Moskau

Mehr als nur ein Mord an einem Politiker

Von vier Kugeln niedergestreckt: Der Mord an dem Oppositionellen Boris Nemzow schockt das Land.  Foto: dpa
Von vier Kugeln niedergestreckt: Der Mord an dem Oppositionellen Boris Nemzow schockt das Land. Foto: dpa

„Helden sterben nicht“ stand auf dem Spruchband an der Spitze des Trauermarsches für den ermordeten russischen Oppositionellen Boris Nemzow. Die Moskauer Stadtverwaltung hatte in letzter Minute doch noch die Innenstadt für eine Gedenkveranstaltung freigegeben. 50 000 Teilnehmer waren zugelassen. Insgesamt dürften es aber noch mehr Trauernde gewesen sein, die sich auf dem Slawischen Platz im Zentrum versammelten.

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Aus Moskau berichtet unser Korrespondent Klaus-Helge Donath

„Diese Kugeln sind für jeden von uns“, war eine andere Losung. Der 55-jährige Boris Nemzow war auf offener Straße hinterrücks erschossen worden. Mit vier Kugeln wurde der Ex-Vizepremier niedergestreckt. Der Attentäter soll sich in einem weißen Wagen genähert und diesen kurz verlassen haben. Sechs Patronenhülsen fand die Polizei am Tatort. Der Täter schoss dem Politiker von hinten in Kopf, Herz und Lunge. Die Ermittler gingen anfangs davon aus, dass es sich bei dem Mörder um einen Auftragskiller handelte. Seither schweigen die Behörden. Widersprüchliche Informationen zum Tatfahrzeug lassen befürchten, dass wie in ähnlichen Fällen in der Vergangenheit schon nicht mehr mit offenen Karten gespielt wird.

Der charismatische Oppositionelle war in Begleitung seiner ukrainischen Freundin Anna Durizkaja, die unversehrt blieb und als Zeugin aussagen konnte. Sie sitzt seither in Moskau fest und soll sich mit der Bitte an das ukrainische Konsulat gewandt haben, bei der Rückreise nach Kiew behilflich zu sein. Kurz vor Mitternacht hatten beide ein Restaurant in Kremlnähe verlassen und waren zu Fuß über den Roten Platz gegangen. Neue Details waren lediglich einer unscharfen Videoaufzeichnung vom Tatort zu entnehmen, die ein lokaler TV-Sender zeigte. Demnach gab es mehrere Tatzeugen.

Die breite Anteilnahme überraschte viele. Sie konnte aber nicht über die bedrückende Atmosphäre hinwegtäuschen. Es schien, als wäre in Moskau noch mehr als ein bekannter Politiker getötet worden. Eine 80-jährige Frau wurde mit einer Krücke an den Schleusen nicht durchgelassen. Sie könne nicht mehr atmen in diesem Land, sagte sie mit tränenerstickter Stimme. Ein älterer Mann meinte: „Ich bin gekommen, weil die Machthaber uns den Fehdehandschuh hingeworfen haben.“ Neben ihm stand eine jüngere Frau mit einer Pappe und der Aufschrift „Propaganda tötet“. An Hunderten russischer Trikoloren hingen Trauerflore, während über der Menge ein Hubschrauber Kreise zog.

Die Ermittlungsbehörde setzte auch eine Belohnung von 3 Millionen Rubel (40 000 Euro) für Hinweise aus, die zur Festnahme des Mörders führen. Viele fragen sich: Wie konnte in unmittelbarer Nachbarschaft des Kremls ein Attentat geschehen? Dort, wo protestierende Bürger sofort festgenommen und jeder einzelne mehrfach überwacht wird? Dass der Täter tatsächlich dingfest gemacht werden könnte, glauben unterdessen aber nur wenige.