Trier
Verschwinden von Tanja Gräff: Mutter wirft Ermittlern Versäumnisse vor

Hoffen auf Klarheit: Mutter Waltraud Gräff mit einem Foto ihrer 2007 verschwundenen Tochter Tanja

Friedemann Vetter

Trier. Vor sieben Jahren hat die Trierer Polizei nach der unter mysteriösen Umständen verschwundenen Studentin Tanja Gräff gesucht. Vergeblich. Tanjas Mutter Waltraud Gräff gibt die Hoffnung nicht auf. Und sie wirft den Trierer Ermittlern Versäumnisse vor.

Von unserem Mitarbeiter Ralf Seydewitz

Der spektakuläre Vermisstenfall machte bundesweit Schlagzeilen – und das über Monate hinweg: Anfang Juni 2007 verschwindet die 21-jährige Tanja Gräff nach einem Sommerfest an der Trierer Hochschule spurlos. Schon kurz darauf startet eine beispiellose Fahndungs- und Suchaktion der Polizei. Mehr als 2000 Hinweise gingen ein, knapp 900 Spuren wurden von den Ermittlern verfolgt, unzählige Zeugen befragt, Dutzende Wälder, Gewässer und Häuser abgesucht. Alles vergeblich. „Es gibt keinen Tatort, keine Spuren, nichts, wo man ansetzen könnte“, meinte 2012 der damalige Trierer Chef-Staatsanwalt Jürgen Brauer. Nur die Ahnung, die die Ermittler auch schon kurz nach Tanjas mysteriösem Verschwinden hatten: Die junge Frau ist wahrscheinlich einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen.

Hoffen auf Klarheit: Mutter Waltraud Gräff mit einem Foto ihrer 2007 verschwundenen Tochter Tanja

Friedemann Vetter

Mehr als sieben Jahre nach dem spurlosen Verschwinden der Trierer Studentin hat die Mutter der Vermissten den Ermittlern jetzt schwere Versäumnisse vorgeworfen. So sei etwa das Umfeld von Tanjas damals noch neuem Freundeskreis nie durchleuchtet worden, kritisiert der Trierer Jurist Detlef Böhm. Einigen Hinweisen sei darüber hinaus nicht oder erst viel zu spät nachgegangen worden. „Ich habe kein Vertrauen mehr in die Trierer Polizei“, sagt Waltraud Gräff (58) und fordert, dass der Fall von einer anderen Dienststelle weiterbearbeitet wird. „Wir haben nichts unversucht gelassen, den Fall aufzuklären“, kontert der aktuelle Chef-Staatsanwalt Peter Fritzen.

Wer die Trierer Ermittler nach ihren Bemühungen im Fall Tanja Gräff fragt, der wird mit einem ganzen Berg an Zahlen konfrontiert: 2020 Hinweise, 871 Spurenakten, 200 Stehordner, 173 Asservate, dazu Hunderte Bereitschaftspolizisten, Dutzende Kriminalbeamte und sonstige Ermittler, die – teils über viele Monate hinweg – mit dem zunächst als Vermisstensache eingestuften Fall zu tun hatten. „Es ist wirklich nichts unversucht gelassen worden, den Fall aufzuklären oder zumindest einen Erfolg versprechenden Ermittlungsansatz zu finden“, sagt Triers Leitender Oberstaatsanwalt Fritzen. Der erst seit Kurzem an der Spitze der Staatsanwaltschaft stehende Fritzen hat den Fall von seinem Vorgänger Jürgen Brauer übernommen, dem seinerseits der Fall Tanja Gräff von seinem Vorgänger Horst Roos mit dem Vermerk „ungeklärt“ übergeben worden war. Fritzen ist also schon der dritte Trierer Chef-Ermittler, der sich mit dem Kriminalfall befasst.

Auch bei der Polizei hatten schon viele die Akten auf dem Tisch. Dabei wollte eigentlich Bernd Michels, Triers legendärer ehemaliger Chef der Mordkommission, den Fall Tanja Gräff unbedingt lösen, bevor er in den Ruhestand ging („Ich bin wild entschlossen“). Der Wunsch blieb unerfüllt. Und auch Michels Nachfolger Christian Soulier war bislang nicht erfolgreicher als sein Vorgänger.

Anwalt sieht „Nachlässigkeiten“

Doch woran liegt es, dass sich der Fall Tanja Gräff trotz eines beispiellosen Ermittlungsaufwands bis dato einfach nicht lösen lässt? Jurist Böhm glaubt, einen Grund zu kennen. „Die Trierer Polizei hat viel gemacht, aber eben auch einiges versäumt“, sagt der Rechtsanwalt, der sich im Auftrag von Tanjas (inzwischen verwitweter) Mutter seit drei Jahren mit dem ungelösten Kriminalfall befasst.

Eine von Freunden errichtete provisorische Gedenkstätte erinnert im Weisshauswald an die seit mehr als sieben Jahren vermisste Tanja Gräff.

Böhm hat sich die Akten angeschaut und ist dabei nach eigenen Angaben auf einige „nicht nachvollziehbare und völlig inakzeptable Nachlässigkeiten“ gestoßen. Er habe der Trierer Staatsanwaltschaft im vergangenen Jahr einen detaillierten Bericht mit sämtlichen Kritikpunkten vorgelegt, passiert sei daraufhin allerdings nichts. Inzwischen dürfe er nur noch unter Aufsicht in die Akten schauen, Kopien von wichtigen Schriftstücken dürfe er sich keine mehr machen, nur noch Notizen. „Für die Trierer Polizei ist die Sache erledigt, die warten jetzt auf Kommissar Zufall“, glaubt Böhm. „Ein nicht gerechtfertigter Vorwurf“, wehrt sich Chef-Staatsanwalt Peter Fritzen. „Alle ermittelbaren männlichen Bekannten“ von Tanja Gräff, mehr als 200 Personen, seien vernommen und überprüft worden.

Als Indiz für ihre These führen Waltraud Gräff und ihr Anwalt an, dass einer der in der Nacht ihres Verschwindens zuletzt in der Nähe Tanjas gesehenen Männer erst vier Jahre später identifiziert worden sei – trotz einer recht genauen Beschreibung von Zeugen. Der Mann mit dem auffälligen Spitzbart soll auf dem FH-Sommerfest mit drei anderen Männern zusammengestanden haben. Ein bislang nicht bekanntes Mitglied dieser Gruppe soll einen Kommilitonen der jungen Studentin mit den Worten „He, lass Tanja in Ruhe“ angeblafft haben. Dieser unbekannte Mann wird seit Jahren von den Ermittlern gesucht, weil nach dieser Situation gegen 4 Uhr in der Frühe Tanja nicht mehr lebend gesehen wurde.

Über den erst 2011 identifizierten „Spitzbart“ hätten die Ermittler wesentlich früher auch die anderen Mitglieder der Gruppe, darunter den „Lass Tanja in Ruhe“-Rufer, identifizieren können, meint der Trierer Jurist. Triers Chef-Ermittler Fritzen kontert: Die Ermittlungen zu dieser Spur seien eingehend geführt worden, ohne dass sich hieraus ein konkreter Tatverdacht oder weitere konkrete Ermittlungsansätze ergeben hätten.

Das gelte auch für zwei andere Spuren, die nach Meinung von Anwalt Böhm nicht ausreichend überprüft wurden: Ein Zeuge hatte demnach von panischen Schreien einer Frau berichtet, die er um kurz vor halb fünf in jener Nacht auf einem Parkplatz der Kabinenbahn am Moselufer gehört haben will. „War es womöglich Tanja, die um Hilfe rief?“, fragt der Trierer Jurist. Dazu passe auch, dass ein Personensuchhund Tanjas Geruchsspur vom Hochschulgelände bis zur Kabinenbahn gefolgt sei und die Spur erst dort verloren habe.

Zahlreiche Aktenordner hat die Polizei in Trier zum Verschwinden zusammengestellt. Bislang war die Suche erfolglos geblieben.

Die damals 21 Jahre alte Studentin hatte sich mit Freunden auf dem Sommerfest der Fachhochschule Trier getroffen. Nach einiger Zeit trennte sie sich von der Gruppe. Foto: dpa

Mehrere groß angelegte Suchaktionen der Polizei und von Freunden brachten keine neuen Erkenntnisse.

Selbst eine im Fernsehen ausgestrahlte Fahndung nach der jungen Studentin erzielte nicht den erhofften Erfolg.

Merkwürdig: Im Vermisstenfall von Tanja Gräff gab es keine Lösegeldforderungen, keinen anderen Kontakt zu etwaigen Entführern, keinen Fund von Kleidungsstücken oder anderen Gegenständen der Vermissten.

Die Menschen in Trier zündeten nach dem Verschwinden Kerzen für Tanja Gräff an, um ihrer Sorge Ausdruck zu verleihen.

Zwar hat die inzwischen nicht mehr tätige Sonderkommission der Polizei rund 2000 Hinweise erhalten, worunter sich etwa 800 konkrete Spuren befanden... Foto: dpa

...doch auch lange Jahre nach dem Verschwinden der 21-Jährigen, standen die Ermittler mit leeren Händen da. Eine erneute Suchaktion am "Roten Felsen" unterhalb der Trierer Fachhochschule wurde drei Jahre nach dem Verschwinden erneut gestartet.

Eine von Freunden errichtete provisorische Gedenkstätte erinnert im Weisshauswald an die seit mehr als sieben Jahren vermisste Tanja Gräff.

Hoffen auf Klarheit: Mutter Waltraud Gräff mit einem Foto ihrer 2007 verschwundenen Tochter Tanja

Friedemann Vetter
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Appell an den Mörder

Auch der sogenannten Homburg-Spur sei nicht richtig nachgegangen worden, meint der Gräff-Anwalt. 2011 hatte ein Zeuge Waltraud Gräff mitgeteilt, dass er zwei Tage nach dem Verschwinden der Trierer Studentin im saarländischen Homburg beobachtet habe, wie ein Unbekannter eine Tanja ähnelnde, hilflose, wimmernde Frau in ein Auto geschleppt habe. Beides Spuren oder Beobachtungen, die nach Auffassung des Leitenden Oberstaatsanwalts Peter Fritzen „keine Anhaltspunkte für weitere Erfolg versprechende Ermittlungen“ bieten.

Auf die Frage, ob inzwischen neue Erkenntnisse zu dem seit siebeneinhalb Jahren ungelösten Fall vorliegen, gibt sich Chef-Ermittler Fritzen zugeknöpft. „Da kann ich keine Auskunft geben, da es sich nach wie vor um ein nicht abgeschlossenes Verfahren handelt.“

Mit einem eindringlichen Appell richtet sich Waltraud Gräff auch an den Mörder ihrer Tochter. „Als Mutter fühle ich, dass sie nicht mehr lebt. Ich wäre Ihnen unsagbar dankbar, wenn Sie (wenn auch nur anonym) den Hinweis gäben, wo ich mein Kind finden kann. Geben Sie Tanja ihre Würde zurück. Geben Sie mir die Möglichkeit, an ihrem Grab die Trauer zu verarbeiten.“

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