Teheran

Claus Ambrosius zu den andauernden Protesten im Iran: Geschichte wird gemacht

Von Claus Ambrosius

Vergleicht man offizielle Medienberichte im Iran mit dem, was die islamische Republik auf inoffiziellem Wege verlässt, erlebt man komplett verschiedene Welten. Die Staatsmedien behandeln die mehr als fünf Wochen andauernden Proteste für Menschenrechte und gegen das Regime als vom Ausland gesteuerte Terroraktionen. Die landesweite Bewegung selbst hingegen sieht sich längst schon als Revolution 2.0. Was stimmt?

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Zumindest: Dieser Protest ist einer der konsequentesten seit Einsetzung der islamischen Republik 1979 und ernst zu nehmen.

Ist das schon der große Knall, den viele herbeisehnen und viele nicht zuletzt aus Selbsterhaltungstrieb fürchten? Das weiß noch keiner. Klar ist aber: Die Welt ist aufgewacht, was vor allem der internetaffinen protestierenden Jugend des Iran zuzuschreiben ist. 2008 und zuletzt 2019 konnte unter Abschottung des Landes jeder Protest brutal niedergebracht werden. Tausende wurden getötet, was im Nachgang außerhalb Irans kaum noch jemand interessierte. Das ist jetzt anders: Die Welt sieht live zu und reagiert – etwa mit internationalen Protesten am Wochenende.

Geschichte wird gemacht, vor unser aller Augen – und was wir sehen, wird nirgends Verständnis für die Regierung hervorrufen. Die unfassbar zügellose Gewalt von Milizen in Uniform oder in Zivil, denen weder Kinder noch Alte heilig sind und die zur Strafe für eine Parole oder ein Hupen zur Unterstützung des Protests bereit sind, ein Leben auslöschen: Solche Bilder lassen die Hoffnung auf einen friedlichen Reformprozess schwinden.

Ob uns das bald noch interessieren wird? Ukraine-Krieg, Angst vor der Atommacht Russland und vor den möglichen Unannehmlichkeiten eines kalten Winters bestimmen den Diskurs hierzulande womöglich dauerhafter. Aber dürfen wir bald wieder wegschauen, wenn weiter Kinder und Jugendliche getötet werden, um anschließend zu Suizidfällen erklärt zu werden? Zum ersten Mal seit Jahrzehnten gibt es nicht nur im Iran, sondern auch in der Millionen zählenden Exil-Iraner-Community zart aufkeimende Einheit, und Deutschland und die EU haben gezeigt, dass sie bereit sind, mit punktgenau wirkenden Sanktionen einen Standpunkt zu beziehen. Der Rest ist Hoffnung.

E-Mail: claus.ambrosius@rhein-zeitung.net