Rostock

Politik trifft Wirklichkeit: Weinendes Flüchtlingskind bringt Merkel in Verlegenheit

Merkel streichelt Reem und versucht, das aus dem Libanon stammende Mädchen zu trösten. Foto: Screenshot
Merkel streichelt Reem und versucht, das aus dem Libanon stammende Mädchen zu trösten. Foto: Screenshot

Politik trifft auf weinende Lebenswirklichkeit: Ein Flüchtlingsmädchen, das nicht weiß, ob es in Deutschland bleiben kann, hat Bundeskanzlerin Angela Merkel aus dem Konzept gebracht. Nach einem Versuch, die weinende Schülerin zu trösten, wird Merkel jetzt im Netz als die „Kanzlerin der Streicheleinheit“ kritisiert.

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Ein palästinensisches Mädchen löst einen der emotionalsten Momente in der Kanzlerschaft von Angela Merkel aus. „Ich habe Ziele wie jeder andere, ich möchte studieren“, sagt die Sechstklässlerin Reem Sahwil zur Bundeskanzlerin. Seit vier Jahren lebt sie in Deutschland, spricht fast perfekt deutsch, ist Klassensprecherin der 6B1 – und weiß immer noch nicht, ob sie in Deutschland bleiben darf. „Vorläufiges Bleiberecht“, sie könnte abgeschoben werden, bis vor kurzem stand das im Raum. Sie muss „zusehen, wie andere wirklich das Leben genießen können und man es selber halt nicht mitgenießen kann.“

Das sympathische Mädchen konfrontiert die Kanzlerin mit einem Einzelschicksal hinter den Zahlen. „Politik ist manchmal auch hart“, sagt sie, gerät ins Stottern und erklärt, dass sie doch ans große Ganze denken muss, an die Tausenden Menschen, die noch in den Flüchtlingslagern im Libanon sind, die man nicht alle aus Afrika nach Deutschland kommen lassen könne. Und Reem komme aus dem Libanon, wo es Menschen zwar schlecht gehe, das aber kein Bürgerkriegsland sei. Es gebe Menschen, die in noch größerer Not seien und die dringender Hilfe benötigten.

Und der Fall von Reem, eine von 29 Schülerinnen und Schülern, die bei der Veranstaltung „Gut Leben in Deutschland“ an einer Rostocker Schule mit der Kanzlerin diskutieren können? Merkel kommt wieder auf sie zu sprechen: „Die einzige Antwort, die wir sagen ist: bloß nicht so lange, dass es so lange dauert, bis Sachen entschieden sind. Aber es werden auch manche wieder zurückgehen müssen.“

Merkel hatte bereits zuvor eingeräumt, wie unbefriedigend es ist, dass Entscheidungen so lange auf sich warten lassen, dass es ein beschleunigtes Verfahren geben muss. „Es muss soll sich ändern, dass ein Mädchen wie Du erst vier Jahre hier ist und dann entscheidet man.“ Und sie schiebt wieder nach: „Bloß nicht so lange“.

Der Moderator rät ihr, sich künftig beim Thema beschleunigte Asylverfahren das Gesicht von Reem vor Augen zu führen. Sie spricht dann über den zeitlichen Horizont, von der „wilden Entschlossenheit“, das beschleunigte Verfahren bald einzuführen, als sie abbricht: Reem weint, Merkel geht zu ihr.

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Das komplette Gespräch von Reem mit der Kanzlerin:

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„Du hast das doch toll gemacht“, sagt sie, der Moderator erwidert, dass es nichts ums „Prima machen“ gehe. Die stets kontrollierte und beherrschte Kanzlerin wirkt in der Situation unbeholfen, als sie das Mädchen streichelt. Gefühle sind nicht ihre Stärke, und auch das Bundespresseamt wirkt überfordert. „Aus Aufregung“ habe Reem geweint, heißt es in einem Text, der dann nach ersten Reaktionen geändert wird.

Bissig und schnell wird im Netz ein Ablaufplan gefälscht und verbreitet, Streicheln als Verwaltungsakt:

#Merkelstreichelt ist da schon zum meistgenutzten Hashtag auf Twitter geworden. Gefühllosigkeit wird ihr vielfach unterstellt – es gibt aber auch Verständnis für die Kanzlerin in der schwierigen Situation.

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Ein Regierungssprecher wies inzwischen darauf hin, dass die Bundesregierung schon im Dezember 2014 ein neues Gesetz auf den Weg gebracht habe, damit Menschen, die bisher einen unsicheren Aufenthaltsstatus hatten und die sich erfolgreich integriert haben, ein Bleiberecht für ein Leben in Deutschland erhalten. «Gerade für gut integrierte Jugendliche und Heranwachsende bedeutet dies: Schon bei vier Jahren erfolgreichen Schulbesuchs in Deutschland bestehen künftig gute Aussichten auf ein Bleiberecht.»

Die umfassende Reform des Aufenthaltsgesetzes hatte am Freitag den Bundesrat passiert. Das Gesetz muss noch vom Bundespräsidenten unterschrieben werden, um in Kraft zu treten. Nach Schätzungen der Bundesregierung könnten mehrere Zehntausend Menschen von der neuen Regelung profitieren.

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Komplette Aufzeichnung der Diskussion in Mediathek der Regierung