Die brüchige Waffenruhe in der Ukraine

Kein bisschen Frieden: In der Stadt Slaviansk steht ein Mann in den Trümmern seines Hauses.
Kein bisschen Frieden: In der Stadt Slaviansk steht ein Mann in den Trümmern seines Hauses. Foto: AFP

Kaum ist die Waffenruhe in der Ostukraine in Kraft, steht sie schon wieder auf der Kippe. Ein schwerer Zwischenfall könnte alle Friedensbemühungen zerstören. Nach dem Abschuss eines Militärhubschraubers durch prorussische Separatisten, bei dem neun Menschen ums Leben kamen, drohte Präsident Petro Poroschenko den Aufständischen mit einer Aufhebung der Feuerpause. Die Separatisten warfen der ukrainischen Armee im Gegenzug vor, Stellungen mit Artillerie zu beschießen.

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Präsident hat noch Hoffnung

Erst am Montag hatten sich die prorussischen Kräfte der von Poroschenko am Freitag erklärten einwöchigen Waffenruhe angeschlossen. Und zumindest der Präsident scheint auch noch an eine politische Lösung des Konfliktes zu glauben. Sein Friedensplan habe Vorrang, sagte Poroschenko in einem Telefonat mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU). In dem Gespräch, an dem auch Frankreichs Präsident François Hollande teilnahm, einigten sich die Regierungschefs zudem darauf, dass die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) künftig bei der Kontrolle des Waffenstillstands und der Grenzen im Osten der Ukraine mitwirkt.

Ein Zeichen der Entspannung setzte derweil Russland: Der Föderationsrat in Moskau hob die Vollmacht für Kremlchef Wladimir Putin zum möglichen Einmarsch in die Ukraine auf. 153 Abgeordnete stimmten für den Antrag Putins, es gab eine Gegenstimme. Der Föderationsrat hatte Putin die Erlaubnis zur Militärintervention am 1. März 2014 auf dem Höhepunkt der Krim-Krise erteilt. Der Präsident hatte dies damit begründet, dass russische Bürger im krisengeschüttelten Nachbarland geschützt werden müssten. Putin hatte davor gewarnt, die Rücknahme der Vollmacht als nachlassendes Engagement Russlands in dem Konflikt zu deuten. Moskau werde die Interessen der russischen Bürger in der Ukraine schützen. „Wir hoffen aber, dass wir dafür keine Waffen brauchen werden“, sagte Putin.

Igor Strelkow

Denis Puschilin

Waleri Bolotow

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Andrej Purgin

Die Aufständischen in der Ostukraine bedauerten die Entscheidung. „Russland sollte im Druck auf die Führung in Kiew nicht nachlassen und Friedenssoldaten nach Donezk und Lugansk entsenden“, forderte der Separatistenanführer Pawel Gubarew. Föderationsratschefin Valentina Matwijenko wies dies zurück. „Das ist eine innenpolitische Krise“, betonte sie.

Die Rücknahme der Erlaubnis zur Militärintervention solle die Lage in der Ukraine weiter entspannen, hieß es von russischer Seite. „Es ist ein positives Signal an unsere westlichen Partner“, erklärte der Vizevorsitzende des Föderationsrates, Iljas Umachanow.

Doch denen gehen die Worte nicht weit genug: Die Außenminister der 28 Nato-Staaten verlangten von Moskau, die Waffenlieferungen und die Einreise von Kämpfern in das Nachbarland zu unterbinden und die Unterstützung bewaffneter Separatistengruppen einzustellen. Zudem solle die russische Regierung aktiv dabei helfen, den Friedensplan des ukrainischen Präsidenten Poroschenko umzusetzen. „Die Frist ist sehr klar: Unverzüglich“, sagte Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen auf die Frage, wann er von Russland konkretes Handeln erwarte.

Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) rief zur Fortsetzung der Friedensbemühungen auf. „Wir dürfen nichts unversucht lassen, die kleinsten Chancen zu nutzen“, sagte er. In einem Telefonat mit seinem russischen Kollegen Sergej Lawrow forderte Steinmeier von Moskau aber erneut ein „klares öffentliches Signal der Deeskalation“.

US-Außenminister John Kerry sagte zwar: „Wir sind hocherfreut über Russlands Verzicht auf die Einmarscherlaubnis.“ Das sei ein wichtiger und großer Schritt. „Aber er könnte in zehn Minuten rückgängig gemacht werden – und jeder weiß das“, relativierte Kerry.

Putin sollte einschreiten

Ein wirklicher Fortschritt wäre, wenn Putin öffentlich die Separatisten auffordern würde, die Waffen niederzulegen, seine Diplomaten zur Mithilfe bei der Räumung besetzter Gebäude anweisen, aktiv zur Entwaffnung beitragen und Verhandlungen mit der Ukraine organisieren würde. Solange es solche Schritte nicht gebe, bereiteten die USA schärfere Sanktionen gegen Russland vor. Bereits in der vergangenen Woche hatten die USA gegen sieben prorussische Separatistenführer in der Ukraine Sanktionen verhängt, darunter Denis Puschilin, Igor Strelkow sowie Waleri Bolotow und Andrej Purgin.

Schätzungen der Vereinten Nationen zufolge wurden seit Mitte April mindestens 423 Menschen im Ukraine-Konflikt getötet. Diese Zahl nannte der Untergeneralsekretär für Menschenrechte, Ivan Simonovic, im Sicherheitsrat in New York unter Berufung auf offizielle Quellen. Bei den zwischen dem 15. April und dem 20. Juni Getöteten handelt es sich demnach sowohl um Soldaten als auch um Zivilisten. Simonovic zufolge hat sich die Situation in der Ukraine zuletzt verschlechtert. Er begründete dies unter anderem mit einer höheren Zahl an Waffen im Konfliktgebiet sowie der weiteren Rekrutierung von Kämpfern.