Mit seiner glaubwürdig wirkenden Aussage wirft er indirekt auch Fragen auf: Wo ist der Kanister geblieben? „Das war nicht mehr meine Sache.“ In einem kriminaltechnischen Gutachten des Bundeskriminalamts ist nur von Plastikresten die Rede, in einem Polizeibericht von 1991 von Teppichbodenresten mit starkem Benzingeruch. Ein Kanister wird in bisher verlesenen Dokumenten nicht erwähnt.
Feuer gelegt aus rassistischer Gesinnung
Der Zeuge gehört zu den Männern, die den zuvor in Todesangst schreienden Samuel Yeboah (27) mit schwersten Brandverletzungen gefunden hatten. Der 70-Jährige will durch Klopfzeichen auf den Mann aus Ghana im Obergeschoss aufmerksam geworden sein, ein Kollege „durch lautes Wimmern“. Die These des früheren Staffelführers der Feuerwehr Saarlouis-Fraulautern, der auch Berufsfeuerwehrmann in einem Automobilwerk war, lautet: Yeboah habe wohl etwas gehört und die Tür geöffnet. „In diesem Moment ist das Feuer oben reingeschossen.“ Das Treppenhaus habe die Flammen wie ein Kamin nach oben gezogen. Yeboah habe nur noch gestöhnt, als die Männer ihn fanden.
„In diesem Moment ist das Feuer oben reingeschossen.
Gelegt haben soll das Feuer der damals 20-jährige Peter S. – aus rassistischer Gesinnung. Der damalige Skinhead muss sich vor dem OLG wegen Mordes und 20-fachen versuchten Mord verantworten. Nach der Anklage der Bundesanwaltschaft hat er Benzin auf der Holztreppe des Heims angezündet. Er verfolgt regungslos die Berichte der Zeugen und hat zuvor bestritten, die Tat begangen zu haben.
Über die teils noch brennende Treppe hatten die Wehrmänner den schwerst verletzten Mann so vorsichtig wie möglich nach unten zu einer Trage gebracht. „Seine Haut aber klebte an meinen Handschuhen“, sagt der Zeuge. Wenige Stunden später starb der Flüchtling. Sein Anblick ist auch einem zweiten Zeugen „nie mehr aus dem Kopf gegangen“.
Defizite bei den 1992 vorläufig eingestellten Ermittlungen
Einen Kanister hat der aber nicht gesehen, nur kurz danach vom Staffelführer erfahren. Wegen seiner Atemmaske habe er auch keinen Benzingeruch wahrnehmen können. Zeit zum Nachdenken blieb auch nicht. Nach der Bergung von Yeboah sei ja die hektische Suche nach womöglich weiteren Opfern weitergegangen. „Man wusste ja nicht, was noch kommt“, erinnert sich der heute 59-Jährige an den schrecklichen Einsatz. Zwei weitere Feuerwehrleute von damals, darunter der Einsatzleiter, wissen gar nichts von einem verräterischen Kanister.
„Hilfe, Hilfe! Ich sterbe. Holt mich hier raus!“ Die verzweifelten Schreie des von Flammen eingekesselten Samuel Yeboah in der Flüchtlingsunterkunft von Saarlouis schrillen einem Überlebenden des Brandanschlags nach mehr als 31 Jahren noch in den Ohren.Fall Yeboah: Hilfeschreie schreckten in der Brandnacht auf
Für den Senat unter dem Vorsitz von Konrad Leitges ist es nicht einfach, den Anschlag nach gut 31 Jahren aufzuklären. Nicht nur die Erinnerung hat gelitten, auch die Aktenlage ist nicht die beste. Der Senat zeigt vergilbten, lange vergessenen Bänden alte Polaroidfotos („machte man damals so“), um sich mit Zeugen ein Bild über die Örtlichkeiten in einem ehemaligen Hotel zu machen, in dem sich viele Flüchtlinge noch mit einem Sprung aus dem Fenster vor dem Feuer retten konnten.
Zudem muss der Senat von Überlebenden wie von damaligen Wehrleuten hören, dass sie die Geschehnisse von damals heute anderes schildern als damals von der Polizei protokolliert. Dabei tauchen Defizite bei den 1992 vorläufig eingestellten Ermittlungen auf. Einem Überlebenden, der 1991 seine Aussage nur in französischer Sprache per Dolmetscher machen konnte, wurde das Protokoll offenbar nicht mehr übersetzt. Fehler konnte er also nicht korrigieren. Auch der damalige Einsatzleiter sagt mehrfach: „Das stimmt nicht.“ Die Aussagen, wie damals von der Polizei festgehalten, hätte er ja gar nicht machen können, weil er bei der Bergung von Yeboah nicht unmittelbar beteiligt war. Was da stehe, könne sich nur auf Aussagen von Kollegen beziehen.
Zudem wird deutlich: Überlebende wie Feuerwehrmänner mussten ihr Trauma allein bewältigen. „Notfallseelsorge gab es damals noch nicht.“ Man habe über den Einsatz danach auch nicht viel geredet. „Man musste alles selbst verdauen“, stellt ein früherer Wehrmann (55) bitter fest.