Deutschland

Außenpolitik: Deutschland sucht seine neue Rolle in der Welt

Die kurdischen Kämpfer im Irak erhalten von Deutschland Waffen im Wert von 70 Millionen Euro, um gegen die Terrormiliz IS zu kämpfen. Kritiker befürchten aber, dass die Waffen in falsche Hände geraten könnten. Foto: afp
Die kurdischen Kämpfer im Irak erhalten von Deutschland Waffen im Wert von 70 Millionen Euro, um gegen die Terrormiliz IS zu kämpfen. Kritiker befürchten aber, dass die Waffen in falsche Hände geraten könnten. Foto: afp

Es war eine kuriose Parallele der Geschichte. Am 1. September hat Deutschland den „Weltfriedenstag“ begangen. Seit Mitte der 60er-Jahre wird an diesem Tag des Überfalls der Wehrmacht auf Polen und damit des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs am 1. September 1939 gedacht. Das ist 75 Jahre her.

Lesezeit: 3 Minuten
Anzeige

Von unserer Berliner Korrespondentin Eva Quadbeck

Ausgerechnet an diesem Gedenktag traf sich der Bundestag zu einer Sondersitzung, um über Waffenlieferungen an die Kurden im Irak zu beraten. Oppositionsführer Gregor Gysi warf der Regierung Stillosigkeit vor. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) bezog das Datum in ihre Regierungserklärung ein, wie auch viele Redner nach ihr. Sie leitete daraus aber vielmehr die „immerwährende geschichtliche Verantwortung“ Deutschlands ab und die Pflicht des Landes, eine friedliche europäische Nachkriegsordnung zu verteidigen.

Daher ging es an diesem Montagmittag im Bundestag nicht nur um Gewehre und Panzerabwehrwaffen, die die Regierung den Kurden im Irak für ihren Kampf gegen die Terrormiliz IS (Islamischer Staat) liefern will. Es ging auch um die Fragen, wie sich Deutschland gegenüber der Ukraine und Russland positioniert und welche Rolle die ökonomisch starke und demokratisch gefestigte Nation im Herzen Europas international übernehmen soll.

Die Kanzlerin machte deutlich, dass Deutschland weder das Morden des IS noch die Grenzverletzung der Russen hinnehmen kann. „Der Isis-Terror kann uns in vielerlei Hinsicht nicht kalt lassen. Seine Expansion muss aufgehalten werden“, sagte die Kanzlerin und verwies auch auf die direkte Bedrohung für Deutschland, die von den 400 Dschihadisten mit deutschem Pass in den Reihen des IS ausgeht. Zu den Grenzverletzungen der Ukraine durch Russland sagte Merkel: „Der Bruch des Völkerrechts darf nicht ohne Folgen bleiben.“

Deutschland übernimmt mehr Verantwortung in der Welt

Mit ihren Worten und ihrem Einsatz für die Waffenlieferungen demonstrierte die Kanzlerin, dass Deutschland auf dem internationalen Parkett eine neue Rolle einnimmt. Bislang haben sich die Deutschen aus den meisten Konflikten mit der Begründung herausgehalten, dass man mit Blick auf die eigene Geschichte keine bewaffneten Konflikte eingeht. Nun wird umgekehrt argumentiert.

Allerdings wurde mit diesem Prinzip erstmals 1999 mit dem Kriegseinsatz im Kosovo gebrochen. Die Leitlinie einer eher defensiven Krisenpolitik blieb aber bestehen. So galt eine Grundfeste, dass Deutschland keine Waffen in Krisenregionen liefert. Mit den nun beschlossenen Lieferungen von Kriegsausrüstung und Waffen im Wert von bis zu 70 Millionen Euro liefert die Bundesrepublik erstmals Waffen in ein Krisengebiet, die direkt für das Töten des Feindes eingesetzt werden sollen. Das ist neu.

Neue Option in der Außenpolitik eröffnet

Die Verantwortlichen wehren sich dennoch dagegen, von einem Paradigmenwechsel in der Außenpolitik zu sprechen, was wiederum verständlich ist. Denn in der Zukunft soll es im Fall von Krisenherden ja nicht um die Frage gehen: Welche Waffen liefern wir und wie viele? Vielmehr wurde der Instrumentenkasten der Außenpolitik nicht ausgetauscht, sondern um eine Option erweitert: die Möglichkeit, in ein Krisengebiet an nicht-staatliche Regionalmächte Waffen zu liefern. Die Entscheidung, die der Bundestag mit seinem Entschließungsantrag flankiert hat, wird nicht in Serie gehen. Die Redner der Regierungsparteien im Parlament machten die Ausnahmesituation deutlich: Die unvorstellbare Grausamkeit des IS und die mögliche Bedrohung auch für die innere Sicherheit in Deutschland haben zusammengenommen die Entscheidung für Waffenlieferungen herbeigeführt. „Das liegt in unserem Verantwortungsbereich“, sagte die Kanzlerin. SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann betonte, Deutschland könne nicht wegschauen, wenn sich im Nahen Osten ein Terrorstaat etabliert, der Millionen Menschen gefährdet. In seiner Fraktion hatten vor der Bundestagssitzung noch viele Abgeordnete ihre Bedenken gegen die Waffenlieferungen geäußert.

Das schwerwiegendste Argument gegen die Waffenlieferungen, die Gefahr, dass die Gewehre und Panzerfäuste in falsche Hände geraten könnten, brachte die Opposition gleich mehrfach in die Debatte ein. Letztlich habe man auf die Verwendung keinen Einfluss mehr, sagte Linken-Fraktionschef Gregor Gysi. Sein Pendant von den Grünen warnte: „Niemand kann kontrollieren, wo diese Waffen am Ende landen oder zu welchem Zweck sie eingesetzt werden.“

Das Argument wischte die Regierung nicht vom Tisch, Merkel sagte aber: „Wir standen vor der Wahl, kein Risiko einzugehen, nicht zu liefern und letztlich die Ausbreitung des Terrors hinzunehmen. Oder diejenigen zu unterstützen, die verzweifelt, aber mutig, mit knappsten Ressourcen gegen den grausamen IS-Terror kämpfen.“

So eindeutig wie die große Mehrheit im Bundestag für den bewaffneten Kampf gegen den IS votierte, so klar wurde auch, dass es im Ukraine-Konflikt keinesfalls eine militärische Lösung geben kann. Gegen die Grenzverletzungen Russlands geht Merkel weiterhin mit scharfen Worten und ihrem Einsatz für weitere Sanktionen vor.

Zur neuen Verantwortung in der Außenpolitik gehört auch die humanitäre Frage. Schon immer waren die Deutschen gut im Organisieren von Hilfslieferungen. Laut Oppermann muss man darauf achten, dass die humanitäre Hilfe für diese Region immer deutlich höher sei als die Waffenhilfe.