Rheinland-Pfalz
Peter Altmaier (CDU): „SPD redet das Land schlecht“

Wahlkampfstopp an der Mosel: Kanzleramtsminister 
Peter Altmaier (CDU) traf sich in Ernst mit unseren Redakteuren Jörg Hilpert (rechts) und Dirk Eberz.

Jens Weber (RZ)

Wer vertritt nach dem Abgang von Wolfgang Bosbach künftig eigentlich den konservativen Flügel der CDU? Und warum arbeitet sich SPD-Kandidat Martin Schulz so erfolglos an Angela Merkel ab? Kanzleramtsminister Peter Altmaier beklagt im Gespräch mit unserer Zeitung, dass sich die SPD von ihren eigenen Erfolgen in der Koalition distanziere und das Land schlecht rede. Wir sprachen mit dem Saarländer auch darüber, warum Altmaier im Streit mit der Türkei zuletzt der Kragen geplatzt ist und reichten auch Fragen unserer Leser an den CDU-Politiker weiter.

Unsere Kleinstaaterei halten viele für zu teuer. Wie lang können wir uns das Saarland noch leisten?

Das kleine Saarland ist ein großes Glück, weil es seit vielen Jahren wieder vernünftig regiert wird. Und wir haben erkannt, dass der Föderalismus aus vielen großen und kleinen Ländern besteht. Trotz der gegenseitigen Frotzelei zwischen Pfälzern und Saarländern hat sich die Zusammenarbeit im Bundesrat bewährt, wenn es darum geht, einen Ausgleich zwischen ländlichen und städtischen Regionen auszuhandeln. Die Diskussion über eine Neugliederung ist so tot wie noch nie seit Bestehen der Republik.

Todlangweilig droht auch das Duell zwischen Angela Merkel und Martin Schulz zu werden. Das Rennen scheint gelaufen. Wie schwer ist es da, Wähler zu mobilisieren?

Es ist sicher nicht unsere Aufgabe, den lahmenden Wahlkampf der SPD spannend zu machen. Tatsache ist, dass es den Sozialdemokraten nicht gelungen ist, ihre Botschaften an die Wähler zu bringen. Das liegt daran, dass sich die SPD von ihren eigenen Leistungen in der Großen Koalition distanziert und das Land schlechtredet.

Martin Schulz hat aber immerhin versucht, Merkel zu attackieren.

Aber da genau liegt doch das Problem. Wir sind in der Politik doch längst über Wahlkämpfe alten Stils mit Attacken und persönlichen Angriffen hinweg. Die Menschen wollen, dass konstruktiv über Probleme diskutiert wird. Und sie spüren, wenn ein Thema nur zu Wahlkampfzwecken aufgebauscht wird.

Im TV-Duell wurde Frau Merkel zumindest zu zwei Zugeständnissen genötigt: Keine Rente mit 70 und Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. Wie ernst ist das zu nehmen?

Die Rente mit 70 war nie Beschlusslage der CDU. Es gibt kein Wort davon im Programm. Somit war es richtig, dass Merkel der falschen SPD-Kampagne die Spitze genommen hat, indem sie die Frage ein für alle mal klargestellt hat.

In der Türkeifrage steht Deutschland aber jetzt ziemlich isoliert da.

Zunächst einmal ist es so, dass die CDU/CSU 2004 die Beitrittsverhandlungen der Türkei zur EU abgelehnt hat. SPD und Grüne haben sie damals durchgesetzt. Die Entwicklung hat uns recht gegeben. Derzeit sitzen mehr als zehn deutsche Staatsbürger in türkischen Gefängnissen, ohne dass wir wissen, wessen sie genau beschuldigt werden. Und was die Beitrittsverhandlungen angeht, gibt es ja viele in Deutschland, die diese beenden wollen. Wenn das nun auch SPD, Grüne und FDP wollen, werden wir das bei der Tagung des Europäischen Rates im Oktober vorbringen. Eine unionsgeführte Regierung stimmt sich in wichtigen Fragen immer mit ihren EU-Partnern ab.

Klingt staatsmännisch. Nach der türkischen Reisewarnung für Deutschland ist Ihnen aber mal der Kragen geplatzt. Ich zitiere: „Ein schlechter Witz.“ Ist die Zeit der Diplomatie jetzt endgültig vorbei?

Nein, aber ich bin ein Freund der klaren Sprache. Zwar ist die Türkei weiter ein wichtiges Land. Aber die Entwicklung von Pressefreiheit, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit geht seit Monaten in die völlig falsche Richtung. Deshalb ist eine deutliche Ansage manchmal auch hilfreich, wenn es darum geht, aus Fehlern zu lernen.

Welche Mittel hätte die Regierung denn eigentlich noch, um Erdogan in die Schranken zu weisen?

Zunächst mal finden ja praktisch keine Beitrittsverhandlungen mehr statt. Und die Visum-Liberalisierung liegt seit Wochen auf Eis. Deutschland hat dafür gesorgt, dass es keine Gespräche über eine Zollunion gibt. Das zeigt, dass wir unser Verhalten von niemandem diktieren lassen. Zweitens ist es aber auch so, dass wir ein Interesse daran haben, dass die Türkei stabil bleibt. Und vergessen Sie bitte nicht, dass es in der Türkei auch viele gibt, die die Entwicklung mit Sorge verfolgen. Deshalb arbeiten wir mit der Türkei weiter in der Nato zusammen. Und deshalb gibt es weiter einen deutschen Botschafter in Ankara und einen türkischen Botschafter in Berlin.

Kommen wir zum Wahlkampf. Da wirbt die CDU mit wirtschaftlichen Erfolgen, an denen die Agenda 2010 von Rot-Grün einen großen Anteil hat. Hat es nicht eine gewisse Ironie, dass die CDU die Früchte einfährt, während die SPD an den Schwachstellen arbeitet?

(Schmunzelt) Die Agenda 2010 war ein mutiger Schritt. Deshalb haben wir von der CDU/CSU die Reform auch unterstützt, während Schröders SPD gespalten war. Aber wir haben die Agenda in unserer Regierungszeit ja auch weiterentwickelt und vertieft. Dazu gehört eine Rentenreform, die bis heute funktioniert und zukunftsfähig ist. Wir haben dafür gesorgt, dass die sozialen Sicherungssysteme vernünftig finanziert sind. Deshalb stehen wir zur Agenda und verteidigen sie gegen jede populistische Kritik.

Merkels neuem CDU-Kurs wird oft der Vorwurf der Beliebigkeit gemacht. Zuletzt hatte man den Eindruck, dass der konservative Parteiflügel allein von Wolfgang Bosbach vertreten wird. Der hat jetzt aufgehört. Gibt es in der Union überhaupt noch einen Nachfolger?

Die CDU war immer eine Partei, die konservative, christlich-soziale und liberale Strömungen in sich vereinigt hat. Und ich habe keinen Zweifel, dass es so bleiben wird.

Sie haben also keinen Namen?

Man kann den Leuten doch nicht einfach so sagen: „Du machst jetzt mal konservativ.“ Heiner Geißler, dem ich auch persönlich viel zu verdanken habe, ist ja auch nicht gebeten worden, unsere linke Flanke abzusichern. Das hat übrigens mehr Konservativen imponiert, als man denkt.

Sie sind Flüchtlingskoordinator der Bundesregierung. Sind Sie froh, dass mittlerweile nicht mehr so viele Menschen zu uns kommen?

Ja, allem voran weil wir auch die Lage der Menschen vor Ort verbessert haben. Wir haben etwa für eine Million Kinder, die in Flüchtlingslagern in der Türkei und im Libanon leben, wieder Schulunterricht ermöglicht. Wir haben dafür gesorgt, dass die meisten Flüchtlinge eine Arbeitserlaubnis in ihren Aufenthaltsländern erhalten. Wir haben die Lebensmittelversorgung sichergestellt. Und wir haben dazu beigetragen, dass der IS im Nordirak praktisch besiegt ist. Deshalb kommen nicht nur weniger Flüchtlinge zu uns, sondern es kehren auch viele freiwillig in ihre Heimat zurück. Und zwar oft auch dann, wenn sie bei uns anerkannt waren.

Jetzt kommen die Flüchtlinge dafür auf der Mittelmeerroute.

Gerade jetzt haben wir auch einen deutlichen Rückgang der Zahl der Migranten zu verzeichnen, die aus Libyen in Italien anlanden, weil wir auch dort Fluchtursachen bekämpfen. Die Kanzlerin war persönlich in Mali und Niger. Die EU arbeitet mit der libyschen Regierung zusammen. Uns geht es darum, den Schutz der Außengrenzen und die Bekämpfung des Schlepperwesens mit humanitärer Hilfe zu verbinden, damit die Leute ihre Heimat gar nicht erst verlassen. Deshalb sind wir uns sicher, dass sich eine Situation wie 2015 nicht wiederholen wird.

Ihr Parteikollege, Innenminister de Maizière, fordert in der Flüchtlingsfrage unter anderem ein europäisches Asylverfahren. Was halten Sie davon?

Da sind wir uns alle einig. Wir wollen das bereits existierende System weiterentwickeln. Leistungen an Flüchtlinge sollen sich künftig an vergleichbaren Maßstäben orientieren. Das bedeutet nicht, dass ein Flüchtling in Bulgarien nun so behandelt wird wie in Deutschland. Aber es gibt Maßstäbe, was die Hilfe im Vergleich zum Einkommen in den Ländern betrifft. Diese Vereinheitlichung wäre wichtig. Dann darf es auch keinen Anspruch auf die Auswahl des Aufnahmelandes mehr geben. Da haben wir die Gesetze schon geändert. Jemand, der in Estland Asyl erhalten hat und zu uns kommt, wird natürlich humanitär behandelt, hat allerdings keinen Anspruch auf Geldleistungen.

Heißt dann konkret: Man einigt sich auf einen bestimmten Prozentsatz des jeweiligen Durchschnittslohns eines Landes als Flüchtlingshilfe.

Das kann die Folge sein. Hängt aber vom Ergebnis der Gespräche ab, die der Innenminister mit seinen Kollegen führen wird. Das wird noch einige Zeit dauern.

Viele Flüchtlinge wollen in Deutschland bleiben. Was genau ist nun zur Integration zu tun?

Als eines der wenigen Länder in Europa haben wir bereits ein Integrationsgesetz verabschiedet. Für uns sind drei Punkte von besonderer Bedeutung. Erstens: Flüchtlinge sollen in der Lage sein, ihren Unterhalt selbst zu erwirtschaften. Dazu müssen sie zweitens Deutsch lernen und die Sprache auch aktiv beherrschen. Und drittens wollen wir Parallelgesellschaften verhindern. Wir wissen etwa, dass Migranten, die in städtischen Großräumen wohnen, größere Probleme mit der Integration haben, weil sie dann weniger Kontakt zur einheimischen Bevölkerung haben. Deshalb haben wir eine Wohnsitzauflage verabschiedet, die es ermöglicht, dass sie dort bleiben, wo sie Kontakt mit anderen Menschen haben, bis sie einen Arbeitsplatz gefunden haben. Das gilt aber nur für die rund 60 Prozent, die auch einen Bleibeanspruch haben. Abgelehnte Asylbewerber wollen wir hingegen grundsätzlich zurückführen. Und wenn ein Flüchtling straffällig geworden ist, wenn er ein terroristischer Gefährder ist, dann muss er vorrangig abgeschoben werden.

Was kostet uns die Integration?

Die Integration ist eine Aufgabe, die auf viele Jahre angelegt ist. Wenn sie richtig konzipiert ist, wird sie mehr bringen, als sie kostet. Schon heute ist es so, dass das meiste Geld nicht bei den Flüchtlingen ankommt, sondern bei denen, die Sprachkurse oder Wohnungen anbieten. Unser Ziel ist es, dass diejenigen, die für längere Zeit hierbleiben, ein Teil unseres Landes und seiner Leitkultur werden. Dazu gehört auch unser ehrenamtliches Engagement.

Wann bekommen wir denn endlich ein Zuwanderungsrecht?

Für uns ist es entscheidend, dass wir in Zukunft jeden Arbeitsplatz mit einem qualifizierten Bewerber besetzen können. Wir haben heute 44 Millionen Erwerbstätige. Und diese Zahl wollen wir weiter steigern, um die Rente sichern und unseren Lebensstandard steigern zu können. Deshalb haben wir uns für ein Fachkräftezuwanderungsgesetz ausgesprochen. Wir wollen damit Menschen ansprechen, die hier schon einen Arbeitsplatz gefunden haben. Und die vielleicht schon die deutsche Sprache lernen, bevor sie zu uns kommen. Also eine sozialverträgliche Zuwanderung. Eine ungeregelte Einwanderung über ein Gesetz mit Punktesystem wie in Kanada, das es Kandidaten ermöglicht, bei uns eine Arbeit zu suchen, lehnen wir ab. Das hat übrigens auch in anderen Ländern nicht die Erwartungen erfüllt.

Themawechsel: Wie kann der Bund den ländlichen Raum unterstützen?

Die CDU will, dass die ländlichen Räume vital bleiben. Wir wollen nicht, dass alle Wirtschaftskraft in die städtischen Ballungsräume abwandert. Dazu wollen wir eine Landarztgarantie, die die medizinische Versorgung sicherstellt. Und wir wollen, dass die Arbeit zu den Menschen kommt und nicht umgekehrt. In Bayern hat man etwa gute Erfahrungen damit gemacht, dass Verwaltungs- und Bildungseinrichtungen in der Fläche angesiedelt werden. Zudem wollen wir eine Ehrenamtsstiftung ins Leben rufen, die etwa Vereine entlastet. Sie sehen: Ich habe unser Programm nicht nur geschrieben, ich habe es auch im Kopf.

Kommen wir zu unseren Leserfragen. Einer möchte wissen, welche Umwelteffekte bei einem Tempolimit von 130 Kilometern pro Stunde auf Autobahnen zu erwarten wären.

Ich bin mir nicht sicher, ob Tempo 130 nicht längst Realität ist, weil es immer wieder zu Staus kommt und es schon an vielen Stellen Limits gibt. Ich halte die Diskussion nicht für zielführend.

Ein anderer Leser ärgert sich, dass er für seine Betriebsrente volle Kranken- und Pflegekassenbeiträge zahlen muss. Ändern Sie das?

Der Gesetzgeber hat sich für das Modell entschieden, weil er es für richtig hielt, dass Zuschüsse des Arbeitgebers steuerfrei sind, aber die Renten bei der Auszahlung entsprechend belastet werden. Ich kann zusagen, dass ich mir die Problematik in einer neuen Regierung noch mal ansehen werde. Ob und wann es zu Veränderungen kommt, kann ich nicht zusagen, weil erst der Wähler entscheidet.

Das Interview führten Jörg Hilpert und Dirk Eberz

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