Klimakonferenz: Die Erde als Spielball der Interessen

Ein schlechtes Omen für den geplanten Weltklimavertrag: In Lima brechen alte Gräben auf. Es geht um die „historischen Klimasünden“ der Industriestaaten und darum, ob sie den Schwellen- und Entwicklungsländern nun vorschreiben dürfen, was die in Sachen Klimaschutz zu tun haben.

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Von Georg Ismar und Helmut Reuter

Nach harten Wortgefechten einigt man sich in Peru auf den kleinsten gemeinsamen Nenner. Es droht nun ein steiniger Weg bis zur UN-Klimakonferenz Ende 2015 in Paris. Manuel Pulgar-Vidal hat lange auf seinen Pisco Sour warten müssen. Eigentlich wollte Perus Umweltminister als Konferenzchef schon Freitagabend einen Traubenschnaps-Cocktail auf das Ende dieses 20. UN-Klimagipfels in Lima trinken.

Dann lief Pulgar-Vidal ein heftiger Konflikt zwischen Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländern fast aus dem Ruder. Erst am Sonntagmorgen um 1.25 Uhr Ortszeit konnte er den Hammer fallen lassen: Er ließ einfach keine Einwände mehr gegen den Beschluss zu. Zurückhaltender Applaus war zu hören, zumindest ist ein Scheitern des Gipfels abgewendet.

Es ist ein Minimalkompromiss mit ersten Leitplanken für den bis Ende 2015 in Paris geplanten Weltklimavertrag. Bis März müssen die meisten Staaten übermitteln, wie viel Treibhausgase weniger sie künftig ausstoßen wollen. Aber sie können das Ausmaß dieser Minderungsziele praktisch selbst bestimmen und müssen nicht sagen, wie sie das Ziel erreichen wollen. Ob ein ambitioniertes Paris-Protokoll so klappt? Fraglich. Zumal auf Druck Chinas der Passus rausflog, dass es verbindliche Überprüfungen geben soll. Und dieser erste globale Vertrag soll ohnehin erst ab dem Jahr 2020 gelten.

Rückblick, zwölf Stunden zuvor: Der Vertreter aus Malaysia hat keine Lust mehr auf diese Verhandlungen. „Eigentlich wollte ich heute nach Cusco fliegen“, erzählt er im Plenum mit Vertretern aus 195 Staaten. Gemeint ist die Inka-Ruinenstadt Machu Picchu. Nun befinde er sich hier im Raum Cusco – so heißt der Zeltsaal auf dem Tagungsgelände in Lima. Seinen Flieger hat er längst verpasst. Dann kommt er zum Kern seines Anliegens. Er lehnt mit harscher Kritik ein von der Europäischen Union und den USA gutgeheißenes Papier ab. Dutzende Staaten bis hin zu China tun es ihm gleich.

Der Vertreter des Sudans macht im Namen der afrikanischen Staaten deutlich, dass der bisherige Entwurf nichts tauge, und wird gefeiert. Die Atmosphäre ist zum Schneiden, nichts ist mehr zu spüren von der Aufbruchstimmung nach dem Schulterschluss Chinas und der USA, mehr für den Klimaschutz zu tun.

Bei Koalitionsverhandlungen müssen sich zwei oder drei Parteien einigen, hier sind es 195 Staaten. Daher müssen Blockierer im „Beichtstuhlverfahren“ stundenlang von Pulgar-Vidal und anderen bekniet und neue Abschlussentwürfe geschrieben werden.

Die Industriestaaten wie Deutschland wollen die sogenannte Brandmauer („Firewall“) in der bisherigen Klimaarchitektur bis Paris einreißen: Sie hat zur Folge, dass aufstrebende Länder wie China und Indien bislang kaum etwas für den Klimaschutz tun müssen. Im geplanten Weltklimavertrag soll es daher keine schematische Unterscheidung mehr zwischen Entwicklungs- und Industrieländern geben. Immerhin stoßen Entwicklungs- und Schwellenländer inzwischen etwa genauso viel CO2 aus wie die reichen Staaten. Allein China verursacht heute 27 Prozent der globalen Kohlendioxidausstöße. Es geht um eine faire Lastenverteilung zur Begrenzung der Erderwärmung auf höchstens 2 Grad.

Den Entwicklungsländern geht es auch um Geld, nach dem Motto: Milliardenhilfen gegen eigene CO2-Minderungszusagen. Fragwürdig ist, dass sich China zur G-77-Gruppe der Entwicklungsländer zählt. Das Kalkül: zu starke internationale Verpflichtungen vermeiden. China will erst von 2030 an mit einer Minderung seiner Emissionen beginnen. Das ist objektiv viel zu wenig.

Der Dissens von Lima ist ein schlechtes Omen. Eigentlich sollte hier ein gutes Gerüst erstellt werden für den geplanten Klimavertrag, der in genau einem Jahr in Paris auf den Tisch kommen soll. Doch Pulgar-Vidal musste vieles aufweichen. Wichtige Punkte sind zudem noch offen. Für welchen Zeitraum und für welche Treibhausgase sollen die Staaten Minderungsziele aufstellen? Welche Staaten bekommen wie viel Geld für die Anpassung an den Klimawandel, etwa für Deiche oder zum Ausbau von Solar- und Windenergie? Bisher haben vor allem die Industriestaaten immerhin 10 Milliarden US-Dollar in einen Grünen Klimafonds eingezahlt.

Für Deutschland verhandelte nach der vorzeitigen Abreise von Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) Staatssekretär Jochen Flasbarth. Ihren Flug wollte sie nicht verschieben. Grünen-Chefin Simone Peter nennt die Abreise „kein Ruhmesblatt für die deutsche Klimapolitik“. Doch Flasbarth vertritt seine Ministerin gebührend: tief drin in der Materie, gut vernetzt, beharrlich um Lösungen ringend. Er bilanziert nach Pulgar-Vidals Hammerschlag mit Blick auf Paris: „Das gibt uns einen Vorgeschmack darauf, dass uns da kein Spaziergang bevorsteht.“ Trotz der ganzen Aufweichungen sei er nicht enttäuscht, meint Flasbarth. „Aber ich bin erschöpft.“

Kritisch äußerten sich indes die Umweltverbände. Der Vorsitzende des Bundes für Umwelt und Naturschutz, Hubert Weiger, sagte, Lima habe die Welt nicht einen Schritt weitergebracht auf dem Weg in eine Energiewirtschaft ohne Kohleverstromung, Öl, Atomkraft und Gas. Der Leiter des internationalen Klimateams von Greenpeace, Martin Kaiser, bemängelte, in Lima hätten „die Fundamente für den Weltklimavertrag von Paris 2015 gelegt werden“ sollen. Tatsächlich sei aber „nicht einmal die Baugrube fertiggestellt“ worden.