Leipzig

Geschäft mit dem Ei: Das Ende des Kükensterbens?

Diese weiblichen Küken haben Glück, sie dürfen leben. Männchen werden nach der Geburt getötet, weil sie keine Eier legen und auch zur Mast nicht zu gebrauchen sind. Eine Erfindung aus Leipzig soll nun ermöglichen, das Geschlecht im Ei festzustellen - um Männchen vor der Geburt auszusortieren. 
Diese weiblichen Küken haben Glück, sie dürfen leben. Männchen werden nach der Geburt getötet, weil sie keine Eier legen und auch zur Mast nicht zu gebrauchen sind. Eine Erfindung aus Leipzig soll nun ermöglichen, das Geschlecht im Ei festzustellen - um Männchen vor der Geburt auszusortieren.  Foto: dpa

Das Geschäft mit dem Ei hat mit Osterhasenromantik wenig zu tun. Die Entscheidung für das Leben oder Sterben eines gerade erst geschlüpften Kükens wird in Sekunden gefällt. Mithilfe einer neu entwickelten Früherkennung des Geschlechts schon im Ei soll das sinnlose Sterben ab 2017 ein Ende haben. Es wäre eine Revolution in der Legehennenzucht. Eier könnten dann aber teurer werden.

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Von unserer Berliner Korrespondentin Rena Lehmann

40 Millionen männliche Küken landen allein in Deutschland als unerwünschtes „Wegwerfprodukt“ in den Todeskammern. Mittels CO2-Zufuhr werden sie erst ohnmächtig gemacht, dann wird die Dosis erhöht, und sie sterben. Sie können keine Eier legen, sind aber auch für den Mastbetrieb nicht zu gebrauchen. „Diese Männchen kann niemand gebrauchen, weil sie zu dünn sind“, erklärt Rudolf Preisinger, Forschungschef bei Lohmann Tierzucht, einer der größten Geflügelzüchter Deutschland. Das besonders grausame Schreddern männlicher Küken ist nach seinen Angaben in Deutschland schon länger nicht mehr Praxis.

Die Dunklen müssen jung sterben

Sogenannte Sexer, Fachkräfte, die das Geschlecht der jungen Hühner an ihrem Kopf erkennen können, sortieren die Tiere. Küken mit dunkler Färbung am Haupt müssen sterben, das sind die Männchen. Die hellen dürfen leben, zumindest für eineinhalb Jahre, und Eier legen. Es ist das tägliche Prozedere in der Massenproduktion.

Am Montag haben sich ein Dutzend Tierschützer mit Plakaten vor dem Veterinärmedizinischen Institut der Universität Leipzig versammelt. Zwei von ihnen stecken in gelben Hühnerkostümen. Die Tiermedizinstudentin Daniela Strothmann ärgert „diese Gedankenlosigkeit“ der Konsumenten: „Jetzt zu Ostern soll alles heil und schön sein, aber so ist es nicht. In der Produktion von Eiern leiden und sterben unzählige Tiere“, sagt sie. An ihrer Universität wird seit zehn Jahren daran geforscht, eine andere Methode zu entwickeln, die das Töten der Küken verhindert. Heute kommt Bundesagrarminister Christian Schmidt (CSU), um sich ein Bild vom Stand der Forschung zu machen. Für ihn ist es ein guter Termin. Sein Ministerium hat 2 Millionen Euro für das Projekt gezahlt, jetzt verspricht er noch einmal 1 Million Euro, um die Erfindung anwendungsreif zu machen. Der Durchbruch scheint gelungen.

Ein kurzer Augenbiick – und die Dunklen erblicken nie das Licht der Welt

Die Erfindung, die künftig Millionen Küken vor dem grausamen Tod bewahren könnte, sieht eigentlich ganz einfach aus. Etwa 40 Wissenschaftler mehrerer Institute haben daran mehrere Jahre gearbeitet. In einem Glaskasten wird per Laser ein sechs bis neun Millimeter großes Loch in das drei Tage lang bebrütete Ei geschnitten. Dann werden per Mikroskop Lichtstrahlen ins Ei geschickt, die sich an den Blutzellen brechen. So können die Forscher das Erbgut des werdenden Kükens auslesen – und erkennen, ob es sich um Männchen oder Weibchen handelt.

Der Blick ins Ei dauert zwischen 10 und 15 Sekunden, die Forscher wollen das noch beschleunigen. Die männlichen Küken können in diesem Stadium aussortiert und die Eier etwa für die Tierfutterproduktion weiterverarbeitet werden. Das Loch wird mit einem kleinen Pflaster verschlossen. Nur die Weibchen werden weiter bebrütet. „Spektroskopische Geschlechtsbestimmung im Hühnerei“ nennen die Forscher das Verfahren, das bis 2017 sozusagen zur Serienreife gebracht werden soll. Ein Prototyp für ein Gerät, das in der Eierindustrie zum Einsatz kommen kann, soll laut Agrarminister Schmidt bis Ende 2016 entstehen. „Wenn ein solches Gerät auf dem Markt erhältlich ist, gibt es für die Brütereien keine Rechtfertigung mehr, männliche Küken auszubrüten und zu töten“, verspricht Schmidt.

Alles hängt an der Entscheidung der „Pfennigfuchser“

Projektleiterin Maria-Elisabeth Krautwald-Junghanns erklärt, warum es viele Jahre Forschung kostete, das Verfahren zu entwickeln: „Es handelt sich um Lebewesen, deren Entwicklungszustand unterschiedlich ist, deshalb ist es schwer, ein automatisiertes Verfahren zu entwickeln.“ Lange waren die Forscher davon ausgegangen, dass sie ohne Öffnen der Schale und schon am Tag der Befruchtung das Geschlecht bestimmen könnten. Das Küken schlüpft in der Regel nach drei Wochen. Die Projektleiterin rechnet damit, dass künftig 35 Brütereien in Deutschland auf ihre neue Technik zurückgreifen könnten. Sie geht davon aus, dass die Industrie damit künftig Geld spart: „Sie kann dadurch ihre Brutkapazitäten besser nutzen, weil die männlichen Eier ja frühzeitig aussortiert werden. Außerdem müssen keine Sexer mehr beschäftigt werden.“ Rudolf Preisinger ist aber skeptisch, ob der deutsche Verbraucher 1 bis 2 Cent mehr fürs Ei ausgeben wird: „Der Erfolg wird davon abhängen, ob die fünf großen deutschen Lebensmittelketten die Eier von diesen Hühnern künftig kaufen und anbieten.“ Andernfalls würden künftig mehr Eier aus dem Ausland importiert – wo das Schreddern und Vergasen von Küken noch Standard ist.