3,5 Prozent der Rheinland-Pfälzer sind geimpft, aber fast 60 Prozent der Israelis: Was ist schiefgelaufen?
Nichts. Wir hatten nur eine sehr begrenzte Menge an Impfstoff. Und wie man sich im Markt der Impfstoffe durchsetzt, ist natürlich auch eine Frage der Moral. Ich will damit nicht sagen, dass Staaten wie Israel oder die USA unmoralisch gehandelt haben. Aber ich denke, es haben alle ihr Bestes gegeben. Weil wir nur begrenzte Mengen an Impfstoff hatten, mussten wir priorisieren und konnten nicht von Anfang an in den Arztpraxen impfen. Zu Beginn war aber auch nicht die Durchimpfung das Ziel, sondern der Individualschutz der gefährdetsten Mitglieder der Gesellschaft. Das ist mit Unterstützung der Ärzte in sehr kurzer Zeit – in Rheinland-Pfalz besonders gut – gelungen. Wir haben mittlerweile alle Alten- und Pflegeheime durchgeimpft. Dort hat man im Zweifelsfall mit 100 Impfungen 30 Leben gerettet.
Sie gehören also nicht zu den Kritikern der zu zögerlichen Impfstoffpolitik von Bund und Ländern?
Es ist im Rahmen der Möglichkeiten gut gelaufen. Jetzt beginnt aber eine neue Phase: Es geht nun um die Durchimpfung der Bevölkerung. Und da ist es ganz entscheidend, dass die Arztpraxen stärker beteiligt werden.
In Dänemark wurden Impflinge eingeladen. In Deutschland musste man sich durch komplizierte Anmeldeverfahren kämpfen. Viele unserer Leser haben bis heute mit der Bürokratie der Terminvergabestellen zu kämpfen.
Deshalb sollten diese Menschen sehr bald die Möglichkeit erhalten, eine Impfung in ihrer Arztpraxis zu bekommen. Dieses überbürokratische Verfahren in den Impfzentren jetzt fortzusetzen, wäre absurd. Das ist nicht zielführend – zumal wenn wir einmal eine Impfquote von 50 Prozent haben. Dann muss Überzeugungsarbeit geleistet werden. Im Impfzentrum kann das nicht gelingen bei einem Patienten, der nicht freiwillig dorthin geht. In der Arztpraxis ist das möglich. Wir kennen alle unsere Patienten. Ab sofort darf es keinen Arztbesuch mehr ohne Impfpass geben. Unser Ziel ist, dass kein Patient unsere Praxen mehr ohne Impfung verlässt, sobald es ausreichend Impfstoff gibt.
Die Impfpriorisierung muss also aufgehoben werden?
Die Impfpriorisierung ist Makulatur, wenn in zwei bis drei Wochen ausreichend Impfstoff vorhanden ist. Dann kann jeder eine Impfung erhalten. Darauf kann man sich jetzt schon vorbereiten.
Warum brauchen wir Pilotprojekte wie in Mayen, um eine Impfung in Hausarztpraxen zu testen?
Da sind eine Menge Eitelkeiten im Spiel. Die Impfzentren der Städte und Kreise haben anfangs eine wichtige Rolle übernommen und verteidigen jetzt ihre Existenz. Bis heute zweifelt man in Impfzentren an, dass wir das Vakzin richtig aufbereiten können. Es wird behauptet, dass das kompliziert sei. Das ist aber falsch. Die Impfzentren drohen zu einem absurden Theater zu werden, deren Schauspielschar zum Teil sehr hohe Gagen bekommt. Eine Impfung dort kostet zwischen 100 und 250 Euro. Uns werden jetzt für die Impfungen in den Hausarztpraxen 20 Euro angeboten. Wir fordern aber 35 Euro, weil es darunter für uns nicht kostendeckend ist, auch weil wir viel Zeit für Überzeugungsarbeit brauchen werden.
Es gibt Honorarverhandlungen?
Das sind keine wirklichen Verhandlungen. Die Fachebene hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn ein Honorar von 15 Euro empfohlen. Er hat diesen Betrag auf 20 Euro erhöht. Aber das wird nicht reichen. Denn wir werden sehr viel impfen müssen und deshalb eigene Impfsprechstunden einrichten müssen, für die wir zusätzliche Personalkapazitäten brauchen. Wir werden auch Überstunden fahren. Diese Kosten lassen sich aus unserem regulären Budget nicht decken.
Erneut ein Gerangel um Honorare?
Es wird kein Gerangel geben. Wir werden sagen, was das kostet, und gehen dann davon aus, dass das bezahlt wird. Bei den Impfzentren hat man doch auch nicht nach den Kosten gefragt und zahlt dort bis zu 250 Euro pro Impfung.
Was muss noch geregelt werden, um in zwei bis drei Wochen flächendeckend in Hausarztpraxen impfen zu können?
Wir müssen den Impfstoff über die Apotheken beziehen können. Impfen darf keine hoheitliche Landesaufgabe mehr sein. Wir werden dann nicht mehr im Auftrag des Landes als mobiler Dienst der Impfzentren den Corona-Piks setzen. Die Politik muss endlich begreifen, was für eine riesige Impfbereitschaft in den niedergelassenen Praxen vorhanden ist. Wir könnten mit genügend Vakzin in den relevanten Gruppen über 16 Jahren bis Mitte Mai eine Durchimpfung erreichen. Wenn wir richtig loslegen, dann brummt es. Als Erstes werden die Patienten den Impfstoff erhalten, die ihn dringend brauchen. Für uns wird entscheidend sein, wer das größte Risiko hat, an Covid-19 zu sterben oder schwer zu erkranken. Dieses Risiko sinkt auf null, wenn wir die Richtigen impfen. Und das ist doch das Ziel der gesamten Impfkampagne. Sollte am Ende des Tages Impfstoff übrig sein, bekommt auch der 30- oder 40-Jährige ohne Vorerkrankungen einen Piks.
Was ist Ihr Ziel für Rheinland-Pfalz?
Bis Ende Mai könnten wir eine Impfquote von 25 Prozent locker erreichen. Das wären also mehr als eine Million Rheinland-Pfälzer.
Welche Signale bekommen Sie aus der Politik?
Wir stoßen zwar nicht auf Widerstand. Die Landesregierung verkennt aber die gewaltige Versorgungsleistung der niedergelassenen Ärzte. Es gibt doch so gut organisierte Impfzentren mit so vielen engagierten Menschen. Man versteht aber nicht, dass diese Zentren nur eine marginale Zahl an Impfungen übernehmen können. Dem stehen mindestens 2500 Ärzte in 2000 Praxen in Rheinland-Pfalz gegenüber, in denen pro Tag 20 bis 40 Impfungen leistbar sind. Das wären 40.000 bis 80.000 Impfungen pro Tag. Und für uns ist Impfen nichts Neues. Daher sind wir sehr enttäuscht, dass uns nicht einmal ein Honorar angeboten wird, das kostendeckend ist.
Die Impfzentren sind also Vergangenheit, sobald die Praxen impfen?
Ja. Denn warum sollten wir noch für 250 Euro impfen? Die Menschen werden dort auch nicht mehr hingehen, weil sie ihren Ärzten mehr Vertrauen schenken. Das wird eine Abstimmung mit den Füßen sein. Sobald wir Impfstoff in den Apotheken bestellen können, geht es rund. Spahn will das gesetzlich bald in die Wege leiten.
Es wird künftig also vor allem um Überzeugungsarbeit gehen?
Ja. Das ist bald das Entscheidende. Das bringt uns die letzten 20 Prozent, die wir für eine Herdenimmunität brauchen. Da sind wir als KV sehr ehrgeizig. Wir wollen eine sehr hohe Durchimpfung in Rheinland-Pfalz erreichen. Es wird schon bald einen Überfluss an Impfstoff geben. Und es wird der Punkt kommen, an dem die Durchimpfung langsamer voranschreiten wird. Wir müssen den Menschen klarmachen, dass jeder einen Beitrag zum Erreichen der Herdenimmunität leisten muss. Wir dürfen nicht akzeptieren, dass sich Menschen nicht impfen lassen und auf die Herdenimmunität warten. Impfen ist eine Bürgerpflicht. Wenn ich gesund bin und eine Impfung vertrage, sollte ich mich auch impfen lassen. Es ist mittlerweile bekannt, dass schwere Impfreaktionen so gut wie gar nicht auftreten. Der Impfstoff ist extrem gut verträglich. Es gibt also keinen Grund, ein Impfangebot nicht anzunehmen.
Sind Sie selbst geimpft?
Ich habe ein Altenheim durchgeimpft und bin dabei auch selbst mit dem Biontech/Pfizer-Vakzin geimpft worden. Alle Ärzte, die sich an den Impfaktionen beteiligt haben, sind geimpft.
Was könnte Menschen noch hindern, sich impfen zu lassen?
Zu viel Bürokratie. Im Moment müssen wir bei der Impfdokumentation elf Unterschriften leisten – sieben vom Impfling, vier vom Arzt. Das ist absurd. So etwas schreckt ab. Dieses Theater werden wir in den Praxen nicht mitmachen. Ansonsten gilt: Die Impfung ist absolut harmlos. Außerdem bleibe ich dabei, dass es keinen Grund mehr dafür gibt, einen Geimpften weiter in seinen Grundrechten einzuschränken. Wenn ich mich nicht mehr infizieren kann, bin ich auch nicht mehr ansteckend. Und sollte ich als Geimpfter einen positiven Corona-Test haben, bedeutet das nicht, dass ich eine Virusschleuder bin. Das ist eine rein theoretische Debatte, die fern der Lebenswirklichkeit ist.
Das Gespräch führte Christian Kunst