und die sogenannten Target-2-Salden hinzurechnet, die abgeschrieben werden müssten. Auf Deutschland entfällt davon rund ein Viertel.

Am 20. Juli soll Athen 3,5 Milliarden Euro an die EZB zurückzahlen. Muss die EZB aus der „Rettung“ aussteigen, sollte dieses Geld nicht fließen?
Die ELA-Kredite kann die Zentralbank vergeben, solange bei den griechischen Banken Sicherheiten vorhanden sind. Das können zum Beispiel griechische Staatsanleihen sein. Am Montagabend hat der EZB-Rat aber beschlossen, den Abschlag auf diese Staatsanleihen zu erhöhen. Das heißt, es müssen mehr Anleihen hinterlegt werden als bisher, um einen ELA-Kredit zu bekommen. Es wird also schwieriger für die griechischen Banken. Wenn jetzt der griechische Staat die Schuld bei der EZB nicht zurückzahlt, ist das offensichtlich ein Default – und die griechischen Staatsanleihen sind nichts mehr wert. Also müssen die ELA-Kredite als Geldquelle versiegen. Und dann ist es binnen zwei Tagen aus. Banken müssen gerettet werden, und wir sind dort, wo wir 2008 schon mal waren.

Sind die ELA-Kredite nicht jetzt schon fragwürdig?
Bundesbankpräsident Jens Weidmann findet sie tatsächlich nicht mehr in Ordnung. In den Statuten der EZB steht, dass diese Kredite der kurzfristigen Liquiditätshilfe dienen können, wenn die Solvenz der Bank gesichert ist. Sobald die aber in Zweifel gezogen wird, darf die EZB keine ELA-Kredite mehr vergeben. Und was die Ausstattung mit Eigenkapital angeht, haben zwei der großen griechischen Banken schon beim Stresstest im vergangenen Jahr nicht gut abgeschnitten. Da kann man sich schon fragen, ob sie jetzt nicht noch näher an der Insolvenz sind.

Welche Perspektive für Griechenland sehen Sie denn jenseits der jetzigen Verwerfungen?
Die Griechen müssen wettbewerbsfähiger werden, und da waren sie schon einigermaßen auf dem richtigen Weg. Sie werden dennoch dauerhaft Solidarität brauchen, also unterstützende Zahlungen. Nur zu zahlen, ergibt keinen Sinn, weil sich dann andere Länder auch ein bequemes Leben machen würden. Andererseits werden die Griechen aber auch nie so wettbewerbsfähig wie die Deutschen oder die Finnen.

Wäre es nicht einfacher, ohne den Euro wettbewerbsfähiger zu werden – also mit einer weicheren eigenen Währung?
Die Griechen halten aus zwei Gründen so extrem fest am Euro. Zum einen: Vor der jetzigen Zuspitzung hat Griechenland dank Euro nur etwa 1 Prozentpunkt mehr Zinsen für die Staatsschulden gezahlt als Deutschland. Bei Wiedereinführung der Drachme könnten es 20 Punkte mehr sein. Mit dem Euro sparen die Griechen deshalb jährlich 15 Milliarden Euro Schuldendienst. Der zweite Punkt ist: Die Wirtschaft ist dank Euro zunächst prächtig gewachsen, weil die Gemeinschaftswährung Investitionen gefördert hat. Trotz der vergangenen fünf schlechten Jahre ist die Wirtschaftsleistung immer noch höher als 2002.

Das Gespräch führte Jörg Hilpert