Rückblick auf einen Weltmann mit Weitblick: Churchill war ein Gigant der britischen Geschichte

Sir Winston Churchill verkörperte das British Empire. Foto:  dpa
Sir Winston Churchill verkörperte das British Empire. Foto: dpa

Es muss ein bitterkalter, windiger Januartag gewesen sein, als der letzte Vertreter seiner Generation zu Grabe getragen wurde – und mit ihm einer der Größten der englischen Geschichte. Tausende hatten seit den frühen Morgenstunden gewartet, um ihm die letzte Ehre zu erweisen. Hunderttausende waren es, als der Sarkophag von Matrosen der königlichen Marineinfanterie hinunter zur Themse getragen wurde. Von dort ging es flussaufwärts und weiter ins Land hinaus, wo der Verstorbene seine letzte Ruhestätte fand.

Lesezeit: 4 Minuten
Anzeige

Winston Churchill verbreitet im Kriegsjahr 1943 vor Downing Street No 10 in London lächelnd mit dem für ihn typischen V- Zeichen Optimismus

dpa

Der frühere britische Premierminister Sir Winston Churchill feiert am 12. September 1958 mit seiner Frau Clementine in Cap- d'Ail an der französischen Riviera Goldene Hochzeit.

dpa

Der britische Premierminister Winston Churchill beobachtet im Kriegsjahr 1944 in Italien aus einer befestigten Anlage heraus die Feindbewegungen.

dpa

Der ehemalige britische Premierminister Sir Winston Chruchill (2. v.l. ) und seine Frau Clementine am 11. Mai 1956 in der Villa Hammerschmidt in Bonn mit Bundespräsident Theodor Heuss.

dpa

Eine von Churchill angerauchte Zigarre. Er rauchte täglich bis zu zehn Stück davon. Sie wurde lange Zeit von den Firmen Alfred Dunhill (London) in Kooperation mit Romeo y Julieta (Havanna/Kuba) mit personalisierter Bauchbinde produziert. Heute noch ist das bauchige und lange Format nach ihm benannt.

dpa

Randolph Churchill, Urenkel des früheren Premierministers.

dpa

Winston Churchills Gemälde „'The Tower of the Katoubia Mosque“ wird in der Ausstellung „The Art of Diplomacy – Winston Churchill and the Pursuit of Painting“ im Millennium Gate Museum in Atlanta, Georgia, gezeigt. Das Werk gehört den Schauspielern Angelina Jolie und Brad Pitt. Es ist vermutlich das einzige während der Kriegszeit fertiggestellte Gemälde des Premierministers.

dpa

„The Battle of Britain“ heißt diese Lokomotive, die 1965 den Zug mit dem Sarg Churchills zog. Sie wurde inneunmonatiger Arbeit aufwändig restauriert.

dpa

„The Battle of Britain“

dpa

Ein Magnetron-Radar von 1940. In dieser Zeit und auch noch viele Jahre danach danach waren britische Elektroniker weltweit führend.

dpa

Sir Winston Churchill verkörperte das British Empire.

dpa

Jacob Epstein Büste von Sir Winston Churchill

dpa

Von Michael Krekel

Vor 50 Jahren vollendete sich das Leben Sir Winston Churchills, eines Giganten, der wie kaum ein anderer Idee und Größe, Triumph und Niedergang des British Empire verkörpert hatte. Am 24. Januar, auf den Tag genau 70 Jahre nach dem Tod seines Vaters, war er im Alter von 91 Jahren verstorben. Sein Leichnam wurde drei Tage lang in der Westminster Hall aufgebahrt, anschließend fand ein Staatsakt in der St. Paul's Cathedral statt.

Es war das erste große Staatsbegräbnis in der jüngeren britischen Geschichte, mit einer gewaltigen Gedenkfeier, wie sie ansonsten nur Mitgliedern der Königsfamilie vorbehalten bleibt. Dabei lag Churchills bedeutendste staatsmännische Leistung bereits ein Vierteljahrhundert zurück. Sie bestand darin, in den kritischen Monaten von Mai bis Oktober 1940, im Augenblick der größten Gefahr, als das Schicksal Englands – und Europas – auf der Kippe stand, nicht vor den Deutschen kapituliert zu haben.

In der Krise hielt er sein Land zusammen

Nach dem Scheitern der Norwegen-Expedition ins Amt gekommen, wird aus dem beharrlichen Mahner ein leidenschaftlicher Kämpfer für die Sache Englands. Mit seiner „Blut-Schweiß-und-Tränen-Rede“ schwört er sein Volk auf die Verteidigung des Vaterlandes ein. Er formt ein Kabinett der nationalen Konzentration, monopolisiert die Grundlinien wie auch die operative Taktik der Kriegsdiplomatie, entwickelt eine bisher nie gekannte, mitreißende Energie, die die Grenzen des Möglichen streift, und setzt so das Land materiell und seelisch in die Lage, dass es sich behaupten und letztlich triumphieren kann.

Stunde des Triumphs war auch der Anfang des Niedergangs

Ironie der Geschichte: Die Luftschlacht um England, die „Operation Seelöwe“, wie das NS-Regime den Eroberungsfeldzug nannte, markiert zugleich Triumph und Tragödie, Apotheose und Niedergang des britischen Weltreichs. Gerade, als die Mission, Churchills Mission, erfolgreich beendet ist, zeigt sich: Die stolze Britannia, die zu Beginn des Jahrhunderts noch auf dem Scheitelpunkt ihrer Macht stand, geht zwar aus dem Überlebenskampf siegreich hervor, ist aber längst nicht mehr das Empire, das die Meere beherrscht und dessen Ruhm und Glanz sich über weite Teile des Globus erstreckt. Bereits 1943 zeichnet es sich ab, und 1945 wird es zur Gewissheit, dass Amerika – mit der östlichen Großmacht der Sowjetunion – die neue Weltmacht sein wird, während der Bankrott Großbritanniens nur durch amerikanische Kredite verhindert werden kann.

Und noch etwas wird 1945 zur Gewissheit: Churchills Strategie, Stalin und seine Truppen aus dem Zentrum Europas herauszuhalten, war gescheitert. Sein alles überragendes strategisches Ziel war es, nicht nur Hitler zu vernichten, sondern mit einem Zug auch Stalin auszuschalten und Roosevelt quasi einzuspannen – so fest einzuspannen, dass sich Amerika nie mehr von England trennen konnte. Um Russland von Europa abzuriegeln, hätte es eines Vorstoßes vom Süden Europas bedurft, nicht von der Basis England, sondern von der Basis Nordafrika, nicht über den Englischen Kanal, sondern über das Mittelmeer, nicht mit Stoßrichtung Paris-Köln-Ruhr, sondern mit Stoßrichtung Triest-Wien-Prag, dann weiter über Berlin nach Warschau. Wäre dies gelungen, würden am Ende des Krieges die Vereinigten Armeen Englands und Amerikas allein in Europa stehen und Russland ferngehalten haben.

USA teilten Churchills strategische Ziele nicht

Doch ein so erzwungener, vollständiger Sieg des angloamerikanischen Bündnisses, die Herrschaft über Zentraleuropa unter Ausschluss der Sowjetunion, konnte nicht gelingen: Weder Stalin, der schon 1943 auf die Errichtung einer zweiten Front im Westen gedrängt hatte, noch US-Präsident Roosevelt hatten ein Interesse daran, Churchills Südstrategie und die damit verbundenen Fernziele zu unterstützen. Am Ende, nach der Westinvasion der Alliierten, begegneten sich West und Ost in der Mitte Europas – mit den bekannten Folgen einer über 40-jährigen Teilung des Kontinents.

Man hat es als Merkmal besonders guter Intuition gesehen, dass Churchill die bösartige Gewaltbereitschaft Hitlers frühzeitig begriffen hat. Manche Zeitgenossen hierzulande haben in Churchill einen Deutschen-Hasser gesehen. Aber das trifft in seiner Verallgemeinerung keineswegs zu. Er war vielmehr ein widerspenstiger, unabhängiger Geist – ein Querkopf, der sich mit allen Parlamentsfraktionen überworfen hatte und aus nicht wenigen Ministerämtern glanzlos ausgeschieden war. Nach Ansicht eines Großteils des britischen Establishments hatte er vor allem in den 30er-Jahren durch manche unbedachte Äußerung seinen politischen Ruf heruntergewirtschaftet – und so sich selbst in die politische Wüste hineinmanövriert.

„Ohne Churchill hätte Hitler triumphiert“

1940 verknüpft sich das Kriegsschicksal mit dem Namen der beiden Protagonisten, die sich fortan einen erbitterten Kampf auf Leben und Tod liefern. Ironie der Geschichte: Es war Hitler, der Churchill wieder auf die politische Bühne gebracht hatte, und es war Churchill, der Hitler erstmals Einhalt gebot – und damit seinen Siegeszug stoppte.

Der deutsch-britische Publizist Sebastian Haffner, der viel beachtete biografische Studien zu beiden verfasste, hat diese Schicksalsbindung apodiktisch auf den Punkt gebracht: „Ohne Churchill hätte Hitler triumphiert, und ohne Hitler wäre Churchill als ein brillanter Versager verstorben.“

Dr. Michael Krekel lebt in Montabaur und ist in Salz im Westerwald geboren. Dr. Krekel studierte Anglistik, Geschichte und Politikwissenschaft an der Justus-Liebig-Universität in Gießen, an der Ohio State University (Columbus/Ohio) und schließlich an der Columbia University in New York.