Berlin

Großfahndung nach Pferdefleisch – Die Verbraucherschutzministerin zeigt klare Kante, doch meint sie das auch wirklich so?

Schlachtbetriebe, Großküchen, Kantinen: In ganz Deutschland wird inzwischen nach Pferdefleisch gefahndet. Dabei ist es immer noch oft ein Stochern im Nebel: Es bleibt unklar, wo die Hauptverursacher und Mitverursacher des Skandals in Europa sitzen. Ermittlungen laufen längst auch in Großbritannien, Irland, Frankreich und Spanien.

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Die bisher festgestellten positiven Proben in Deutschland betreffen Fälle in Hamburg, Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Nordrhein-Westfalen. Aber auch hier ist wohl mit keinem schnellen Ergebnis zu rechnen. Die Untersuchung der Proben wird sich nach Einschätzung des Verbandes der Lebensmittelkontrolleure Berlin-Brandenburg noch über Wochen hinziehen.

Offenbar reichen die Laborkapazitäten nicht aus. Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner mahnte die Verantwortung aller Beteiligten in der Lebensmittelkette an. Auch der Handel dürfe sich nicht wegducken, sagte sie in einer Sitzung der Unionsfraktion. Der Skandal hat die Scheinwerfer auf eine der wichtigsten Hoffnungsträgerinnen der CSU geworfen. Ilse Aigner, längst auf dem Sprung, in München die Karriereleiter bis ganz nach oben zu erklimmen, hat sich mal wieder als zupackende Verbraucherschutzministerin zu beweisen.

Sie tut es wortmächtig („Sauerei!“) und scheinbar tatkräftig („Aktionsplan“). Doch bei diesem Lieblingsbegriff Aigners zucken Verbraucherschützer inzwischen zusammen. Was dahintersteckt, verdient den Namen nicht, wendet etwa Gerd Billen von der Verbraucherzentrale ein. Wohlmeinende weisen darauf hin, dass derartige Kritik an Aigner unfair, weil systembedingt sei. Sie stehe nun einmal an der Spitze eines Hauses, das rund um die Uhr für Lebensmittelskandale der erste Ansprechpartner zu sein hat, selbst aber so gut wie nichts in die Wege leiten könne. Egal, ob es um gute oder schlechte Kontrolle, gutes oder schlechtes Ausführen politischer Vorgaben geht, immer sind die Länder zuständig oder andere Ministerien gefragt.

Mehr als einmal hat Aigner ihren schärfsten Kritikern bereits vorführen können, dass die ihr zugeschanzten Missstände gar nicht in ihrer Verantwortung lagen. Zuletzt etwa beim Dioxin in Eiern. Doch dieses Mal entlarvt sie sich ungewollt selbst. Als die Empörung über das Pferdefleisch in Nudelspeisen immer mehr Schlagzeilen produzierte und saftige Vorwürfe an die Adresse vermeintlich einzelner schwarzer Schafe der Branche nicht mehr glaubwürdig wirkten, entsann Aigner flugs einen Aktionsplan. Der aber enthält bei genauerem Hinsehen weder Aktion, noch kann man ihn Plan nennen.

Jedenfalls wenn er eine Besserung bringen soll. Da wird getestet, informiert, gewarnt und vor allem eines immer wieder: geprüft. Aigner sagt nicht, dass die Strafen verschärft werden sollen, sondern sie will, dass die Sanktionen „überprüft werden“. Sie fordert nicht, dass die Unternehmen transparenter arbeiten müssen, sondern sie spricht sich dafür aus, die „Informationspflichten der Unternehmen gegenüber den Behörden zu überprüfen“. Einzig neu ist, dass Ilse Aigner sich nun mit Herkunftsangaben einzelner Zutaten zu verarbeiteten Lebensmitteln anfreunden kann. Aber sie fordert es nicht, schon gar nicht auf den Verpackungen.

Sie sagt, es sei „zu prüfen“, welche Informationen „auf der Verpackung oder anderweitig, zum Beispiel im Internet“, veröffentlicht werden sollen. Und die Ministerin „begrüßt“ in diesem Zusammenhang, dass die EU-Kommission ihre Prüfungen nun beschleunigen wolle. Wie schnell aus Aigner’schen Ankündigungen fragwürdige Rohrkrepierer werden, war im Vorjahr bei der Gentechnik zu verfolgen: Der Festlegung, jede Aufweichung des Gen-Verbotes in Deutschland verhindern zu wollen, folgte eine kraftlose Enthaltung, als es in Brüssel zum Schwur kam.

Hintergrund der harmlosen Aigner-Attacken gegen die Abfolge von Lebensmittelskandalen ist ihre Verankerung in der Landwirtschaft, die ihr in Bayern die politische Zukunft sichert. Zugleich aber ist die industrielle Agrarproduktion eng verbunden mit dem Billigtrend der Lebensmittel, der garantiert, dass einem Skandal der nächste folgt. Industrie, Handel und Landwirte hätten großen Einfluss auf die Politik der Bundesregierung, weil viele Abgeordnete aus diesem Bereich kämen und weiterhin in Aufsichtsräten säßen, lautet die Analyse von Grünen-Vizefraktionschefin Bärbel Höhn.

In diesem Lobbysystem sei Aigner „eingemauert“. Für sie steht damit fest: „Ministerin Aigner ist die Schutzpatronin der Agrarindustrie und des Billigfleisches.“ Höhn ist skeptisch, dass in einem halben Jahr, wenn sich die Wogen geglättet haben, von dem Zehn-Punkte-Aktionsplan noch viel übrig ist.

Von unserem Berliner Korrespondenten Gregor Mayntz