London

Boris Beckers Wimbledon-Sieg 1985: Als ein 17-Jähriger den heiligen Rasen eroberte

Boris Becker schrieb 1985 in Wimbledon Sportgeschichte.
Boris Becker schrieb 1985 in Wimbledon Sportgeschichte. Foto: dpa

Ein präziser Aufschlag, der Gegner eilt hinterher, doch er streift den Ball nur noch. Boris Beckers Arme schießen zur Jubelpose in die Höhe. Er streckt sich, versinkt in Rücklage. Aus seinem Gesicht spricht die Freude.

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Von unserem Reporter Christoph Erbelding

Die Sekunden ziehen vorbei an diesem 7. Juli 1985 im Südwesten Londons, doch im Sport können Augenblicke Großes auslösen. In diesem Moment hat Boris Becker, ein 17-Jähriger aus Leimen, im Finale von Wimbledon Tennisgeschichte geschrieben. Das ist ihm vielleicht noch nicht bewusst, als er seinem Gegner Kevin Curren die Hand schüttelt und den Applaus genießt. Das Ergebnis aber ist eindeutig: 6:3, 6:7, 7:6, 6:4. Spiel, Satz und Sieg Becker. Ein Meilenstein in der deutschen Sporthistorie.

30 Jahre liegt dieser erste Wimbledon-Sieg Boris Beckers mittlerweile zurück. Ein Erfolg, von dem etliche Zeitzeugen heute noch wissen, wo sie ihn verfolgt haben. Auch Heiner Gillmeister gehört dazu: „Ich war auf einem Kongress in Schottland, wir haben ihn extra unterbrochen, um das Spiel zu schauen.“ Gillmeister hat als Sporthistoriker an der Universität Bonn gelehrt und etliche Werke über den Tennissport veröffentlicht.

Aus der Ferne hatte der heute 76-Jährige registriert, wie in Deutschland mit Beckers Siegeszug zunächst verhalten umgegangen wurde: „In England war Becker direkt ein Held gewesen, aber hier hatte das in den ersten Runden keine große Bedeutung. Mit dem Sieg im Finale hat sich die Wahrnehmung von einer Sekunde auf die nächste komplett geändert.“ Plötzlich war Deutschland im Tennis-Fieber. Und das für mehrere Jahre. Weil neben Becker auch Steffi Graf und Michael Stich auftrumpften.

Und heute? „Heute können wir uns freuen, wenn ein über 30-jähriger Philipp Kohlschreiber ein Provinzturnier gewinnt. Das war's“, sagt Heiner Gillmeister. Den freilich überspitzten, gar ein wenig sarkastischen Ausführungen des Historikers wohnt ein wahrer Kern inne. In der Woche vor der diesjährigen Wimbledon-Auflage belegten die drei erfolgreichsten deutschen Männer in der Weltrangliste die Plätze 33, 51 und 76. Bei den Frauen standen in Angelique Kerber, Andrea Petkovic und Sabine Lisicki drei Spielerinnen immerhin unter den ersten 20. Wenn es um die großen Titel geht, sind jedoch auch sie fast immer außen vor. Einzig Lisicki stand 2013 einmal im Wimbledon-Finale. In diesem Jahr schaffte es kein Deutscher über die dritte Runde hinaus.

Gillmeister vermisst bei vielen Talenten den Drang nach ganz oben. „Man muss sich quälen. Bei vielen regiert die Bequemlichkeit.“ Außerdem habe der Deutsche Tennis Bund (DTB) mögliche Potenziale verkannt: „Man hat es nicht verstanden, äußere Einflüsse zu nutzen. Boris Becker war eigentlich das richtige Beispiel. Er hat unter seinem Manager Ion Tiriac gearbeitet, einem internationalen Fachmann. Solche Einflüsse gab es viel zu selten.“

Klaus Eberhard, dem Sportdirektor des DTB, ist diese Sichtweise zu negativ. Dass es dem Sport ab der Jahrtausendwende nicht so gut ging nach dem Ende einer Goldenen Ära, dass Zuschauer ausblieben, Mitgliederzahlen sanken, daraus macht er zwar keinen Hehl und sagt: „Unser Pech – in Anführungszeichen – war es, dass Becker, Graf und Stich zeitgleich gespielt haben. Wer weiß, wie es gewesen wäre, wenn sie in zeitlichem Abstand zueinander aktiv gewesen wären.“ Vorwürfen, wie sie Gillmeister äußert („Man hat es verpasst, im Kielwasser der Großen neue Spitzenspieler nachzuziehen“), tritt der DTB-Funktionär aber entgegen: „Das wird den Leistungen von Tommy Haas, Nicolas Kiefer und Rainer Schüttler nicht gerecht. Die drei standen unter den besten fünf in der Welt.“

Mittlerweile, betont Eberhard, geht es dem Tennis in Deutschland wieder besser: „Die Mitgliederzahlen stabilisieren sich langsam, die Davis-Cup- und Fed-Cup-Spiele waren zuletzt ausverkauft, und in Alexander Zverev steht ein großes Talent am Beginn seines Weges.“ Der 18-Jährige feierte Ende Juni in Wimbledon sein Grand-Slam-Debüt und bezwang beim Vorbereitungsturnier in Buckinghamshire sogar Novak Djokovic, die Nummer eins der Welt. Die übrigens mittlerweile von Boris Becker trainiert wird, der seit 2014 wieder im internationalen Tennisgeschäft mitmischt.

Ob nun kritisch oder optimistisch – in einem Punkt sind sich Gillmeister und Eberhard einig: Eine „Mondlandung“, so bezeichnet Eberhard Beckers Erfolg im Jahr 1985, wird es wohl nie wieder geben. „Die Gesamtumstände mit einem 17-Jährigen als Wimbledon-Champion kann man nicht wiederholen.“ Was bleibt, sind die Erinnerungen. An den Aufschlag. Den Jubel. Das Historische.