Berlin

Edathy-Affäre holt die SPD ein

Zwei Gesichter einer Affäre: Links der frühere SPD-Bundestagsabgeordnete Sebastian Edathy, der über eine Kinderporno-Affäre stolperte, rechts der SPD-Abgeordnete Michael Hartmann, der ihn über Ermittlungen informiert haben soll und der selbst die Folgen einer Drogenaffäre zu überstehen hat.
Zwei Gesichter einer Affäre: Links der frühere SPD-Bundestagsabgeordnete Sebastian Edathy, der über eine Kinderporno-Affäre stolperte, rechts der SPD-Abgeordnete Michael Hartmann, der ihn über Ermittlungen informiert haben soll und der selbst die Folgen einer Drogenaffäre zu überstehen hat. Foto: dpa (2)

Minutenlang ruhen die Kameras auf Sebastian Edathy. Mehrere Dutzend Fotografen richten die Objektive auf den einstigen SPD-Bundestagsabgeordneten, als ließe sich in einer Geste oder einem Gesichtsausdruck die Wahrheit ablesen. Seit Februar war Edathy, gegen den wegen des Erwerbs von kinderpornografischem Material ermittelt wird, abgetaucht. Jetzt will er „reinen Tisch machen“, „einen Beitrag zur Aufklärung leisten“, sich erklären.

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Sein Auftritt vor der Bundespressekonferenz in Berlin ist umstritten. Dürfen Journalisten einem ehemaligen Politiker ein Forum bieten, gegen den im Zusammenhang mit Kinderpornografie ermittelt wird? Auch Edathy wird im Vorfeld kritisiert. Bundestagspräsident Norbert Lammert hält es für „unpassend“, dass er sich vor der Anhörung im Untersuchungsausschuss des Bundestages den Journalisten erklärt.

Edathy hat sich kaum verändert. Seine Züge sind schmaler geworden, sein Auftreten aber ist zu Beginn glatt, verbindlich, unnahbar. So kennt man ihn. Der Mann, der im politischen Betrieb kaum enge Freunde hatte und überzeugt ist, dass es die nicht geben kann, kann auch aufbrausend und unkontrolliert sein. Zuletzt hat er sich nur noch über Facebook mit juristischen Spitzfindigkeiten zu Wort gemeldet. Jetzt sitzt er vor etwa 200 Journalisten, selbstbewusst wie einst als Vorsitzender des NSU-Untersuchungsausschusses. Er ist offenbar nicht gekommen, um eine reumütige Erklärung abzugeben. Wofür dann?

Edathy sieht sich als Opfer

In den folgenden zwei Stunden der Befragung wird deutlich, dass er sich als Opfer eines fragwürdig agierenden Rechtsstaats begreift. Dass er nichts mehr zu verlieren hat und sich deshalb auch früheren politischen Vertrauten wie dem Mainzer Abgeordneten Michael Hartmann und SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann nicht verpflichtet fühlt. Dass er die Hoffnung hegt, ein neues Leben beginnen zu können. Er fragt: Was sollte ein Mensch wie er noch für einen Grund haben, nicht die Wahrheit zu sagen?

„Ich weiß, ich habe viele Menschen enttäuscht. Das tut mir aufrichtig leid“, gesteht er eingangs. Es werden seine einzigen Sätze sein, in denen es einen Anflug von Selbstkritik gibt. Über die Qualität der Filme der kanadischen Firma, bei der er „Jahre zuvor“ und „ganz legal mit meinem Namen und meiner Kreditkarte“ die fragwürdigen Aufnahmen bestellt haben will, wird er nichts sagen. „Es ist kriminalistisch bestätigt, dass es sich nicht um strafrechtlich relevante Aufnahmen handelt“, sagt er nur. Er erklärt sich wie ein Jurist vor Gericht. Dabei ist er Soziologe, wie er selbst während der Pressekonferenz betont.

Was juristisch korrekt ist, kann menschlich und moralisch trotzdem fragwürdig sein. Edathy bezeichnet es lediglich als „falsch“, die Filme bestellt zu haben. Auch nach mehrmaliger Nachfrage fällt kein Wort der Reue.

Als ein Journalist wissen will, ob er, Edathy, pädophil ist, verliert er kurz die Fassung. „Sind Sie pädophil?“, blafft er zurück. „Es geht Sie nichts an, was ich bin.“

Dünnhäutig

Er ist der Überzeugung, dass das Bekanntwerden der Ermittlungen gegen ihn Rechtsbruch war. Hier sieht sich einer als Opfer der Geschichte, nicht als Täter. Als eine Journalistin wissen will, wie er mit der Tatsache umgeht, dass Kinder, die für pornografische Filme missbraucht werden, schwer traumatisiert sind, verliert Edathy völlig die Beherrschung. Er faucht: „Sie können sich ja die letzten zwei Stunden meiner Erklärung noch mal bei Phoenix angucken.“ Solche Ausfälle kann er sich kaum leisten. In der Bewertung seiner Version der Geschichte wird es darauf ankommen, für wie glaubwürdig sie gehalten wird. Abgeordnete sind auch nicht die „Crème de la Crème der Unfehlbaren“, sagt Edathy. Etwas anderes könne niemand ernsthaft erwarten. Was aber kann man erwarten von einem Volksvertreter?

Edathy sieht sich als Opfer der Berichterstattung der vergangenen Monate. „Ich habe einen hohen Preis gezahlt für das, was ich gemacht habe“, sagt er.

Souverän, detailliert, zwischendurch lächelnd, berichtet Edathy dagegen von den Verwicklungen seines langjährigen politischen Gefährten Michael Hartmann. Er versichert in einer eidesstattlichen Erklärung, die er in Teilen vorliest, dass Hartmann ihn bereits im November vergangenen Jahres über die Ermittlungen gegen ihn informiert hat. Dass er fortan mit Hartmann einen „sehr intensiven Austausch“ gepflegt hat. Er sagt, dass er Hartmann nicht „mitreingezogen hätte, wenn es möglich gewesen wäre“. Wenn er seine Aussagen belegen kann, hat sich Hartmann der Strafvereitlung schuldig gemacht. Edathy ist entschlossen, bei dieser Version zu bleiben.

Gegen Ende wirkt er fast gelöst. Er sagt, dass er noch mindestens zwei Zigaretten rauchen möchte, bevor der Untersuchungsausschuss beginnt. Er sagt, dass er um Respekt bittet dafür, dass er sein Leben nicht „auf dieses Thema beschränken lassen möchte“. Als noch einmal jemand versucht, etwas über die Art der Aufnahmen zu erfahren, ruft er forsch: „Where is the fucking problem?“ Zu Deutsch heißt das: Wo ist denn eigentlich das verdammte Problem? Er blickt in den Raum, als hoffe er ernsthaft auf Verständnis.

Rena Lehmann