Hat bald fast jeder einen Arbeitsplatz?

Der Chef der Bundesagentur sagt ab 2020 Vollbeschäftigung voraus.
Der Chef der Bundesagentur sagt ab 2020 Vollbeschäftigung voraus. Foto: dpa

Während die Konjunktur zu schwächeln beginnt und die Bundesregierung erste Investitionsprogramme plant, sieht Deutschlands oberster Arbeitsvermittler das Land auf dem Weg in die Vollbeschäftigung. In den Jahren ab 2020 könnte die Arbeitslosenquote dann nur noch bei 2 bis 3 Prozent liegen. Die größte Aufgabe bleibt der Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit in Europa, sagt der Chef der Bundesagentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, im Interview:

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Herr Weise, warum sind Sie so optimistisch?

Wir haben einen guten Arbeitsmarkt trotz der Risiken, die zweifellos bestehen. Wir können auf Vollbeschäftigung realistisch hinarbeiten, auch weil künftig in Deutschland wegen des demografischen Wandels immer weniger Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. Unsere Wirtschaft stellt gute Produkte her, die die Welt braucht.

Wann haben wir Vollbeschäftigung?

Dass auf dem Weg zur Vollbeschäftigung eine Menge Risiken liegen und zwischendurch sogar Einbrüche stattfinden können, ist klar. Ich halte es aber für realistisch, dass wir in den Jahren ab 2020 Vollbeschäftigung erreichen können.

Herr Weise, warum sind Sie so optimistisch?

Wir haben einen guten Arbeitsmarkt trotz der Risiken, die zweifellos bestehen. Wir können auf Vollbeschäftigung realistisch hinarbeiten, auch weil künftig in Deutschland wegen des demografischen Wandels immer weniger Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. Unsere Wirtschaft stellt gute Produkte her, die die Welt braucht.

Wann haben wir Vollbeschäftigung?

Dass auf dem Weg zur Vollbeschäftigung eine Menge Risiken liegen und zwischendurch sogar Einbrüche stattfinden können, ist klar. Ich halte es aber für realistisch, dass wir in den Jahren ab 2020 Vollbeschäftigung erreichen können.

Woran liegt es denn, dass Deutschland eine Arbeitslosenquote von 6,3 Prozent hat, während andere europäische Länder im zweistelligen Bereich verharren?

Deutschland hat Arbeitsmarktreformen gemacht, die zwar gesellschaftspolitisch umstritten sind. Sie haben aber dazu geführt, dass mehr Beschäftigung entstanden ist. Außerdem ist die gute deutsche Quote das Ergebnis von guter Arbeit. Die Arbeitnehmer sind mobil, fleißig und gut ausgebildet. All das zusammen hat bewirkt, dass die Wirtschaft gut läuft und auch Menschen Arbeit haben, die bisher ausgeschlossen waren. Innerhalb Deutschlands gibt es aber große Unterschiede. Die ostdeutschen Länder stehen, bei allen Fortschritten, noch wesentlich schlechter da als Bayern und Baden-Württemberg. Auch bei uns ist die Arbeit noch nicht zu Ende.

Hat Hartz IV nicht den Bereich der prekären Beschäftigung ausgebaut?

Wir haben zeitweise 1,7 Millionen Langzeitarbeitslose gehabt, von denen mittlerweile viele durch die Reformen in Beschäftigung gekommen sind. Darunter waren auch Menschen, deren Produktivität einfach nicht ausgereicht hat, um sie sofort unbefristet, Vollzeit und gut tariflich bezahlt zu beschäftigen. Es ist ein echter Erfolg, dass viele dieser Menschen jetzt Arbeit gefunden haben. Die Aufgabenstellung heute ist es, ihnen den Aufstieg in besser entlohnte Arbeit zu ermöglichen.

Frank-Jürgen Weise
Frank-Jürgen Weise
Foto: dpa

Die Zahl der Langzeitarbeitslosen verharrt dennoch auf hohem Niveau. Warum ist es noch nicht besser gelungen, sie zu integrieren?

Viele von ihnen haben keinen Schul- und Berufsabschluss und sind älter als 50. Die Tatsache, dass sie schon länger arbeitslos sind, macht es leider nicht einfacher. Wir sollten uns nichts vormachen: Menschen in Arbeit zu bringen, die nicht die Chance bekommen haben für einigermaßen gute Bildung, das ist richtig harte Arbeit. Wir sind aber schon von 1,7 Millionen auf heute eine Million Langzeitarbeitslose runtergekommen. Das ist ein Schwerpunkt von uns, und bei guter Konjunktur werden es auch noch mehr Menschen schaffen.

Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles will 43.000 Langzeitarbeitslose aktivieren, teils mit 100 Prozent Lohnkostenzuschuss. Was werden das für Beschäftigungen sein?

Wir haben mehr als 200.000 Menschen, die seit 2005 noch nie in Arbeit waren. Jetzt ist die Frage: Sollen wir sie weiter mit Qualifizierungsrunden und Bewerbungstrainings unterstützen? Oder muss man nicht realistisch sagen: Sie werden nicht im ersten Arbeitsmarkt unterkommen, wenn wir das nicht entsprechend mit Lohnkostenzuschüssen flankieren. Wir denken: Lieber in Arbeit sein, auch wenn sie subventioniert ist, als Arbeitslosigkeit. Was es dann ganz konkret für Jobs sind, muss man sich genau anschauen. Es darf natürlich nicht den bislang beschäftigten Gärtner und andere verdrängen, weil die Kommunen sich solche günstigeren Arbeitskräfte nehmen. Das muss gut ausbalanciert werden.

Ist es richtig, Sanktionen gegen junge Arbeitslose, die sich Hilfen verweigern, abzuschwächen?

Ich halte es grundsätzlich für gerechtfertigt, zu Sanktion zu greifen, wenn sich jemand nicht bemüht. Manche Sanktionen entstehen aber auch durch kleinere Versäumnisse. Jemand versäumt es etwa, rechtzeitig Unterlagen nachzuliefern. Wir wollen bei den Sanktionen weniger Bürokratie und einfachere, klare Regeln. Fehlenden Einsatz bei der Arbeitsuche einfach hinzunehmen wäre aber sicher der falsche Weg.

Wird die Zahl der Aufstocker, die zu ihrem Arbeitslohn noch Arbeitslosengeld beantragen müssen, mit dem Mindestlohn zurückgehen?

Viele erwarten, dass die Kosten für Aufstocker durch den Mindestlohn erheblich zurückgehen. Sie werden zurückgehen, aber weniger, als man vielleicht annimmt. Es wird immer noch notwendig sein, in bestimmten Situationen aufstockendes Arbeitslosengeld II zu zahlen. Jemand, der bereit ist zu arbeiten, aber noch nicht davon leben kann, der verdient große Anerkennung. Und da ist es gut, dass er finanziell unterstützt wird. Die Zahl der Aufstocker wird durch den Mindestlohn voraussichtlich um weniger als 100.000 sinken, und die Einsparungen beim Arbeitslosengeld II liegen wahrscheinlich unter 1 Milliarde Euro im Jahr, sagen unsere Forscher vom IAB (Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung).

Welche Entwicklungen erwarten Sie noch durch den Mindestlohn?

Wir müssen schon damit rechnen, dass es in Ostdeutschland und wahrscheinlich auch in anderen Regionen Arbeitsplatzverluste geben kann. Manche Tätigkeit wird möglicherweise zu diesem Preis nicht mehr so nachgefragt sein. Es wird aber auch Menschen geben, die sagen: Wenn ich wenigstens diesen Mindestlohn kriege, dann lohnt es sich für mich auch, die Arbeit anzunehmen. Manche Stellen können also schneller besetzt werden als früher. Erst mal müssen wir also mit einem kleinen Dämpfer rechnen, auf längere Sicht ist unsere Einschätzung, dass der Arbeitsmarkt den Mindestlohn durchaus verkraftet. Das zeigen auch die Erfahrungen in anderen Ländern wie beispielsweise Großbritannien.

Sie sind Vorsitzender des Netzwerks der europäischen Arbeitsverwaltungen. Europa hat fünf Millionen arbeitslose Jugendliche. Warum gelingt es nicht, hier gegenzusteuern?

Durch die Wirtschaftskrise in der Folge der Finanzkrise ist erstmals für alle sichtbar geworden, dass es hier strukturelle Probleme gibt. Wir haben zum Beispiel in Spanien im Schnitt eine hohe akademische Bildung, aber es fehlt der Anschluss ans Berufsleben. Weder in der Schule noch in einer anderen Form wird man wirklich gut auf das Berufsleben vorbereitet. In Kombination mit der wirtschaftlich schlechten Situation hat das dazu geführt, dass die Arbeitslosigkeit von jungen Menschen in manchen Ländern sehr hoch ist.

Was wollen die Arbeitsagenturen dagegen tun?

Die Europäische Kommission hat ein Programm mit dem Titel „Jugendgarantie“ aufgelegt. Wir als Chefs der Arbeitsvermittlungen wurden verpflichtet, dass es Mindestangebote für Jugendliche für eine Ausbildung gibt. Daran arbeiten wir, aber es ist bestimmt ein Zehnjahresprogramm, bis es Wirkung zeigt.

Man ist nicht lange Jugendlicher und muss in dieser Zeit die Weichen stellen. Wächst da gerade eine verlorene Generation heran?

Die jungen Menschen verlieren auch in Südeuropa noch nicht ganz den Optimismus, etwas zu unternehmen. Ein Restrisiko bleibt, dass junge Leute, die als erstes nach der Schule die Erfahrung von Arbeitslosigkeit machen, nicht gerade für unser demokratisches System begeistert werden. Jetzt heißt das Programm: Arbeitsmarktreformen und Angebote bereits im Bildungssystem. Ich sehe allerdings, dass es nicht einfach ist, solche Programme in den betroffenen Ländern zu entwerfen und sie dann auch politisch durchzusetzen.

Woran liegt das?

Politisch gibt es verschiedene Prioritäten. Die einen fordern mehr Lohn, die anderen Arbeitsplatzsicherheit. Für die jungen Leute muss man aber Flexibilität, Mobilität und leichten Zugang fordern. Das sind konkurrierende Ziele. Außerdem stehen manche Volkswirtschaften im Augenblick so schlecht da, dass sie keinem dieser Ziele gerecht werden. Es gibt aber auch kleine Länder wie zum Beispiel die baltischen Staaten und Österreich, von denen auch wir in Deutschland noch lernen können. Sie kümmern sich sehr intensiv um die jungen Menschen.

Das Gespräch führte Rena Lehmann