Istanbul

Die Türkei im Krieg: Wie reagiert die Nato?

Nach den Angriffen der Türkei auf kurdische Milizen kam es in Istanbul zu heftigen Regierungsprotesten. Die Polizei löste die Demonstrationen teilweise gewaltsam auf.
Nach den Angriffen der Türkei auf kurdische Milizen kam es in Istanbul zu heftigen Regierungsprotesten. Die Polizei löste die Demonstrationen teilweise gewaltsam auf. Foto: dpa

Vor einer Sondersitzung der Nato hat die Türkei den militärischen Druck auf die Kurden sowohl im Irak als auch in Syrien mit neuen Angriffen verstärkt.

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Im Kriegsgeschehen in Syrien im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) ist ein sogenannter Sicherheitskorridor entlang der Grenze zur Türkei geplant, den syrische Flüchtlinge nutzen können. Dafür sollen US-Kampfflieger, syrische Rebellen und das türkische Militär in der Region eng kooperieren.

Türkische Panzer beschossen den von kurdischen Milizen gehaltenen Ort Sor Maghar im Norden Syriens, meldete die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte. Das Dorf wird von kurdischen Volksschutzeinheiten (YPG) und gemäßigten Rebellen kontrolliert. Türkische F-16 Kampfjets griffen am Sonntagabend zudem erneut Stützpunkte der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK im Nordirak an. Die PKK erklärte daraufhin, dass drei ihrer Kämpfer getötet wurden. Antworten auf die wichtigsten Fragen:

Warum schwächt die Türkei die PKK und die kurdische Miliz YPG, wenn sie doch besonders effektiv gegen IS kämpfen will?

Die PKK ist für die Türkei eine Bedrohung. Ankara sieht sie als Terrororganisation, genauso wie den Islamischen Staat. Das gilt auch für die mit den PKK verbundenen kurdischen Volksschutzeinheiten (YPG). Die türkische Führung befürchtet die Gründung eines Kurdenstaats in Nordsyrien. Denn wenn das gelingt, könnten das auch die Unabhängigkeitsbestrebungen der Kurden in der Türkei beflügeln.

Wie ist das Verhältnis zwischen der PKK und den Kurden im Nordirak, die im Kampf gegen den IS Waffen aus Deutschland erhalten?

Der Präsident der kurdischen Autonomiegebiete im Nordirak, Massud Barsani, und seine Demokratischen Partei Kurdistans (KDP) haben traditionell ein angespanntes Verhältnis zur PKK. Dennoch unterstützten PKK-Einheiten die kurdisch-irakischen Peschmerga im Kampf gegen den IS. Die irakischen Kurden dürften aber kein Interesse haben, dass die PKK Waffen in die Hände bekommt, die Deutschland und andere Staaten an die Peschmerga liefern.

Wie steht die Nato zu den Einsätzen der Türkei?

Eine Nato-Sprecherin erklärte vor der Sondersitzung, die von der Türkei einberufen wurde: „Dieses Treffen ist ein Zeichen der starken Solidarität mit der Türkei. Und es zeigt, dass das Bündnis die Entwicklungen sehr aufmerksam verfolgt.“ Dass sich die Türkei auf Artikel 4 des Nordatlantikvertrages berief, als es um das Treffen bat, deutet darauf hin, dass zunächst um einen Informationsaustausch zwischen den Mitgliedern geht.

In der Nato werden die türkischen Angriffe auf kurdische Lager sehr genau beobachtet. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg warnte den türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu davor, mit den Luftangriffen gegen die PKK den Friedensprozess mit den Kurden zu gefährden. In einem Interview des norwegischen Rundfunks NRK sagte Stoltenberg, dass die Türkei das Recht hat, sich gegen Terroranschläge zu verteidigen. Allerdings sollten die Maßnahmen verhältnismäßig sein.

Während die Türkei gegen den IS und kurdische Milizen kämpft, kommt in Istanbul immer wieder zu Protesten.  Foto: dpa
Während die Türkei gegen den IS und kurdische Milizen kämpft, kommt in Istanbul immer wieder zu Protesten.
Foto: dpa

Welche Meinung vertritt Deutschland?

Die Bundesregierung sieht in dem Konflikt der Türkei mit der Terrororganisation IS derzeit keine Grundlage für einen Nato-Einsatz. Der deutsche Außenminister Frank Walter Steinmeier sagte, dass sein türkischer Kollege Mevlut Cavusoglu ihm am Telefon zugesichert hat, dass Ankara weiterhin an einer Fortsetzung des Friedensprozesses mit den Kurden interessiert ist. Steinmeier sagte ihm „gemeinsame Anstrengungen“ im Kampf gegen den IS zu. Ziel bleibt nach Steinmeiers Ansicht, dass sich die Terrormiliz nicht weiter in der Region ausbreitet.

Angesichts des Vorgehens türkischer Militärs gegen Kurden fordert der stellvertretende Linke-Vorsitzende Tobias Pflüger den sofortigen Abzug der deutschen Patriot-Raketen aus der Türkei. „Dies muss unverzüglich geschehen, anderenfalls macht sich die Bundesregierung mitschuldig an der türkischen Eskalationsstrategie und zieht Deutschland – via Nato – in diesen Krieg“, sagte Pflüger in einer Erklärung. Mit Blick auf das einberufene Sondertreffen der Nato rief er die Bundesregierung auf, eine Billigung der türkischen Militäreinsätze vor allem gegen Kurden zu verhindern.

Spekuliert Erdogan wegen der schwierigen Regierungsbildung auf Neuwahlen und bringt sich mit Härte in Stellung?

Die prokurdische Oppositionspartei HDP wirft Erdogan genau das vor. Allerdings ist das reine Spekulation. Die Regierungsbildung in der Türkei war schon vor den Luftschlägen und der Verschärfung des Konflikts schwierig. Sollte es tatsächlich zu Neuwahlen kommen, könnte die HDP aus dem Parlament fliegen. Das würde die AKP stärken und damit auch den Staatspräsidenten Erdogan. Die HDP hatte bei den Wahlen am 7. Juni erstmals die 10-Prozent-Hürde überwunden.

Wie reagiert die türkische Bevölkerung?

Generell sind viele besorgt und haben Angst vor IS-Anschlägen auch in der Westtürkei. Das würde vor allem den Tourismussektor treffen.