Washington

Interview zum „Super Tuesday“: „Die US-Demokraten sind tief gespalten“

Von Christian Kunst

Paukenschlag am Superwahltag der US-Demokraten: Ex-US-Vizepräsident Joe Biden (77) hat seinem Spitznamen „Comeback-Joe“ alle Ehre gemacht. Nach seiner Siegesserie am „Super Tuesday“ dürfte ihm der Abgang eines Konkurrenten einen weiteren Schub versetzen: Milliardär Michael Bloomberg stieg nach enttäuschenden Ergebnissen bei den Abstimmungen in 14 Bundesstaaten aus dem Rennen aus. Der richtige Kandidat sei Biden, sagte Bloomberg. Bliebe er selbst im Rennen, würde er das Ziel, US-Präsident Donald Trump zu besiegen, nur erschweren.

Lesezeit: 5 Minuten
Anzeige

Noch hat auch der linke Senator Bernie Sanders Chancen auf die Nominierung. Laut Prognosen von TV-Sendern gewann Biden 9 von 14 Bundesstaaten: neben dem zweitwichtigsten Bundesstaat Texas auch Alabama, Arkansas, Massachusetts, Minnesota, North Carolina, Oklahoma, Tennessee und Virginia. Bei der wichtigsten Vorwahl im bevölkerungsreichsten Bundesstaat Kalifornien lag nach Berechnungen der TV-Sender Sanders (78) vorn, genauso wie in Sanders’ Heimatstaat Vermont, in Colorado und Utah. Für Maine lagen noch keine Prognosen vor.

Beim „Super Tuesday“ ging es um 1344 Delegiertenstimmen, die beim Nominierungsparteitag der Demokraten im Juli den Präsidentschaftskandidaten der Partei bestimmen. Für die Nominierung benötigt ein Bewerber beim Parteitag mindestens 1991 der 3979 regulären Delegiertenstimmen – mehr als ein Drittel davon wurde am Dienstag vergeben. Wie die Ergebnisse einzuordnen sind, erklärt im Interview mit unserer Zeitung David Sirakov, Leiter der Atlantischen Akademie in Kaiserslautern:

Das Establishment der Demokraten will offenbar einen Trump von links, Bernie Sanders, unbedingt vermeiden und kämpft daher für den Anti-Sanders Joe Biden. Hat der jetzt die Nase vorn?

Nach dem „Super Tuesday“ sieht es ganz danach aus. Joe Biden hat die Erwartungen übertroffen.

Hat Sie das überrascht?

Ja. Das liegt auch daran, dass die Vorwahlen der Demokraten in Bundesstaaten gestartet sind, die einen sehr kleinen Ausschnitt der US-Bevölkerung abbilden. Diese ersten Ergebnisse waren nicht repräsentativ. Und Joe Biden hat in diesen Bundesstaaten sehr schlecht abgeschnitten. Das liegt an der Bevölkerungsstruktur, aber auch daran, dass seine Kampagne einen sehr schlechten Job gemacht hat.

Inwiefern?

Seine Berater haben Bidens Bekanntheit nicht in Wählerstimmen ummünzen können. Sie haben ihn nicht gut positioniert – vielleicht auch, weil das Feld noch relativ groß war. Da gab es noch moderate Kandidaten wie Pete Buttigieg oder Amy Klobuchar, die jünger und frischer wirkten. Biden hat in den Debatten und in seinen Reden nicht immer ein gutes Bild abgegeben. Das hat sich nach seinem Sieg in South Carolina komplett gewandelt. Er hat dort seine bislang beste Wahlkampfrede gehalten und einen bemerkenswerten Erfolg eingefahren. Dieses Momentum konnte er am Dienstag nutzen. Und er hatte mit Buttigieg und Klobuchar zwei unerwartete Unterstützer.

Ist das die Trendwende?

Ja. Dahinter steht der Versuch der moderaten Demokraten, die Reihen zu schließen und sich gegen die sehr progressive Sanders-Fraktion zu positionieren. Nur Elizabeth Warren ist noch eine ernst zu nehmende Konkurrentin, allerdings eher für Sanders, weil sie ähnlich progressiv ist. Sie will zwar bis zum Parteitag im Juli durchhalten. Aber die Frage ist, ob sie das auch finanziell schaffen kann.

Sanders liegt in wichtigen Staaten wie Kalifornien oder Colorado vorn. Welche Rolle spielt das?

Ein Sieg für Sanders in Kalifornien ist ein Signal. Aber es bedeutet nicht, dass er alle Stimmen bekommt. Diese werden zwischen den Kandidaten aufgeteilt. Daher ist eher entscheidend, wie knapp diese Staaten ausgehen. In Texas hat Biden zwar gewonnen, es ist aber fast unentschieden zwischen ihm und Sanders. Das zeigt, wie gespalten die Demokraten sind. Es geht jedoch bei der Präsidentschaftswahl wie schon 2016 darum, dass die Partei hinter ihrem Kandidaten steht. Das gilt vor allem für die Anhänger der bei den Vorwahlen unterlegenen Kandidaten. Die größte Herausforderung ist da das Lager von Sanders, sollte er sich nicht durchsetzen. Denn die Demokraten werden nur gewinnen, wenn sie geeint sind und ihre Wählerschaft mobilisieren können.

Warum ist Sanders jetzt wieder mehr ins Hintertreffen geraten?

Das hat mit Bidens neuen Unterstützern wie Buttigieg und Klobuchar zu tun. Dazu gehören auch Ikonen von Minderheiten wie in South Carolina der schwarze demokratische Kongressabgeordnete Jim Clyburn. Deshalb haben sehr viele Afroamerikaner Biden gewählt. Der Sieg dort kann noch enorm wichtig für ihn werden, weil South Carolina für afroamerikanische Wähler ein Fingerzeig ist. Schon davor zeigte sich, dass diese Gruppe mehrheitlich Biden wählt, auch weil er Vizepräsident des ersten schwarzen Präsidenten Barack Obama war.

Und die Latinos?

Sie wählen deutlich stärker für Sanders. Er hat sich in der Vergangenheit deutlich stärker als andere Kandidaten um diese Wählergruppe bemüht. Auch diese unterschiedliche Haltung der Minderheiten zu Biden und Sanders offenbart die tiefe Spaltung der US-Demokraten.

Was bedeutet das für die nächsten Vorwahlen?

Der ethnische Mix eines Bundesstaates wird großen Einfluss darauf haben, wer bei den nächsten Vorwahlen gewinnt. Aber das stimmt nicht überall. So haben viele mit einem Sieg von Sanders im liberalen Ostküstenstaat Massachusetts gerechnet. Doch gewonnen hat Biden, obwohl er dort nur wenige Wahlkampfbüros hat. Er hat aber mit einer starken Präsenz in den Medien und auch mit seinem Schwung aus dem Sieg in South Carolina gepunktet. Da entsteht gerade das Narrativ, dass Biden der aussichtsreiche Kandidat ist.

Wenn das Rennen so knapp ist: Was bedeutet das für den Parteitag der Demokraten im Juli?

Das berührt ein Trauma der Demokraten. Da geht es um die sogenannte Open oder Brokered Convention. Das würde bedeuten, dass es bei einem Parteitag zunächst keine Mehrheit der Delegierten für einen Kandidaten gibt und dass dieser dann in Verhandlungen bestimmt wird. Diese Hinterzimmerpolitik wäre ein Widerspruch zur Basisdemokratie der Vorwahlen. Doch es ist nicht auszuschließen, dass es zu einer Pattsituation im ersten Wahlgang zwischen Biden und Sanders kommt. Dann ist möglich, dass ungebundene Delegierte den Ausschlag geben. Eine solche Lösung ist jedoch höchst problematisch, weil es die Spaltung der Partei vertiefen wird. Das betrifft vor allem die Sanders-Anhänger, die sagen: entweder Bernie oder niemand.

Was bedeutet das für den Kampf der Demokraten gegen Trump?

Die große Mehrheit der Demokraten geht zu einer Vorwahl, weil sie glaubt, dass ihr Kandidat der beste ist, um Trump zu schlagen. Die Beharrungskräfte bei den Sanders-Anhängern sind da besonders groß. Das hat bei den Demokraten schon 2016 zu einem Problem für Hillary Clinton geführt.

Könnte Joe Biden dies verhindern, indem er sich einen progressiven Vizepräsidentenkandidaten an die Seite holt?

Ja. Viele gehen davon aus, dass Amy Klobuchar so früh aus dem Rennen ausgestiegen ist, weil sie sich als Vizekandidatin in Stellung bringen wollte. Andere sehen Elizabeth Warren als ideale Vizekandidatin, weil sie über sehr viel Erfahrung im Umgang mit dem US-Kongress verfügt und weil sie ähnlich progressiv wie Sanders ist, dessen Anhänger also besänftigen könnte. Das würde die Kampagne für Trump deutlich angreifbarer machen. Aber diese Polarisierung ist auch nötig. Denn es ist ohnehin davon auszugehen, dass dies der polarisierteste und schmutzigste Wahlkampf aller Zeiten wird.

Wer ist gefährlicher für Trump: Biden oder Sanders?

Biden. Weil er größere Bevölkerungsschichten anspricht. Er bringt sicherlich nicht die große Revolution, die sich viele Demokraten wünschen. Aber man kann sich die Frage stellen, ob Sanders diese Revolution vollenden könnte. Wir sehen ja auch bei Trump, dass US-Präsidenten nicht allmächtig sind.

Das Gespräch führte Christian Kunst

Diskutieren Sie mit uns über die USA-Wahl

Wie wahrscheinlich ist die Wiederwahl Donald Trumps? Kann er im November neue Wähler gewinnen? Oder kann die Demokratische Partei ihre Wählerbasis mobilisieren? Wir laden Sie herzlich ein, diese Themen mit unseren Experten zu erörtern. Am Mittwoch, 11. März, diskutieren ab 18 Uhr im Druckhaus der Rhein-Zeitung in Koblenz-Metternich diese Experten: Dr. David Sirakov, Leiter Atlantische Akademie Rheinland-Pfalz, Sarah Wagner, Referentin bei der Atlantischen Akademie, und PD Dr. Martin Thunert, Heidelberg Center for American Studies. Die Diskussion wird geleitet von Birgit Pielen, Nachrichtenchefin der Rhein-Zeitung.

Der Eintritt ist kostenfrei, Teilnahme nur nach vorheriger telefonischer Anmeldung unter 0261/983.620 00 oder unter RZ-Wissen.de

Meistgelesene Artikel