Reporter Ossenberg: Alle haben sich an Nase herumführen lassen
Inszenierte Pressekonferenzen, gefälschte Zahlen und kontrollierte Berichte: Der damalige ZDF-Reporter Dietmar Ossenberg über den Krieg, der auch als Medienkrieg in die Geschichte einging.
CNN-Korrespondent Peter Arnett wurde durch den Golfkrieg weltberühmt. Ihr Gesicht wird gar nicht mit „Desert Storm“ in Verbindung gebracht. Wo hatten Sie sich denn versteckt?
Das ZDF-Team war damals wie viele andere Korrespondenten in einem Medienpool in Saudi-Arabien untergebracht. Wir erhielten unsere Informationen – oder besser unsere Nichtinformationen – im Hotel International von Dhahran. Erst nach dem Waffenstillstand gab es die Möglichkeit, Bagdad zu besuchen.
Sie hätten also genauso gut zu Hause bleiben können.
Nicht ganz, die spärlichen Informationen waren wichtig, um einen unmittelbaren Eindruck vom Kriegsgeschehen zu erhalten. Wir haben so Erkenntnisse gewonnen, die im Nachhinein äußerst wichtig gewesen sind. Nur so konnte analysiert werden, wie generalstabsmäßig die Manipulation der Medien vorbereitet wurde. Die amerikanischen Kollegen, die glaubten, ganz nahe bei den Truppen zu sein, haben später festgestellt, dass sie immer wieder zu denselben Einheiten gefahren wurden – Einheiten, die einzig für Journalistenbesuche da waren.
Warum haben Journalisten nicht gegen die Einflussnahme protestiert?
Die Proteste wären doch wirkungslos gewesen. Im Grunde hat das amerikanische Militär auch ohnehin fast ausschließlich mit den US-amerikanischen Journalisten verhandelt. Wir kamen gar nicht raus aus Dhahran. Eines Nachts sind wir in Richtung kuwaitische Grenze gefahren, um die brennenden Ölfelder aufzunehmen. Wir kamen nicht weit.
Der Politikwissenschaftler Jochen Hils schreibt: „Wir hatten in diesem Krieg viele Bilder, konnten uns aber nie ein Bild machen.“ Die Kritik: Den Zusehern wurden oft nur Bildhülsen geliefert.
Es war das erste Mal, dass die komplette Weltpresse mit dem Versuch der Manipulation konfrontiert wurde. Wir reagieren heute nach diesen Erfahrungen sehr viel empfindlicher. In jedem Konflikt wird manipuliert, aber es wird immer schwerer, die Methoden zu durchschauen. Die Mittel der Propaganda werden perfektioniert.
Das US-Verteidigungsministerium sorgte für inszenierte Pressefahrten, zensierte Aufnahmen und prüfte Texte. Auch Sie haben diese Bilder und Informationen der Kollegen übernommen.
Wir haben allerdings während des Kriegsgeschehens stets deutlich gemacht, dass alle Informationen mit Vorsicht zu genießen sind, wir haben jeden Beitrag im Konjunktiv formuliert und den Hurra-Patriotismus der US-amerikanischen Kollegen relativiert.
Kuwait hatte sogar eine PR-Agentur für den Medienpool in Dharhan engagiert. War Ihnen das bewusst?
Wir wussten zunächst nicht, welche Rolle die Agentur spielte. Wer Kontakte zu Kuwaitis herstellen wollte, musste dies über Hill und Knowlton machen. Die Agentur hatte aber auch ohnehin vorwiegend die Aufgabe, ein politisches Klima in Amerika für den Krieg zu schaffen.
Hill und Knowlton lancierte die Geschichte, dass Iraker in Kuwait Kinder in Brutkästen getötet hätten. Auch das ZDF berichtete über die vermeintlichen Gräueltaten. Später stellte sich heraus, dass die zitierte Zeugin die Tochter des kuwaitischen US-Botschafters war und die Berichte erfunden waren.
Die Informationen kamen über amerikanische Journalisten, und der Auftritt des Mädchens im Repräsentantenhaus lief über alle Agenturen. Es war eine Geschichte, die für viele damals berichtenswert war. Der Hintergrund ist erst spät aufgeklärt worden. Insofern haben sich alle auch an der Nase herumführen lassen.
Sie hatten auch noch darüber berichtet, als die Geschichte längst widerlegt worden war.
Ich kann mich an den Fall nicht mehr genau erinnern, aber auch die andere Seite hat in diesem Krieg massiv manipuliert. Als unser Team kurz nach dem Waffenstillstand nach Bagdad kam, durften wir ein zerstörtes Gebäude zeigen. Aber nur das zerstörte Haus – ein Iraker verhinderte, dass wir auf die unversehrte Nationalbibliothek schwenkten. Es durfte nur Leid und Elend gezeigt werden. Und so zynisch es auch klingen mag: Das Leid war damals – verglichen mit dem dritten Golfkrieg – nicht ganz so groß.
Sie selbst schrieben in einem kritischen Beitrag nach dem Krieg: „Fakten wurden in diesem Krieg zu Fiktionen und Fiktionen zu Fakten.“ Welche Lehren wurden daraus gezogen?
Der 91er-Krieg war entscheidend dafür, dass alle Medienkollegen später mit Krisen und Konflikten anders umgingen. Selbst US-amerikanische Journalisten sind sehr viel distanzierter und kritischer geworden. Skepsis und Zurückhaltung in der Berichterstattung ist eine Lehre, die wir aus diesem Golfkrieg gezogen haben. Allerdings: Nach 20 Jahren sieht man dies etwas anders. Verglichen mit dem, was in den folgenden Jahre passiert ist, stellen sich die Manipulationsversuche als gar nicht mehr so dramatisch dar. Die Entwicklung ist leider weitergegangen. Man denke nur an die vermeintlichen Massenvernichtungswaffen-Beweise im Vorfeld des Irakkriegs 2003.
Die Fragen stellte Dietmar Telser