SPD-Chef Klingbeil in Trier
„Wir können uns nicht wegducken“
Leger: Der SPD-Bundesvorsitzende Lars Klingbeil (SPD) kommt mit Händen in den Taschen zum Bürgerdialog "Klingbeil im Gespräch" in Trier.
Harald Tittel. Harald Tittel/dpa

SPD-Bundeschef Lars Klingbeil wirbt in Trier für den Koalitionsvertrag mit der Union – und breitet vor der Basis ein Friss-oder-stirb-Szenario aus. Ein prominenter Winzer ist überzeugt. Und wechselt das Parteibuch.

„Da musst du dich dran gewöhnen, dass ab jetzt alle Du zu dir sagen“, sagt der Alex (Schweitzer, Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz) zum Max (von Kunow, prominenter Winzer aus Konz). Denn der Max ist bei der FDP aus- und bei den Sozialdemokraten eingetreten und erhält an diesem Abend vom Alex sein rotes Parteibuch. Und unter Genossen duzt man sich eben. Noch lauter wird der Applaus, als der Lars (Klingbeil, SPD-Parteivorsitzender) mit leichter Verspätung im proppevollen Saal in der Europäischen Kunstakademie in Trier-West ankommt.

Die Stimmung ist also gut beim SPD-Bürgerdialog, mit dem die Bundesspitze für den mit der CDU/CSU vereinbarten Koalitionsvertrag der künftigen Bundesregierung werben will. Noch bis zum 29. April können die Genossen online darüber abstimmen, ob die SPD dem Vertrag letztlich unterzeichnet oder nicht.

Mit roten Socken zum SPD-Bürgerdialog.
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Die für Rheinland-Pfalz und das Saarland zentrale Diskussionsveranstaltung findet ausgerechnet an der Mosel statt, weil sein Team ihm gesagt habe, dass man die Organisation trotz Osterferien und knappen Vorlauf in Trier kurzfristig „hinbekomme“. Tatsächlich ist die SPD hier immer noch ein Brett: Während die CDU weiter keine Abgeordneten stellt, sitzt der Trierer SPD-Chef Sven Teuber im Landtag in Mainz, die gebürtige Konzerin Verena Hubertz ist nicht nur Bundestagsabgeordnete, sondern hat auch den Koalitionsvertrag mitverhandelt. Auch Ex-MdB und Ex-Staatssekretär Karl Diller aus Hermeskeil ist in der Europäischen Kunstakademie mit dabei. Landrat Stefan Metzdorf und Triers Oberbürgermeister Wolfram Leibe sowieso.

Selbst Ex-Oberbürgermeister Klaus Jensen, dessen öffentliche Auftritte in den vergangenen Jahren rar geworden sind, ist da. Seine Frau, Ex-Ministerpräsidentin Malu Dreyer, wirkt bei ihrem Appell an die Basis, dem Koalitionsvertrag zuzustimmen, stark und mitreißend. 250 Anmeldungen gab’s zu der öffentlichen Veranstaltung, Parteigenossen und Nicht-Mitglieder. Gekommen sind noch ein paar mehr, sodass auch der Nachbarsaal geöffnet wird, in den die Ansprachen von Teuber, Schweitzer, Klingbeil und Dreyer sowie die mehr als einstündige Diskussionsrunde per Video übertragen werden.

Lars Klingbeil sitzt neben der SPD-Bundestagsabgeordneten Verena Hubertz. Mit dabei sind auch der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Alexander Schweitzer und seine Amtsvorgängerin Malu Dreyer.
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2017, bei der letzten SPD-Abstimmung über eine Große Koalition, ging Kevin Kühnert, damals Bundeschef der Jusos, auf bundesweite No-GroKo-Tour. Die radikale Ansage der Nachwuchsorganisation der Partei damals: keine Zustimmung zu den mit den Christdemokraten verhandelten Zielen, sondern Erneuerung und strikte Sozialpolitik in der Opposition.

Diesmal sind die Vorzeichen – und damit auch die Stimmung – völlig anders. Dass die SPD-Basis dem aktuellen Koalitionsvertrag zustimmen wird, daran gibt es kaum Zweifel. Im Gegensatz zu 2017 zeichnet sich keine andere Mehrheit für eine Regierungsbildung ab. Und anders als damals – noch vor Corona, vor Krieg in Europa, vor Trump – geht es diesmal um so gut wie alles: Europa verteidigungsfähig machen, das Loslösen vom ehemaligen Verbündeten USA, die Wirtschaft in Schwung bringen und Migration so gestalten, dass das Thema die Gesellschaft nicht weiter auseinandersprengt. Und das Klima? Spielt auch beim gut 2,5-stündigen Bürgerdialog der SPD in Trier keine Rolle.

„Was die Leute nicht mehr wollen, ist Streit zwischen den Regierungsparteien auf offener Bühne. Die Menschen wollen, dass wir ihre Probleme lösen.“
Lars Klingbeil in Trier

Klar sei im Koalitionsvertrag nicht alles so geregelt, wie man sich das als Sozialdemokrat wünschen würde, sagt Klingbeil. „Aber unsere Verantwortung geht weit über unsere eigenen Ziele hinaus, wir können uns nicht wegducken.“ Man habe nicht alles erreichen können – dafür aber einiges verhindern können. Wäre es nach der CDU gegangen, wäre das Entwicklungsministerium abgeschafft worden, sagt Klingbeil

Auch bei der Migration habe die CDU einen härteren Kurs einschlagen wollen, als nun im Koalitionsvertrag vereinbart. Außerdem sei die SPD der Garant dafür, „dass die Brandmauer hält“, sagt Klingbeil. Dass die AfD zu behandeln sei wie jede andere Oppositionspartei – wie von Christdemokrat Jens Spahn kürzlich geäußert – sei mit den Sozialdemokraten „nicht zu machen“. Statt Gegensätze zu betonen, müsse es nun aber vor allem um den Zusammenhalt gehen. „Was die Leute nicht mehr wollen, ist Streit zwischen den Regierungsparteien auf offener Bühne. Die Menschen wollen, dass wir ihre Probleme lösen.“ Zu hoffen, dass ein Nein der SPD zum Koalitionsvertrag dazu führe, dass es Nachverhandlungen über mehr sozialdemokratische Inhalte gibt, sei falsch. „Ich glaube, dass es dann Neuwahlen oder eine Minderheitsregierung geben wird.“

In Trier fand der einzige SPD-Bürgerdialog für Rheinland-Pfalz statt.
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Das Friss-oder-stirb-Szenario liegt damit offen auf dem Tisch. So ganz lassen die Jungsozialisten sich davon allerdings nicht abschrecken. „Ich finde nicht, dass wir hier eine basisdemokratischere Entscheidung treffen“, kritisiert Susanna Hubo, Co-Vorsitzende der Trierer Jusos. „Vielmehr bekommen wir hier ein Produkt vorgestellt samt klarer Empfehlung, wie wir abstimmen sollen.“

Ein 14-Jähriger aus der Vulkaneifel, frisch eingetreten in die Partei, vermisst Aussagen dazu, wie die Abermilliarden, die die künftige Regierung für Bundeswehr und Infrastruktur ausgeben soll, zurückgezahlt werden sollen. „Ich tippe darauf, dass meine Generation das übernehmen muss – und habe noch nichts dazu gehört, wie das ausgeglichen werden soll“, sagt der Jugendliche. Eine junge Frau appelliert nachdrücklich, dem Koalitionsvertrag nicht zuzustimmen. „Ich glaube, dass Nachverhandlungen möglich sind und wir mehr erreichen können!“, sagt sie – der Applaus darauf fällt allerdings kaum hörbar aus.

Als der Bürgerdialog gegen 22.30 Uhr vorbei ist, wird Klingbeil von Dutzenden Genossen umringt. Fotos, Selfies, Schulterklopfen. Es ist Aufbruchstimmung, die sich verbreitet. Frisch eingetreten in die SPD ist übrigens nicht nur Winzer Max von Kunow. „Wir haben seit Jahresbeginn 35 Neuanmeldungen, allein im Stadtverband Trier“, sagt Sven Teuber. Doppelt so viele wie im ersten Quartal 24.

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