Die frühere Gesundheitsministerin bringt an diesem Abend neben großer Empathie viel Geld mit ins katholische Studienhaus St. Lambert in Grafschaft-Lantershofen, dem Standort des schon seit dem 1. Dezember geöffneten Traumahilfezentrums: einen Bewilligungsbescheid über mehr als 766.000 Euro für das Projekt der Dr. von Ehrenwall'schen Klinik Ahrweiler und der DRK-Fachklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Bad Neuenahr. Das Geld sei bis Ende 2023 gedacht, „aber es ist völlig klar, und die Zusage des Landes steht: Diese Region wird so lange Unterstützung und Hilfe bekommen, wie sie dies braucht. Es wird noch lange dauern, bis für die Menschen im Ahrtal Normalität einkehrt. Es braucht Zeit und Zuwendung, um die seelischen Wunden zu heilen, die die Flutnacht erzeugt hat“, betont Dreyer. Tatsächlich ist das Zentrum auf einen längeren Zeitraum angelegt, bis zum Jahr 2026, sagt Scharping.
Und die Psychologin erläutert: „Das Traumahilfezentrum soll ein niederschwelliges Angebot sein – für Betroffene, für Helfer, für betroffene Helfer und helfende Betroffene. Es arbeiten Pflegekräfte, Soziotherapeuten, Psychologinnen und Ärztinnen mit.“ Neun Köpfe, vier Vollzeitstellen gibt es dafür in dem Traumahilfezentrum. „Wir bieten offene Sprechstunden an, in die jeder kommen kann, der Rat braucht. Es gibt spezielle offene Sprechstunden für Familien, Jugendliche und Helfer. Man kann Einzelberatungen mit Termin vereinbaren – sowohl als Flutopfer als auch als Helfer. In Gruppenveranstaltungen werden wir über Traumafolgen, Umgang mit Stress, Förderung der Resilienz informieren, hoffentlich Angst und Scham bezüglich seelischer Symptome mildern und gleichzeitig die Möglichkeit bieten, sich zu vernetzen und kennenzulernen.“
Bei der Eröffnung des Traumahilfezentrums im Ahrtal erläuterte die Leiterin der Einrichtung und Chefärztin der Dr. von Ehrenwall'schen Klinik in Ahrweiler, Dr. Katharina Scharping, was das Flut-Trauma mit den Betroffenen gemacht hat und wie dies behandelt werden kann.Wie die Flut-Erfahrung das Gehirn bis heute alarmiert
Damit nicht genug: Bereits vor der Eröffnung des Traumahilfezentrums war eine von Scharpings Kolleginnen im Beratungsbus der Kreisverwaltung vertreten, der gezielt Kindergärten, Schulen oder Firmen aufsucht, um dort Hilfe anzubieten. Diese aufsuchende Arbeit wird jetzt auch finanziell unterfüttert. Außerdem soll es – sobald die Corona-Beschränkungen dies wieder erlauben – ein offenes Café in Lantershofen für Betroffene und Helfer geben, um sich dort auszutauschen. Angedacht ist auch eine Supervision für Hausärzte, die oft die Ersten sind, denen Betroffene im Ahrtal ihr Herz ausschütten. Mit den Hausärzten gibt es laut Scharping bereits seit der Zeit unmittelbar nach der Flutkatastrophe einen Austausch über das Kreisärztenetz, um Betroffenen möglichst schnell eine Therapie oder ein Gespräch zu vermitteln.
„Durch die Förderung des Landes ist es für alle Bürger möglich, die Hilfen des Traumahilfezentrums kostenfrei und ohne Krankenkassenkarte in Anspruch zu nehmen. Es gibt Hilfe und Beratung ohne Diagnose“, unterstreicht die Psychologin. Stelle sich während einer Beratung oder Sprechstunde im Zentrum heraus, dass jemand psychotherapeutische Hilfe in Anspruch nehmen will, helfe man bei der sonst oft schwierigen Vermittlung in die Regelversorgung.
Ministerpräsidentin Dreyer betont: „Die Türen des Traumahilfezentrums sind für alle Menschen geöffnet, die ihre traumatischen Erlebnisse bearbeiten müssen. Und da die furchtbaren Erlebnisse generationenübergreifend stattgefunden haben, müssen die Türen auch generationenübergreifend geöffnet sein.“ Daher sei es so wichtig, dass die DRK-Fachklinik ihre Expertise bei der Behandlung von Kindern und Jugendlichen in die Arbeit des Zentrums einbringe. „Dieses Projekt ist in Deutschland einzigartig.“
Wie groß der Bedarf nach psychologischer Hilfe ist, zeigt sich daran, dass schon in der ersten Dezemberwoche alle Termine im Traumahilfezentrum ausgebucht sind. Wie viele Menschen aus dem Ahrtal Hilfe brauchen werden, das lässt sich wohl noch nicht ermessen. Während Scharping von 10 Prozent der Betroffenen spricht, die länger als vier Wochen unter Traumafolgestörungen leiden, hatte der leitende Psychologe der Dr. von Ehrenwall'schen Klinik, Markus Schmitt, im Interview mit unserer Zeitung gesagt: „Jetzt sind im Ahrtal mehr als 40.000 Menschen von traumatischen Ereignissen betroffen. Mindestens 40 Prozent davon, also mehr als 15.000 Menschen, werden psychiatrisch behandlungsbedürftig sein.“
Wie sehr die Flutkatastrophe auch bei jenen Spuren hinterlassen hat, die unbeschadet geblieben sind, weil sie etwa auf den Höhen des Ahrtals leben, das schildert Friedhelm Münch, Beigeordneter im Kreis Ahrweiler. Menschen wie er blickten auf das Leid im Ahrtal und schämten sich. Menschen wie er sagten daher: „Wir klagen nicht mehr, wir haben keinen Grund zur Klage.“ Und Münch ist überzeugt, dass all jene, die trotz Traumatisierung fünf Monate lang „so stark waren, so geschafft haben, in dieser dunklen Jahreszeit, wenn sie allein sind, verzweifeln. Die Betroffenen fühlen sich jetzt oft hilflos, ohnmächtig und mit Kleinigkeiten überfordert.“ Dazu trage auch bei, dass es zwar nicht an der finanziellen Unterstützung durch Bund und Land mangele, aber an Handwerkern und Material für den Wiederaufbau. Mit Blick auf die Kinder fragt der Kreisbeigeordnete die Ministerpräsidentin: „Kann man Kindern an der Ahr in der Schule eine Note geben für eine Leistung, die sie einfach nicht erbringen können?“
Der Geschäftsführer der Ehrenwall'schen Klinik, Dr. Christoph Smolenski, sieht in dem Traumahilfezentrum allerdings auch eine große Chance für die gesamte Region: „Wir können aus den chaotischen Zuständen, dem Trümmerfeld auch etwas Positives ziehen und den Mut haben weiterzumachen.“ Seine Chefärztin Dr. Katharina Scharping drückt es so aus: „Ich möchte gar nicht von Krankheit und Behandlung sprechen, sondern davon, was wir alle füreinander tun können und wie das Traumahilfezentrum helfen kann, die Netzwerke im Kopf aus dem Katastrophenzustand zurück in einen Alltagsmodus zu versetzen.“ Um Menschen wie ihrer Patientin ein Leben zu ermöglichen, in dem Regen keine Todesangst mehr auslöst.
Die wichtigsten Kontaktdaten und Infos zum Traumahilfezentrum finden Sie unter thz-ahrtal.de