Stress: Das quälend lange Warten auf die Operation

Kein Einzelfall: Stundenlanges Warten auf den OP-Beginn
Kein Einzelfall: Stundenlanges Warten auf den OP-Beginn Foto: picture alliance

Im Verkauf, im Hotel oder in der Reisebranche gehört der Umgang mit wartenden Kunden zu den Basisqualifikationen.

Lesezeit: 3 Minuten
Anzeige

Ein Gastbeitrag von German Quernheim

In den Lehrplänen für Pflegekräfte und Ärzte dagegen fehlen solche Inhalte. Eine aktuelle Studie der Pflegewissenschaft untersuchte dieses brisante Thema: Was genau erleben Patienten eigentlich, wenn sie stunden- oder tagelang auf den geplanten OP-Eingriff warten? Welche Bedürfnisse haben sie dabei? Und was wünschen sie sich konkret von den Mitarbeitern der Klinik?

Viele Menschen, die auf eine Operation warten, befinden sich in einer besonders stressreichen Situation. Insbesondere die lange Wartezeit ohne Essen oder Trinken wird als äußerst belastend erlebt. Die Patienten dieser Studie erhielten dabei die letzte Mahlzeit am Nachmittag des Vortages vor der geplanten OP. Nicht einer der Patienten wurde vorab über den tatsächlich geplanten OP-Zeitpunkt informiert.

Alle Patienten gingen von der verständlichen Annahme aus, am Vormittag, spätestens jedoch bis zum frühen Nachmittag operiert zu werden. Dass in großen Kliniken der OP im Zweischichtsystem – und das heißt von 7 bis 23 Uhr – betrieben wird, war keinem der Patienten bekannt. Diese fehlende Information hatte zur Folge, dass einige Patienten sich ab dem Nachmittag sorgten und hofften, auf den nächsten Tag verschoben zu werden. Sie nahmen irrtümlich an, dass Arzt und OP-Team seit den Morgenstunden am Tisch stehen und ab dem Nachmittag erschöpft seien.

Eine Patientin berichtete von ihrer geplanten Hüft-OP, die insgesamt viermal verschoben wurde. Informationen zur Verschiebung erhielt sie erst auf Nachfrage am späten Abend. Die Ärzte versprachen ihr zwar, dass die OP am Folgetag stattfände, hielten sich aber nicht an dieses Versprechen. Erst fünf Tage später um 22.30 Uhr begann für diese Patientin der Weg in den OP.

Seit den späten 1980er-Jahren empfehlen die Anästhesie-Fachgesellschaften, dass Patienten bei den meisten Operationen bis zu zwei Stunden vorher trinken und bis zu sechs Stunden vorher sogar essen dürfen, damit sich nicht zu viel Magensaft im nüchternen Magen sammelt. Gravierender noch sind dabei die Auswirkungen unzureichender Versorgung mit Nährstoffen und Flüssigkeit.

Dadurch kann es zu Wundheilungsstörungen und anderen Komplikationen kommen. Ein Koblenzer Fachanwalt rechnet dabei mit Schadensersatzforderungen von 500 Euro für jeden Tag, an dem ein Patient nüchtern (ohne Essen und Trinken) auf seinen Eingriff warten muss.

Experten fordern, dass Kliniken ihr OP-Management endlich professionalisieren sollten. Dabei erhalten beispielsweise alle Patienten, die nach 14 Uhr operiert werden, morgens Frühstück und bis zum Mittag auch ein ausreichendes Trinkangebot.

Die jetzt veröffentlichte Studie der Pflegeforschung identifiziert beim Warten auf die OP verschiedene Wartetypen. Kommt es zu einer OP-Verzögerung, kann mit diesem Wissen zukünftig vonseiten der Klinikmitarbeiter entsprechend reagiert werden. Privatpatienten zum Beispiel erleben die OP-Verzögerung besonders negativ: Wie durch mehrere Studien bekannt, erhalten sie bei Haus- und Fachärzten deutlich schneller einen Termin. Kommt es nun in der Klinik zur Verzögerung ihrer geplanten Operation, fehlt Privatpatienten oft das Verständnis. Umgedreht glauben nicht alle gesetzlich versicherten Patienten der Klinikinformation, dass ihre OP aufgrund eines akuten Notfalls oder Unfalls verschoben werden muss.

Stattdessen gehen einige davon aus, dass in ihrem Fall Privatpatienten vorgezogen wurden. Das Vertrauen zwischen Patient und den Klinikmitarbeitern ist entscheidend und lässt sich vonseiten der Klinik durch einfache Grundregeln positiv beeinflussen.

Aus dem Kontext der Universität Witten/Herdecke heraus hat ein interdisziplinäres Spezialistenteam aus Pflegewissenschaftlern, Ärzten, Prozessberatern und IT-Experten Antworten auf diese komplexen Fragestellungen rund um den OP entwickelt. Entgegen der landläufigen Meinung: „Aufgrund von akuten Unfällen und klinikinternen Notfällen lassen sich Operationen prinzipiell nur schlecht planen“ vertreten die Experten die nachfolgenden Thesen:

1 Eine transparente Prozesssteuerung ermöglicht es, OP-Wartezeiten drastisch zu reduzieren und damit die Häufigkeit von Komplikationen zu senken.

2 Der Einsatz interaktiver mobiler Angebote – zum Beispiel einer Smartphone-App mit Anzeige der verbleibenden Zeit bis zur OP, Entspannungsübungen und so weiter – verhindert das häufige Grübeln und die negativen Gedanken vor der Operation, unter denen viele Patienten leiden.

3 Durch vertrauensbildende Maßnahmen werden längere OP-Laufzeiten toleriert, und es kommt zu deutlich besseren Empfehlungen der Patienten zum Beispiel in Internetportalen wie www.klinikbewertungen.de sowie zu positiveren Rückmeldungen im Bekanntenkreis des Patienten und beim zuweisenden Hausarzt.