Schock für britische Euroskeptiker: Königreich profitiert von der EU-Mitgliedschaft

Die Briten sind leidenschaftliche Euroskeptiker - aber wegen der Untersuchung der Regierung müssen sie diese Meinung vielleicht revidieren.
Die Briten sind leidenschaftliche Euroskeptiker - aber wegen der Untersuchung der Regierung müssen sie diese Meinung vielleicht revidieren. Foto: dpa

Jeder weiß es: Großbritannien ist anders als andere europäische Staaten. Und von der EU hat das große, unabhängige Land nur Probleme zu erwarten. Eine neue Untersuchung sagt genau das Gegenteil – und versezt die britischen Euroskeptiker in Schockstarre.

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Von unserem Korrespondenten Alexei Makartsev

London – Jedes britische Kind kennt diese Binsenweisheiten: Man fährt im Königreich auf der linken Seite. Großbritannien ist ein Inselstaat. Und „Europa“ ist nicht hier, sondern drüben auf dem Kontinent, von dem das große, unabhängige Britannien nichts als Ärger und Probleme zu erwarten hat.

Zumindest diese dritte These muss nun in Kinderstuben wie Parlamentshallen revidiert werden. Laut einer neuen Untersuchung der Regierung von David Cameron nützt die EU-Mitgliedschaft dem mehrheitlich euroskeptischen Land in Wahrheit viel mehr, als dass sie ihm schadet. Die Veröffentlichung der ersten sechs von 32 geplanten Teilen der offiziellen Studie in dieser Woche war ein Schock für manche erzkonservativen Isolationisten auf den rechten Flügel der Tories, die auf ganz andere Ergebnisse gehofft haben.

Die Regierungssprecher nennen sie die „umfassendste britische EU-Bilanz aller Zeiten“. Die Analyse der Vor- und Nachteile der britischen Zugehörigkeit zum gemeinsamen europäischen Projekt geht auf die Koalitionsvereinbarung zwischen den Liberaldemokraten und den Konservativen nach der Wahl im Mai 2010 zurück. Allerdings lag das politisch brisante Mammutprojekt zunächst 2,5 Jahre auf Eis – bis die internen Tory-Querelen den Premier genötigt haben, einen deutlich aggressiveren Europa-Kurs einzuschlagen.

Cameron ist für den Verbleib seines Landes in der EU. Getrieben von den wachsenden Umfragewerten der europafeindlichen United Kingdom Independence Party (UKIP), stellte der Tory-Chef im Januar dennoch widerwillig seinen Landsleuten ein EU-Referendum für 2017 in Aussicht. Der historischen Volksabstimmung über die britische Zukunft auf dem Kontinent werden komplizierte Verhandlungen zwischen London und Brüssel über Kompetenzen und Ausnahmeregelungen vorangehen, die kurz vor der Wahl 2015 beginnen sollen. Die detaillierte EU-Untersuchung hatte den Zweck, die Downing Street mit frischen Fakten und Argumenten für den scheinbar unausweichlichen Europastreit jenseits des Ärmelkanals zu rüsten. Die Zwischenbilanz der Studie legt nun eine überraschende Konsequenz nahe: Es gibt gar keinen zwingenden Grund für große Neuverhandlungen, weil die Briten durch die EU kaum benachteiligt werden.

Eine Arbeitsgruppe des Londoner Außenministeriums unter William Hague trug in den vergangenen acht Monaten die Urteile von 500 führenden Unternehmen, Organisationen und Experten zu sechs wichtigen Einflussbereichen der EU auf der Insel: Wirtschaft, Entwicklungshilfe, Gesundheits- und Steuerpolitik, Außenpolitik und Lebensmittelsicherheit. Die Mehrheit der Befragten kam zum Schluss, dass die britischen Nationalinteressen in keinem dieser Gebiete durch das angebliche Diktat der „Eurokraten“ in Brüssel leiden würden.

Vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht würde das Vereinigte Königreich sehr viel verlieren, sollte es den Anschluss an den europäischen Markt mit 500 Millionen Verbrauchern verlieren, heißt es im Dokument. Zwar enthält es auch Kritik der EU-Bürokratie und –Regulierungswut. Doch die europafreundliche Aussage war für Cameron so offensichtlich, dass der Premier die Veröffentlichung der ersten Funde bis in die Parlamentsferien hinausschieben ließ.

So war die Studie, wie geplant, vollkommen im royalen Babytrubel der vergangenen Tage untergegangen. Lediglich einzelne Europakritiker des Premiers meldeten sich zu Wort. So nannte der konservative Abgeordnete Peter Bone die Analyse seines Außenministers einen „Whitehall whitewash“ (zu Deutsch: Schönfärberei). Der UKIP-Chef Nigel Farage tat sie als einen „überflüssigen und zynischen PR-Trick der Koalition“ ab. Die Briten bleiben weiter gespalten in der Europafrage. Laut einer Umfrage im Mai wollen 44 Prozent die EU verlassen, 34 Prozent wollen bleiben und 21 Prozent sind unentschlossen oder uninteressiert.