Brüssel

Freihandel: Schrecken oder Chance?

Demo gegen TTIP: In der Bevölkerung ist das geplante Abkommen umstritten. Viele fürchten ein Aufweichen europäischer Standards. Ökonomen sehen dem Vertrag gelassen entgegen.
Demo gegen TTIP: In der Bevölkerung ist das geplante Abkommen umstritten. Viele fürchten ein Aufweichen europäischer Standards. Ökonomen sehen dem Vertrag gelassen entgegen. Foto: dpa

Die Europäische Union wollte es als Wachstumsmotor für die krisengeschüttelte Wirtschaft verkaufen, doch mittlerweile ist es ein hässliches Monster – zumindest in der Wahrnehmung vieler Europäer. Das Freihandelsabkommen TTIP zwischen EU und USA macht Bürgern in der EU Angst.

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Von unserem Reporter Stefan Hantzschmann

Das liegt daran, dass TTIP sensible Lebensbereiche wie Ernährung, Verbraucherschutz, Gesundheit, Kultur und regionale Identität betrifft. Es liegt aber auch am Unvermögen der Verhandlungsführer, den Menschen zu erklären, worum es eigentlich geht.„Es war ein großer Fehler, dass die Verhandlungen am Anfang geheim geführt wurden. Und es gab aus ökonomischer Sicht keinen einzigen Grund dafür“, sagt Ralf Fendel, Professor für Volkswirtschaftslehre an der WHU – Otto Beisheim School of Management in Vallendar.

Mit TTIP wollen die USA und die EU ihre letzten Handelshemmnisse abbauen. Was Kritiker dabei erzürnt, sind weniger die wegfallenden Zölle, sondern vielmehr die Vereinbarungen, die es Unternehmen einfacher machen sollen, ihre Waren zu exportieren, weil damit ein Aufweichen der europäischen Standards befürchtet wird. Bislang muss sich ein EU-Unternehmen, das Produkte in den USA verkaufen will, an amerikanische Regeln halten und seine Produkte daran anpassen. Durch TTIP wollen sich EU und USA auf gemeinsame Regeln einigen, sodass zeit- und kostspielige Anpassungen künftig wegfallen. „Das erfordert natürlich Vertrauen“, sagt Fendel. „Aber die Erfahrungen zeigen, dass von solchen Abkommen alle Beteiligten profitieren.“

Niedrigere Preise, mehr Produkte, aber weniger Lohnzuwachs

Auch für Verbraucher soll etwas herausspringen – zumindest niedrigere Preise und eine größere Auswahl an Produkten, weil mit TTIP auch kleinere Unternehmen ihre Waren exportieren könnten, denen bislang Zölle und Testverfahren zu teuer waren. Fendel hält aber auch negative Folgen für Arbeitnehmer für möglich: „Es könnte passieren, dass im ein oder anderen Fall ein Unternehmer gegenüber seinen Mitarbeitern Zurückhaltung bei Gehaltssteigerungen zeigen muss, weil der Konkurrenzdruck aus den USA mit TTIP gestiegen ist. Aber man darf nicht vergessen, dass unser Wohlstand auf Freihandel beruht.“

Unklar ist bislang, ob man sich immer auf den jeweils höheren Standard einigt. Wenn also die Regelungen, unter welchen Voraussetzungen ein Arzneimittel zugelassen wird, in der EU strenger sind, würden diese Regeln künftig auch für amerikanische Medikamente gelten. Die Verhandlungen aber laufen noch. Bundeskanzlerin Angela Merkel versprach, europäische Standards mit TTIP nicht aufzuweichen.

Jetzt bereits absehbar ist, dass es auch Verlierer geben wird, wenn das Abkommen gelingt. „Drittländer haben negative Konsequenzen zu fürchten“, sagt Fendel. Wichtige Handelspartner wie Russland oder China könnten das Nachsehen haben. Wenn bislang ein asiatisches Unternehmen ein Produkt für den EU-Markt günstiger anbieten konnte als eine amerikanische Firma, könnte nach dem Wegfall der Zölle durch TTIP das US-Unternehmen plötzlich der günstigere Anbieter sein.

„Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder die Drittländer orientieren sich dann anders, oder es gibt einen Dominoeffekt, wie es ihn in Europa gegeben hat, und noch mehr Länder werden Freihandelsabkommen schließen“, erklärt Fendel. Dass sowohl die EU als auch die USA jetzt bei den TTIP-Verhandlungen Gas geben (das Abkommen soll 2016 stehen), könnte auch ein Hinweis darauf sein, dass sich beide unabhängiger von China und Russland machen wollen. Fendel sieht es noch globaler. „Die traditionellen Industrien verlieren Boden gegenüber aufstrebenden Ländern aus Asien. Sicher stecken da auch strategische Überlegungen in TTIP drin.“

Investorenschutz: Experten fordern Reformen für die Schiedsgerichte

Während das Chlorhühnchen bei den Verhandlungen kein Thema mehr ist – die EU verbannte es nach Protesten -, konzentriert sich die Kritik mittlerweile auf den Investorenschutz. Über diesen strittigen Punkt liegen auch die Verhandlungen zwischen den USA und der EU auf Eis. Eine Klausel in TTIP für Investorenschutz würde es Firmen erlauben, Staaten zu verklagen, wenn sie sich ungerecht behandelt fühlen.

In der Theorie soll das Firmen beispielsweise vor Verstaatlichung schützen. In der Praxis kommt es aber auch immer wieder vor, dass Konzerne gegen missliebige Gesetze klagen. So fordert derzeit Vattenfall von der Bundesregierung Schadensersatz in Milliardenhöhe, weil Deutschland nach Fukushima den beschleunigten Atomausstieg beschloss. In Ägypten klagte der französische Konzern Veolia, der in Kairo die Müllentsorgung abwickelt, gegen die Erhöhung des Mindestlohnes. Entschieden werden solche Prozesse von Schiedsgerichten – ein weiterer Kritikpunkt der TTIP-Gegner. Auch Ökonomen, die Freihandel grundsätzlich positiv gegenüberstehen, fordern für diese Gerichte eine Reform. „Diese Verfahren sind bisher sehr intransparent. Da dringt nichts nach draußen“, sagt Fendel.

Bisher entscheiden in solchen Gerichten keine hauptberuflichen Richter über den Ausgang des Verfahrens, sondern Experten. Deshalb gibt es Ökonomen, die fest angestellte Richter und ein eigenes Regelwerk für die Schiedsgerichte fordern. „Eine Beteiligung von hauptberuflichen Richtern würde nicht schaden. Es gibt kein ökonomisches Argument dagegen“, sagt Fendel.

Bei einer nicht repräsentativen Internetkonsultation zum Thema TTIP hatten sich 97 Prozent der beteiligten EU-Bürger gegen den Investorenschutz ausgesprochen. Kritiker befürchten, dass Unternehmen Einfluss auf politische Entscheidungen nehmen könnten. Fendel sieht das gelassener: „Die EU hat mehr als 1400 solche Vereinbarungen getroffen. Das ist nichts Ungewöhnliches.“

Hintergrund: Freihandel mit der EU

Ceta: Das Freihandelsabkommen zwischen Kanada und der EU wurde ab 2009 verhandelt. Ceta beinhaltet auch den umstrittenen Investorenschutz. Das Abkommen gilt als Blaupause für TTIP.

FTA: 2010 schloss die EU ein neues Handelsabkommen mit Südkorea. Zölle fielen und etliche Handelshemmnisse wurden beseitigt.

Cefta: Dieses Abkommen besteht zwischen sieben mitteleuropäischen Staaten, um Zölle und Handelshemmnisse abzubauen. Die Mitgliedschaft in Cefta gilt als Vorbereitung für einen möglichen Beitritt zur Europäischen Union.