Ökostrom-Rabatte: EU will höhere Hürden

Ökostrom-Rabatte: EU will höhere Hürden. Foto: dpa
Ökostrom-Rabatte: EU will höhere Hürden. Foto: dpa

Europas oberster Wettbewerbshüter Joaquín Almunia stellt die milliardenschweren Vergünstigungen für die deutsche Industrie bei der Ökostromumlage infrage. Er hat ein vertieftes Prüfverfahren wegen unerlaubter staatlicher Beihilfen eingeleitet. Auf stromintensive Betriebe könnten schlimmstenfalls Millionennachzahlungen zukommen.

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Die Industrie läuft Sturm, warnt vor dem Verlust Tausender Jobs. Unsere Brüsseler Korrespondentin Anja Ingenrieth beantwortet die wichtigsten Fragen.

Was kritisiert Almunia?

Der Kommissar hat „begründete Zweifel“ daran, dass die Rabatte mit EU-Recht vereinbar sind. Der Grund: Firmen, denen Begünstigungen oder Befreiungen von der EEG-Umlage gewährt werden, haben niedrigere Energie- und damit Betriebskosten als ihre Konkurrenten ohne Nachlass. Dies könne den Wettbewerb im Binnenmarkt verzerren, meint die EU. Deshalb prüft sie nun, ob die Ausnahmen „gerechtfertigt und verhältnismäßig sind“ und den Wettbewerb nicht in „ungebührender Weise“ verfälschen.

Was ist, wenn die Kommission zu einem Ja kommt?

Dann kann sie von den Unternehmen die erhaltenen Vorteile zurückfordern – gerechnet wird mit einem Zeitraum von bis zu drei Jahren. Ob Brüssel dies tut, ist aber noch offen. Der neue Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel gibt sich optimistisch: „Es wird keine Nachzahlungen geben nach meiner festen Überzeugung.“ Bundeskanzlerin Angela Merkel mahnte Almunia in ihrer ersten Regierungserklärung nach der Vereidigung zur Zurückhaltung: Eine Schwächung der deutschen Industrie und Arbeitsplatzverluste werde die neue Bundesregierung nicht hinnehmen.

Welche Folgen hätten Nachzahlungen?

Die Industrie warnt vor Pleiten, Abwanderung und Jobverlust. „Der Ausgang des Prüfverfahrens hat erheblichen Einfluss auf die Zukunft des Industriestandorts Deutschland“, sagt Ulrich Grillo, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI). „Ein Wegfall der Entlastungen für energieintensive Unternehmen wäre für viele Unternehmen und Tausende Arbeitsplätze das sofortige Aus.“

Um wie viel Geld geht es denn?

Pro Jahr summieren sich die Rabatte für die gesamte deutsche Wirtschaft auf etwa 4 bis 5 Milliarden Euro. Im Erneuerbare-Energien-Gesetz werden für jede Kilowattstunde Strom aus Solar-, Wind- und Biomasseanlagen auf 20 Jahre garantierte Vergütungen festgelegt. Die Differenz zwischen dem am Markt für den Strom erzielten Preis und der festen Vergütung bildet die EEG-(Ökostrom)-Umlage. Auch weil über die Umlage umfassende Indus- trierabatte zu zahlen sind, treibt dies die Strompreise in die Höhe. 2014 wird der Umlagebetrag auf 23,5 Milliarden Euro steigen – je Kilowattstunde werden 6,24 Cent für Haushalte und kleine Unternehmen fällig. Unternehmen mit einem besonders hohen Verbrauch zahlen weit weniger. Die Mindestumlage beträgt 0,05 Cent je Kilowattstunde. Weniger Ausnahmen für energieintensive Konzerne bedeutet im Umkehrschluss also, dass die Verbraucher und alle anderen Unternehmen weniger zahlen müssen.

Darf es künftig gar keine Indus-trierabatte mehr geben?

Doch. Allerdings in deutlich weniger Fällen als bisher. Almunia hält sie nur für solche Betriebe für gerechtfertigt, die im internationalen Wettbewerb stehen und bei denen durch die zusätzlichen Belastungen die Gefahr einer Abwanderung aus der EU besteht – in Länder mit niedrigeren Klimaschutzstandards. „Die energieintensiven Unternehmen, die wirklich im internationalen Wettbewerb stehen, werden weiterhin Ausnahmen bekommen“, beruhigte Energiekommissar Günther Oettinger gestern.

Was beanstandet Almunia noch?

Das Grünstromprivileg. Die Teilbefreiung von der EEG-Umlage wird gewährt, wenn die von einem Lieferanten gelieferte Strommenge zu mindestens 50 Prozent aus inländischen Kraftwerken stammt, die erneuerbare Energie nutzen und seit höchstens 20 Jahren in Betrieb sind. „Dies scheint eine Diskriminierung zwischen inländischem und importiertem erneuerbaren Strom aus vergleichbaren Anlagen zu bewirken“, stellt die Kommission fest.

Was bedeutet das EU-Verfahren für die EEG-Reform?

Die Große Koalition wird in der bis Ostern geplanten EEG-Reform wohl weiter gehen müssen als geplant. „Wir werden uns die EEG-Reform in Bezug auf ihre Vereinbarkeit mit unseren neuen Beihilfeleitlinien ansehen“, kündigte Almunia an. Diese legen fest, unter welchen Bedingungen Brüssel eine staatliche Förderung des Ökostromausbaus für mit dem EU-Recht vereinbar hält. Ein Entwurf liegt vor und geht nun in die öffentliche Konsultation. Die Leitlinien sollen im Juli 2014 in Kraft treten. Sie haben es nach jetzigem Stand in sich. Denn de facto wäre eine Einspeisevergütung – wie die im EEG – nach einer Übergangsphase vom Tisch. An deren Stelle will Almunia generell Marktprämien setzen, also einen Aufschlag auf den Börsenpreis. Dessen Höhe soll aber per Auktion und nicht, wie von SPD und Union geplant, vom Staat festgelegt werden. Das gilt zumindest für ausgereifte Technologien. „Die neue Bundesregierung muss beim EEG, über das, was im Koalitionsvertrag, steht hinaus nachbessern – vor allem bei der Art und Höhe der Förderung“, sagt Herbert Reul, Chef der CDU/CSU-Abgeordneten im Europaparlament.

Wie geht es nun weiter?

Deutschland hat einen Monat Zeit, der Kommission zu antworten. So muss die Bundesregierung begründen, warum sie die Indus- trieausnahmen für angemessen hält. Die Kommission lässt dafür in ihrer Entscheidung ein Hintertürchen offen. Brüssel stellt fest, dass Teilbefreiungen von der Umlage zur Finanzierung erneuerbaren Stroms für stromintensive Nutzer „unter bestimmten Voraussetzungen gerechtfertigt sein könnten, um eine Verlagerung von CO2-Emissionen zu vermeiden“.

Bis wann muss eine EU-Entscheidung fallen?

Die Kommission muss keine feste Frist einhalten. Angeblich hat sie der Bundesregierung aber in Aussicht gestellt, bis Sommer 2014 zu entscheiden, damit die Unternehmen schnell Klarheit haben. Sollten die Brüsseler Wettbewerbshüter den Daumen senken, dann dürfen die Vergünstigungen für stromintensive Betriebe nicht weiter gewährt und können rückwirkend zurückgefordert werden. Die Bundesregierung kann dagegen vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) klagen. Umgekehrt kann aber auch die EU-Kommission gegen Deutschland vor den EuGH ziehen, sollte Berlin den Vorgaben der Wettbewerbshüter nicht Folge leisten. Dann kann Deutschland zur Umsetzung mit einem Zwangsgeld verdonnert werden.